Rechte ins Abseits stellen: Zur Verteidigung des Fußballs
- Buchautor_innen
- Ronny Blaschke
- Buchtitel
- Angriff von Rechtsaußen
- Buchuntertitel
- Wie Neonazis den Fußball missbrauchen
Der Fußballsport wird seit langem für extrem rechte Propaganda genutzt. Ronny Blaschke präsentiert in einem neuen Buch gegenwärtige nazistische Umtriebe und Gabriel Kuhn schreitet zur linken Verteidigung.
Im Sommer 1983 saß ich auf einer Schaukel im Garten meines Onkels und meiner Tante in Gablitz, einer kleinen niederösterreichischen Marktgemeinde in der Nähe Wiens. Ich war elf Jahre alt. Neben mir lag eine aufgeschlagene Zeitschrift mit einem Artikel zur Borussenfront, die Anfang der 1980er Jahre mit extrem rechten Parolen und offener Gewaltzelebrierung dem Fußballfandasein in Deutschland ein neues Gesicht verlieh. Mein Onkel gesellte sich zu mir und schielte auf die kahl rasierten BVB-Anhänger: „Machen die dir Angst?“ Mutig genug, die Wahrheit zu sagen, meinte ich „Ja“. Mein Onkel, 1.96 groß und hundert Kilo schwer, meinte: „Mir auch.“ Ich war beruhigt.
Die Borussenfront wird auch in Ronny Blaschkes „Angriff von Rechtsaußen. Wie Neonazis den Fußball missbrauchen“ erwähnt. Allerdings als historische Fußnote. Blaschke, einer der engagiertesten Fußballjournalisten Deutschlands, konzentriert sich in dieser Sammlung von Artikeln und Interviews auf die gegenwärtigen extrem rechten Unterwanderungsversuche im Fußballbereich: Wir lesen über Fangruppen wie die Blue Caps beim 1. FC Lokomotive Leipzig, den NPD-Schiedsrichter Stephan Haase aus Lüdenscheid und den thüringischen Amateurverein SG Germania.
Rechte Vorstöße im Amateurbereich
Blaschkes Texte verdeutlichen, wie sehr sich extrem rechte Aktivitäten in die unteren Ligen verlagert haben. Die weitgehende – wenn auch keineswegs vollständige – Zurückdrängung extrem rechter Akteure im Profifußball hat mehrere Gründe. Zunächst die vorbildhafte antifaschistische Arbeit im Fanbereich, die seit über fünfzehn Jahren wesentlich von BAFF koordiniert wird - einst Bündnis antifaschistischer Fußballfans, heute Bündnis aktiver Fußballfans, wobei mit der Namensänderung keineswegs die klare Positionierung gegen Rechts aufgegeben wurde. Dann das – nicht zuletzt von der Fanarbeit angeregte – antirassistische Engagement des DFB, das sich vor allem auf die medienpräsenten Profiligen konzentriert. Und schließlich der Einsatz der Vereine, denen ein extrem rechtes Umfeld bei Sponsorenverhandlungen nicht unbedingt dienlich ist. Im Gegensatz dazu fehlen im Amateurbereich oft linke Fangruppen, der DFB schickt keine achtsamen Vertreter_innen und die Vereine haben nicht die Ressourcen, und manchmal auch nicht den Willen, antifaschistische Mindeststandards auf den Sportplätzen durchzusetzen. Blaschke schildert die Konsequenzen, die sich daraus für Vereine wie den Roten Stern Leipzig, Türkiyemspor Berlin oder TuS Makkabi Frankfurt ergeben, deren Spieler sich immer wieder Beleidigungen, Drohungen und selbst tätlichen Angriffen ausgesetzt sehen.
