Pegida fiel nicht vom Himmel
- Buchautor_innen
- Inva Kuhn
- Buchtitel
- Antimuslimischer Rassismus
- Buchuntertitel
- Auf Kreuzzug für das Abendland
Eine kurze Einführung verortet antimuslimischen Rassismus im Rahmen rassistischer Kontinuitäten und im Kontext (geo-) politischer Interessen.
Es hat, verglichen mit dem großen Buhei, der dann begann, sehr lange gedauert, bis das Phänomen Pegida es in die überregionalen Nachrichten schaffte. Der „Sachsensumpf“ (S. 93) hatte eine neue Blüte hervorgebracht, deren Duft von Woche zu Woche mehr Menschen auf die Straße zog – so viele, dass Ignorieren keine Option mehr war. Anders als „Pro Deutschland“ und Konsorten verdienten die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ mithin den Namen „Bewegung“. Ihre Führungsriege schaffte es aus der Regionalliga fix zur B-Prominenz, der Außenminister fuhr das schwerste Geschütz auf, das hierzulande gegen solche Mobilisierungen aufgebracht wird: Bild und Ansehen unseres Landes im Ausland, Nachteile für den Wirtschaftsstandort.
Das Vokabular in der Berichterstattung über das Dresdener Erfolgsmodell und seine vielen Ableger erinnerte wieder einmal an die 1990er Jahre: „Fremdenfeindlichkeit“ lief die zig-te Ehrenrunde, nur „Islam-Kritik“ gesellte sich zur „Einwanderungs-Kritik“. Die Pariser Anschläge im Januar mit den Mordopfern von Charlie Hebdo und dem jüdischen Supermarkt erteilten der Frage die Absolution, ob nicht doch etwas dran sei an der Aussage, dass zwar nicht alle muslimischen Menschen terroristisch, unter den terroristischen aber verdächtig viele muslimisch seien.
Dass das gelungene Modell einer nicht-parteiförmigen Koalition der sagenumwobenen „Mitte der Gesellschaft“ mit Hools, Neo-, aber auch Paläonazis lange Zeit kaum beachtet und dann als „islamkritisch“ heruntergespielt wurde, hat nicht nur damit zu tun, dass die „Abendspaziergänge“ sich demonstrativ von Medien und Politik abwandten oder dass Pegida sich erst verhältnismäßig spät ein Manifest gab. Es hat vor allem damit zu tun, dass sie sich Artikulationsformen und Inhalte zu eigen gemacht haben, die seit Jahrzehnten von den „Etablierten“ dieser Republik hoffähig gemacht wurden: direkte Demokratie, die Rhetorik vom Boot, das voll sei, die Illustration und der Inhalt zahlloser Titelgeschichten in Stern, Spiegel und Fokus, die Hetze der Bild, die expliziten Äußerungen des Berlin-Neuköllner Bürgermeisters Heinz Buschkowsky oder das vermeintlich weniger explizite „Unbehagen mit dem Islam“, dessen Verarbeitung Alice Schwarzer offenbar so viel Zeit und Nerven kostete, dass sie das Produkt, zur materiellen Kompensation erlittenen Unrechts, unbedingt in Buchform auf den Markt werfen musste – einen Markt, der unersättlich zu sein scheint und den Schwarzer mit Blick auf die 75% der Befragten in einer Zeit-Umfrage, die Pegida „ganz“, „eher“ oder „teilweise“ Recht geben, gern weiter stabilisiert wüsste:
„Sollte die Politik das Unbehagen dieser überwältigenden Mehrheit nicht ernst nehmen, statt es weiterhin zu ignorieren, abzustrafen, ja zu dämonisieren? Denn es ist ja kein Unbehagen am türkischen Nachbarn oder an der türkischen Kollegin. Es ist ein Unbehagen an der offensiven islamistischen Agitation, der Propagierung der Scharia. Es ist das berechtigte Unbehagen an dieser neuen Form des Faschismus.“ (Schwarzer 2015)
„Islamophobie“ oder „antimuslimischer Rassismus“?
