Rebellionen von Heugabel bis Kalaschnikow
- Buchautor_innen
- Pittler, Andreas / Verdel, Helena
- Buchtitel
- Der große Traum von Freiheit
- Buchuntertitel
- 30 Rebellen gegen Unrecht und Unterdrückung
Ein Buch, das „30 Rebellen gegen Unrecht und Unterdrückung“ vorstellt – und sich auf bewaffneten Kampf beschränkt.
Aufstände und Rebellionen sind so alt wie Ungerechtigkeit und Unterdrückung. In Zeiten, in denen das Wort „Aufstand“ in aller Munde ist und nicht nur Aufstands-fixierte Linke thematisch und aktionistisch einer Monokultur frönen, tut es manchmal gut, sich einem derartigen Thema von der historischen Seite her zu nähern, ProtagonistInnen zu porträtieren und nach deren Inhalten, Motivationen und Erbe zu fragen. Dass die AutorInnen bei der Auswahl der porträtierten RebellInnen darauf bedacht waren, einen eurozentrischen Rahmen zu verlassen und auch viele Persönlichkeiten porträtieren, die selbst in linken Zusammenhängen kaum bekannt sind, ist zu begrüßen. So heterogen die Vorgestellten geografisch und kulturell jedoch sein mögen, so homogen sind sie in der Art und Weise, wie sie Widerstand leisteten: bewaffnet. Die AutorInnen reduzieren – und das ist die fundamentalste Ernüchterung für LeserInnen dieses Buches, die „Rebellion“ nicht notwendigerweise mit AK-47-Maschinengewehren gleichsetzen – den Begriff „RebellInnen“ auf Menschen, die im bewaffneten Kampf aktiv waren.
Andreas Pittler und Helena Verdel haben in ihrem Buch 30 RebellInnen versammelt und porträtieren diese jeweils auf wenigen Seiten mit den dazugehörigen Bewegungen und historischen Kontexten. Sie unterteilen ihr Buch in drei Hauptkapitel. Das erste, „Die Rebellion der Bauern“ gibt einen Überblick über diverse (oft religiös geprägte) Bauernrevolten in verschiedenen Teilen Europas des Mittelalters und deren meist ebenfalls vorhandenen Anführern (es sind im Buch und waren wohl generell nur Männer). Vorgestellt werden beispielsweise Jan Žižka und die Hussiten aus Tschechien, der renitente Theologe Thomas Müntzer, der Österreicher Michael Gaismaier oder der legendäre Bauernführer Wat Tyler aus England. Auch der große Bauernkrieg von 1525 wird in der gebotenen Kürze erörtert. In diesem Teil des Buches erhält man einen guten Eindruck von den damals vorherrschenden sozialen Bedingungen und wie die Bäuerinnen und Bauern – die damals nicht nur völlig entrechtet sondern auch nach Lust und Laune der lokalen HerrscherInnen, des Adels und des Klerus, ausgebeutet wurden – dagegen aufbegehrten. Dass es damals ziemlich wild zuging, sich die KontrahentInnen nichts schenkten und wie brutal sie gegeneinander vorgingen, wird immer wieder eindrücklich geschildert. Vor allem wenn der Adel sich an den zumeist unterlegenen Bäuerinnen und Bauer rächte, wurde es haarsträubend. So war – bevor man das unweigerliche Todesurteil vollstreckte – eine beliebte Bestrafung für die Anführer solcher Revolten, ihnen eine glühende Eisenkrone aufzusetzen um sie anschließend als (gekrönte) „Bauerkönige“ zu verspotten.
Der zweite Teil des Buches trägt den Titel „Das revolutionäre Zeitalter“ und versammelt Leute von François Noël Babeuf über irisch-republikanische KämpferInnen wie Theobald Wolfe Thone und Constance Markievicz bis hin zur italienischen Guerillaikone Gueseppe Garibaldi und den mexikanischen Freiheitshelden Emiliano Zapata und Pancho Villa.