Eine besondere Herausforderung für linke Fußballfans ergibt sich aus der Tatsache, dass viele der Argumente, mit der die im Fußballbereich engagierten Rechten ihre Arbeit legitimieren, linken Argumenten durchaus nahe kommen. So etwa, wenn Klaus Beier, Geschäftsführer der NPD, meint: „Mit den Jahren schritt die Kommerzialisierung im Profifußball immer weiter voran. Durch Millionentransfers der Spieler ist mir die Lust vergangen, dieses Geschacher habe ich nicht mehr ertragen. Inzwischen konzentriere ich mich auf die unteren Ligen, dort ist der regionale Bezug noch vorhanden.“ (S. 51) Oder wenn der NPD-Chef Nordrhein-Westfalens, Claus Gremer, die Bedeutung von Amateurfußballturnieren wie folgt unterstreicht: „Solche Veranstaltungen (…) sind wunderbar geeignet, den Zusammenhalt untereinander zu fördern.“ (S. 46)
Kommerzialisierungskritik und Gemeinschaftstümelei
Die Kritik an der Kommerzialisierung des Fußballs ist ein altes rechtes Thema. Bereits die Nazis sprachen von der Zerstörung des Fußballs durch das „jüdische Kapital“, nachdem 1925 die erste Profiliga auf dem europäischen Kontinent vom SC Hakoah Wien dominiert wurde. Gleiches gilt für den Wert des „Zusammenhalts“, den der NPD-Mann Gremer auch unmittelbar mit der „Kameradschaftspflege“ in Zusammenhang bringt. Letztlich unterscheiden sich die Probleme, die sich daraus für linke Positionen ergeben, jedoch nicht von den Herausforderungen, die rechte Kapitalismuskritik oder rechte Sozialismushuldigungen für die Linke allgemein stellen: Die eigenen Positionen müssen differenzierter reflektiert und deutlicher dargestellt werden.
In Bezug auf die Kommerzialisierung des Fußballs sind nicht alle Aspekte verwerflich. Die Professionalisierung des Sports hat Arbeiter_innen neue gesellschaftliche Räume eröffnet und das „Spektakel“ Fußball hat wesentlich zur Pluralisierung eines einst beinahe ausschließlich männlichen und weißen Publikums beigetragen. Die politisch relevanten Fragen, die sich für Linke hier stellen, sind: Kommt es zu neuen Ausschlussformen, vor allem ökonomischen? Geht mit diesen Entwicklungen eine Demokratisierung in Verbänden und Vereinen einher? Hält die gewerkschaftliche Organisierung mit der zunehmenden Prekarisierung von Fußballprofis Schritt, die den großen Sprung nicht schaffen? Kommt es zu einer Zweiklassengesellschaft innerhalb des Profifußballs? Welche Auswirkungen hat die Kommerzialisierung auf den Fußball als Breitensport? Dies sind Themen, die linke Fans besetzen müssen, um sich von einem dumpfen „Kommerzialisierung ist Scheiße“ und von einer reaktionären Deutung des populären Slogans „Gegen den modernen Fußball“ abzugrenzen.
Auch gegen reaktionäre Besetzungen der so viel bemühten „Gemeinschaft“ muss offensiv vorgegangen werden. Kollektive Erfahrungen und kollektives Handeln bleiben für linke Politik zentral und der Fußballsport kann hier wichtige Beiträge leisten. Der Unterschied zwischen dem linken und dem rechten „Kollektiverlebnis Fußball“ hängt sich freilich am Verständnis des Kollektivs auf. „Volksgemeinschaft“ hier, „Multitude“ (oder „Meute“ oder der Lieblingsbegriff des Lesers_der Leserin) dort. Wie immer ist es notwendig, sich die rechte Rhetorik genau anzusehen. Aus einem relativ harmlosen Plädoyer für die Verankerung eines Sportvereins in seinem sozialen Umfeld kann beispielsweise im Handumdrehen rassistische Propaganda werden. So erinnert sich der NPD-Geschäftsführer Beier wehmütig an Zeiten, zu denen „Spieler für Fans greifbar“ waren, was heute jedoch nicht mehr möglich sei, da „Spieler aus aller Welt für Millionen zusammengewürfelt“ werden (S. 51). Was hat die Tatsache, dass Menschen aus aller Welt in einem Verein spielen, damit zu tun, die Spieler des Vereins für die Fans nicht greifbar sind? Ein Schweinsteiger beim FC Bayern ist nicht zugänglicher als ein Ribéry.