Es ist eine der Stärken dieses schmalen Bandes, sich solcher Geschichtsklitterung und Kulturalisierung konsequent zu verweigern. Inva Kuhn gelingt es auf den knapp 100 Textseiten ihrer Einführung, der hegemonialen Rede vom „wesensmäßig anderen Islam“ etwas Fundiertes entgegenzusetzen. Sie zeichnet das falsche Argument von der „Religionskritik“ nach, die nicht rassistisch sei – mit geschichtlichen, ökonomischen, sozialen und geopolitischen Kontexten. Detailreich skizziert Kuhn Debatten um Terrorismus und Antisemitismus („9/11“, „Muslimtests“); Menschenrechte („Kopftuch“, „Frauen-“ und „Homosexuellen-Rechte“, „Kinderrechte“) sowie repräsentative Moscheebauten.
Kuhn plädiert angesichts ethnischer und nationaler Zuschreibungen, die mit individueller Feindschaft und strukturellen Diskriminierungen sehr wohl einhergehen, für den Begriff „antimuslimischer Rassismus“. In Anlehnung an Stuart Hall und im Einklang mit der aktuellen deutschsprachigen Forschung entkoppelt sie in ihrer, an Belegen und Fallbeispielen reichen, Analyse antimuslimischen Rassismus von Theologie und Alltagspraxis des Islams. Es ist nicht das religiöse Bekenntnis, das Menschen „muslimisch“ macht, es sind Aussehen, Namen, Akzente, Kleidungsstücke und andere nicht-religiöse Merkmale, die insbesondere türkisch-, kurdisch- und arabischstämmige Menschen „muslimisieren“. Wesensmäßige Ähnlichkeit besteht, so Kuhn, eher zwischen biologistischem und religiös begründetem Rassismus, beide sortieren „Andere“ trotz augenfälliger Unterschiede zu einer Großgruppe und sorgen dafür, dass diese über Zuschreibungen wie Zurückgebliebenheit und Gewalt gegenüber der „Eigen“-Gruppe abgewertet wird. Ob sich die Zuschreibungen mit der Faktenlage decken, ist dabei so irrelevant wie bei anderen Ausprägungen des Rassismus; es geht darum, wer ein- und wer ausgeschlossen wird.
Die Folie „Orient“ und ihr Abziehbild „Abendland“ verfolgt Kuhn dabei von den ersten Kreuzzügen im 11. Jahrhundert über die Reconquista (christliche „Wiedereroberung“) Spaniens bis zum scheppernden „Der Islam gehört nicht nach Deutschland“ unserer Tage. Ihre Analyse stellt bewusst den Okzident in den Vordergrund , denn die „beschriebenen Konstruktionsprozesse bilden die Machtverhältnisse zugleich ab und stützen sie“ (S. 33).
Der „Westen“ braucht einen (minder werten) „Islam“
Die Konstruktion des Gegensatzes zum „Islam“ und seinen (vermeintlichen) Angehörigen als von ihrer Art und ihrem Wesen nach „Anderen“ schafft Bedeutung, Sinn und Identität – alles Angebote, die nach dem Ende der Auseinandersetzung mit dem „Ostblock“ im übriggebliebenen „Westen“ rar gesät sind. Einem Westen, im Übrigen, der sich bereits seit den 1990er Jahren immer weniger um errungene Standards für seine Bevölkerung interessiert. Nicht erst seit der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise heißt es aller Orten: Wir müssen den Gürtel enger schnallen. Wo „Menschenrechte“ Konjunktur bekommen, befinden sich soziale Menschenrechte in der Rezession. Wo zur Bankenrettung in kurzer Frequenz Milliarden fällig wurden, errungene Standards durch Kürzung von Reallöhnen, Renten und Sozialleistungen, durch Flexibilisierung immer größerer Teile der Arbeitsverhältnisse den gesellschaftlichen Abstieg von einer diffusen Angst zur realen Gefahr im Leben vieler machten, wird die Stigmatisierung vermeintlich „nicht-produktiver“ Teile der Bevölkerung funktional. Bertolt Brechts Wort aus der Dreigroschenoper erklärt, warum Guido Westerwelles „spätrömische Dekadenz“ sich nicht etablierte, Thilo Sarrazins zusätzlich rassistisch aufgeladener Sozialchauvinismus aber sehr wohl: „Und die getreten werden, treten wieder.“