Der letzte Teil „Die Aufstände der Neuzeit“ beginnt mit Nestor Machno und seinem Kampf für den Anarchismus wider die bolschewistische Tyrannei. Dass die Machno-Bewegung hier inhaltlich einwandfrei dargelegt wird, ist nur zu begrüßen, tendiert der Rest des Kapitels doch ganz klar zu nationalem Befreiungskampf und klassischem Antiimperialismus und Antikolonialismus auf Grundlage kommunistisch inspirierter nationaler Befreiungsbewegungen. Machno und die anarchistischen Werte die er vertrat, fallen hier ziemlich aus dem Rahmen, was in diesem Kontext aber positiv zu bewerten ist. Trotz Machno müssen Leute, die diesem letzten (und auch dem vorhergehenden) Kapitel etwas abgewinnen wollen, definitiv etwas für nationale Befreiungskämpfe übrig haben – und natürlich für den bewaffneten Kampf als Widerstandsform, was uns wieder zu unserem ersten Gedanken zurückführt.
Es überrascht, dass der Begriff „Rebellion“ in diesem Buch auf bewaffneten Kampf reduziert wurde. Tatsächlich ist keine einzige der 30 vorgestellten Personen nicht irgendwie mit Waffengewalt in Verbindung zu bringen oder hat primär in einer Art Widerstand geleistet, die nicht darauf hinausläuft, sich auf ein militärisches Kräftemessen mit dem Gegner einzulassen. Diese eingeengte Sicht auf den Begriff „Rebellion“ ist bedauerlich, denn RebellIn ist eben nicht nur jemand, der oder die bereit ist, jemanden über den Haufen zu schießen oder anderweitig aus dem Leben zu befördern, sondern gewillt ist, gegen einen ungerechten Status Quo aufzubegehren – und hier sind die Möglichkeiten zahlreiche! Bewaffneter Kampf ist hier lediglich ein Extrem der Widerstandsskala und nicht der unvermeidbare, anzustrebende oder stets zu präferierende Modus operandi. Der arabische Frühling ist wohl eines der besten Beispiele der Gegenwart dafür, wie unterschiedlich Widerstand und RebellInnen sein können – von gewaltfreiem zivilen Ungehorsam bis zu Guerillakampf ist hier alles vorhanden. Die Militarisierung des Rebellionsbegriffs, wie er in dem Buch betrieben wird, ist vermutlich nicht nur für überzeugte PazifistInnen störend. Von Rebellion zu sprechen, wenn bewaffneter Kampf gemeint ist, ist für LeserInnen frustrierend, die sich eben kein Buch gekauft hätten, das einen Untertitel á la „Bewaffneter Kampf gegen Unrecht und Unterdrückung“ gehabt hätte.
Ein Fazit zu dieser Zusammenstellung von Menschen, die sich Unrecht und Unterdrückung mit der Waffe in der Hand widersetzten, könnte deshalb so aussehen: Jene Leserinnen und Leser, die etwas für die gute alte Bauernrevolte, bewaffneten Kampf respektive nationalen Befreiungskampf übrig haben, werden dieses Buch mit Gewinn lesen und viele neue Anregungen auch über Persönlichkeiten finden, von denen sie womöglich bislang nur wenig oder gar nichts wussten. Wer aber Rebellion als ein Phänomen begreift, das nicht nur von der Heugabel bis zur Kalaschnikow reicht und auch gerne etwas über andere Formen, Persönlichkeiten und Bewegungen des Widerstands gegen Unrecht und Unterdrückung erfahren will, wird wohl weniger Freude beim Lesen haben und kaum produktive Impulse für das eigene Handeln erfahren können.
Der große Traum von Freiheit. 30 Rebellen gegen Unrecht und Unterdrückung.
Promedia, Wien.
ISBN: 978-3-85731-319-8.
240 Seiten. 17,90 Euro.