Hier wird, wie gewohnt, Migration für strukturelle Probleme verantwortlich gemacht. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass viele der Spieler, die ein Klaus Beier nicht in einer „greifbaren“ Mannschaft sehen will, nicht „aus aller Welt zusammengewürfelt“, sondern in Deutschland geboren wurden und dort aufgewachsen sind – auch wenn ihre Namen, ihre Hautfarbe oder ihre Religion nicht in kleinkarierte Lokalmythologien passen mögen. Dasselbe gilt für viele Fans.
Linke Abwehr
Der Kontakt zwischen Vorstand, Spielern und Anhängern bzw. die „lokale Verankerung“ eines Vereins kann linker Politik durchaus zuträglich sein. Doch muss dies antirassistisch und „multikulturell“ gedacht werden (zur linken Renaissance des verschmähten Multikulti-Begriffs trage ich angesichts der immer noch dümmeren konservativen Angriffe auf ihn gerne bei). Dann lassen sich auf dieser Basis starke solidarische und integrative Kollektivformen entwickeln, die sich positiv auf eine breite antifaschistische Bewegung auswirken können. Ähnliche Potentiale liegen in selbstorganisierten Fußballvereinen und Fußballturnieren, in denen das Spiel dem sozialen Austausch dienen und zum Halt orientierungsloser Jugendlicher werden kann. Diese Potentiale werden nicht fragwürdig, weil auch Rechte versuchen, selbstorganisierte Fußballprojekte für ihre Zwecken zu nutzen – Rechte versuchen dasselbe mit Punk, Graffiti und HipHop-Klamotten. Die Linke darf diese Felder nicht einfach kampflos abgeben. Die Aufgabe ist vielmehr, sie zu behaupten: mehr Fußballturniere zu veranstalten, mehr Spaß zu haben und, natürlich, schöner zu spielen (was angesichts bulldogästhetikkonformen rechten Haudrauffußballs nicht schwierig ist).
Manchmal geht in „Angriff von Rechtsaußen. Wie Neonazis den Fußball missbrauchen“ der Bezug zum Titel etwas verloren. In Interviews wie jenen mit Halil Altintop oder Yves Eigenrauch oder in den Beiträgen zur Geschichte des jüdischen Fußballs oder zum Antiziganismus in Ungarn kommen Neonazis im Fußball gar nicht oder nur am Rande vor. Gleichzeitig fokussieren einige Artikel, etwa zu extrem rechten Symbolen oder zur Rockband Kategorie C, vor allem auf rechte (Jugend)kultur und der Fußball wird eher zur Kulisse. Wer darauf besteht, auf jeder einzelnen Seite des Buches über nichts Anderes als neonazistische Aktivitäten im Fußballbereich zu lesen, mag sich daran stören. Wer jedoch bei dem Thema auch gerne weiter ausholt, den gesamtgesellschaftlichen Kontext miteinbezieht und allgemeine Fragen zu Diskriminierung im Fußball diskutiert, wird eher zur Freude Anlass finden. In jedem Fall trägt Blaschkes Ansatz dazu bei, dass Fußballleidenschaft für die Wertschätzung des Buches keine unbedingte Voraussetzung darstellt. Das Buch ist für all jene von Belang, die an extrem rechter Politik, ihren Strategien und ihrer Infiltrierung gesellschaftlicher Räume interessiert sind. Für die größte Verunsicherung bei der Lektüre sorgt Theo Zwanziger, dessen Interview einmal mehr die Frage aufwirft, wie ein DFB-Präsident und ehemaliger CDU-Landtagsabgeordneter zu derart vernünftigen Aussagen imstande sein kann.
Angriff von Rechtsaußen. Wie Neonazis den Fußball missbrauchen.
Verlag Die Werkstatt, Göttingen.
ISBN: 978-3-89533-771-0.
224 Seiten. 16,90 Euro.