Der Gewalt- und Minderwertigkeitsdiskurs gegen muslimisierte Menschen wird nicht nur im Inland betrieben: Kuhn zeichnet überzeugend nach, wie im Dienst strategischer und wirtschaftlicher Dominanz selbst die Entwicklungspolitik „versicherheitlicht“ (S. 49) wird. Doch auch dort, wo „Krieg“ zur „humanitäre[n] Intervention“ (S. 31) verklärt wurde, gilt:
„Rassismus als Ideologie hat vielfältige Funktionen. Jenseits permanenter Unterwerfung, der Verfestigung sozial und politisch ungleicher Verhältnisse, der Stützung ökonomischer Ausbeutung und in Extremfällen der Vernichtung dient die rassistische Ideologie als Mittel zur Klassenspaltung, um kollektiven Widerstands- und Emanzipationsmomenten entgegenzuwirken. Darum müssen Analysen rassistisch strukturierter Systeme notwendigerweise mit ökonomischen Erklärungsansätzen verknüpft werden. Nur so kann es gelingen, Rassismus historisch einzubetten und seine Ursachen in spezifischen Epochen den jeweiligen (Herrschafts-) Ideologien zuzuordnen“ (S. 20).
Cui bono?
Der Band profitiert enorm davon, dass er antimuslimischen Rassismus nicht von seiner Funktionalität im Gefüge einer (Welt-) Gesellschaft im Umbruch herauslöst. Kuhn situiert die antimuslimische Konjunktur im Zusammenhang rassistischer Antieinwanderungsdiskurse, die sich in immer neuen „Integrationsdefizit“-Themen Bahn brechen, im Kontext des Abbaus sozialer Rechte im Inland, aber auch der deutsch dekretierten Sparpolitik in der EU („Südeuropa lebt auf unsere Kosten“) und der neoimperialistischen (auch wieder militärischen) Rolle, die die BRD in der Welt spielen will:
„Soziale Konflikte und Widersprüche neoliberaler Krisenideologie konnten zu Konflikten zwischen Religionen, Kulturen und nicht zuletzt zu ‚Sicherheitsproblemen‘ gemacht werden. […] Verteilungs-, Leistungs- und Konkurrenzkämpfe verlaufen demzufolge auch entlang rassistischer und nationalistischer Grenzziehungen“ (S. 80).
Die unterstellte „Nutzlosigkeit“ aufgrund einer „zurückgebliebenen“ Lebensweise schiebt die Folgen kapitalistischer Transformation den Opfern in die Schuhe: „Einerseits geht es um die soziale Angst, die Angst vor Verlust der Partizipation in der Arbeits- und Konsumgesellschaft; andererseits schlägt dieses Angstgefühl in ein Leistungsdenken zu Lasten von jeweils noch weiter ‚unten‘ Stehenden bzw. ‚nicht Dazugehörenden‘ um“ (S. 83).
„Antimuslimischer Rassismus. Auf Kreuzzug für das Abendland“ interveniert auf gekonnte, gut lesbare Weise in eine vermutlich leider noch lange andauernde Debatte. Inva Kuhn vermeidet Bagatellisierungen, die viel zu oft anzutreffen sind, etwa wenn Rassismus gegenüber muslimisierten Menschen als (individuelles) Vorurteil oder als „(neutrale) Religionskritik“ rubriziert wird. Es geht ihr ums Ganze: Sie will nicht belegen, dass Muslim_innen auch gute Menschen sein können. Es geht ihr darum, den Unsinn in der Grenzziehung zwischen „Deutschen“ und „Muslimen“ zu entlarven – und damit auch Spielräume für solidarische Allianzen zu eröffnen. Das Büchlein ist damit – trotz seines etwas schematisch gestalteten Einbandes – eine notwendige Standortbestimmung zur rechten Zeit.
Zusätzlich verwendete Literatur
Alice Schwarzer (2015): Sie fliehen von den Islamisten. Online einsehbar hier.
Antimuslimischer Rassismus. Auf Kreuzzug für das Abendland.
PapyRossa, Köln.
ISBN: 978-3-89438-560-6.
110 Seiten. 9,90 Euro.