Nirgendwo daheim mit Bruno Vogel
- Buchautor_innen
- Raimund Wolfert
- Buchtitel
- Nirgendwo daheim
- Buchuntertitel
- Das bewegte Leben des Bruno Vogel
Der Homosexuellenrechtler, antirassistische Aktivist und Anarchist Bruno Vogel bekommt seine erste umfangreiche Biografie.
Wenn jemand von einem Angehörigen des Militärs mit „dreimal verfluchtes schwules Anarchistengeficke“ (S. 13) beschimpft wird, ruft das bei mir nicht nur widersprüchliche Reaktionen wie Ärger und Schmunzeln, sondern auch unweigerlich Interesse hervor, wer diese Person ist, auf die sich autoritär-reaktionärer Zorn derart zu konzentrieren scheint. Der Beschimpfte war Bruno Vogel (1898-1987), ein heute wohl wenig bekannter gebürtiger Leipziger, der sich in unterschiedlichen Epochen vor allem literarisch diversen politischen Themen widmete. Meist in Form von Glossen, Kurzgeschichten und Romanen verschriftlichte er sein politisches Engagement. Die drei Hauptthemen, die sein literarisches Schaffen durchziehen, waren der Antimilitarismus und Pazifismus, der Kampf für die Rechte von Homosexuellen sowie der Antirassismus. Raimund Wolfert widmet dieser bemerkenswerten Person nun eine umfangreiche und akkurat recherchierte Biografie.
1916 meldete sich Vogel noch als Kriegsfreiwilliger, um in die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ – den Ersten Weltkrieg – zu ziehen. Geprägt von diesen Erfahrungen wurde sein antimilitaristisches Engagement immer stärker. Bereits 1924 erschien eines seiner wohl bekanntesten antimilitaristischen Werke „Es lebe der Krieg!“, das dem Vernehmen nach bald in einer Neuauflage erscheinen soll. Bereits ein Jahr danach wurde gegen das Buch eine Klage eingereicht, weshalb Großteile der 2. Auflage beschlagnahmt wurden. 1926 gründete er gemeinsam mit Kurt Hiller die Gruppe Revolutionärer Pazifisten, eine radikale pazifistische Organisation, für deren Standpunkte Kurt Tucholsky (ebenfalls Mitglied der Gruppe) den Begriff des „militanten Pazifismus“ prägte. Vogels politische Ausrichtung wurde in der Folge immer konkreter: „Der junge Vogel war seit dem Ende des Ersten Weltkriegs nicht nur Pazifist, sondern auch Sozialist, Anarchist und Atheist. […] [N]och Ende der 1970er Jahre definierte er seinen Standpunkt als sozialistisch-anarchistisch“ (S. 23). Er publizierte unter anderem in Zeitschriften wie Der Syndikalist, Vorwärts, Die Rote Fahne, Der sozialistische Atheist, Arbeiterstimme und Die rote Front.
Vogels zweites Buch erschien 1928 und trug den Titel „Ein Gulasch und andere Skizzen“. Teile der darin versammelten Erzählungen waren bereits zuvor in der Zeitschrift Der Syndikalist der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) erschienen. War „Es lebe der Krieg!“ thematisch noch hauptsächlich im Antimilitarismus beheimatet, so spielte laut Wolfert in dem zweiten Buch Vogels „das Thema Homosexualität eine nachhaltige Rolle“ (S. 60). Dieser thematische Trend sollte durch das dritte und wohl einflussreichste Buch neben „Es lebe der Krieg!“, das den Titel „Alf“ trägt, fortgesetzt werden. „Alf“ erschien erstmals 1929 im anarchistischen Asy-Verlag. Dieser Roman war „eines der ersten Werke der deutschen Literatur, das Homosexuelle als ‚gewöhnliche Menschen‘ zeigt, weder als krank oder kriminell oder dekadent oder pervers“ (S. 62). Der Roman handelt von Felix und Alf, zwei Jugendlichen, die sich ineinander verlieben, deren Beziehung jedoch durch äußere Umstände wie Staat, Religion, Krieg et cetera zerstört wird.
1931 begann für Bruno Vogel die Zeit der Emigration, die ihn zuerst aus Berlin über Leipzig und die Tschechoslowakei nach Wien brachte. Von dort aus ging es bereits 1933 weiter über die Schweiz und Frankreich nach Norwegen in die Stadt Tromsø. Dort verfiel er, geplagt von Einsamkeit und körperlichen Leiden, in schwere Depressionen und war als Schriftsteller kaum mehr produktiv. „Neben Hoffnungslosigkeit machten sich Verlusterfahrungen geltend, und er fragte sich, ob er die Menschen, an denen er hänge, je wiedersehen werde“ (S. 97), so Wolfert zu dieser Periode. Der Autor zitiert immer wieder aus Briefen Vogels und es wird deutlich, dass die Depressionen ihn bis zu seinem Tod in London begleiteten. Vogel verbrachte, nachdem er Tromsø verlassen hatte, insgesamt 15 Jahre in Südafrika – in einem Südafrika der Apartheid. Vor allem diese Erfahrungen ließen sein antirassistisches Engagement erstarken, das bis zu seinem Tod in London sein politisches Hauptthema zu bleiben schien. Literarisch konnte er aber nicht mehr an die Erfolge seiner früheren Romane und Erzählungen anschließen. Auch schien er größtenteils nicht besonders viel Glück mit seinen Verlegern und anderen Kontaktpersonen in dieser Branche gehabt zu haben, was seine Frustration und Verbitterung noch weiter steigerte.
Bruno Vogel kann, wie hier schon deutlich wird, von mehreren Seiten her betrachtet, analysiert und beschrieben werden: als Pazifist, Anarchist und Anarchosyndikalist, Homosexuellenrechtler, Antirassist, Literat. Es ist das Verdienst dieses Buches von Raimund Wolfert, dass Vogel von all diesen Seiten eingehend behandelt wird. Die Falle, sich lediglich einer selektiven Darstellung dieser Persönlichkeit hinzugeben, wurde so umgangen. Zudem rückt Wolfert durch die Sichtung unzähliger Briefe und Korrespondenzen (hier sind vor allem die Briefe an Kurt Hiller seine wichtigste Quelle) auch den „Menschen“ Vogel in den Blickpunkt – ein von Depressionen, Schreibblockaden und Einsamkeit geplagter Mensch. Was einem folglich in „Nirgendwo daheim“ geboten wird, ist ein umfangreiches und gut recherchiertes Portrait dieses beeindruckenden Menschen.
Nirgendwo daheim. Das bewegte Leben des Bruno Vogel.
Leipziger Universitätsverlag, Leipzig.
ISBN: 978-3865836359.
303 Seiten. 29,00 Euro.