Nachkrieg
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1918ff: Durchbruch und Niedergang der Soldatenräte – Ludwig Renns Erfahrungsbericht in “Nachkrieg”
Das bekannteste Buch von Ludwig Renn, “Krieg”, machte seinerzeit Remarques ”Im Westen nichts Neues” erfolgreich Konkurrenz. Von einer wesentlich genaueren Perspektive her. Nicht wie bei Remarque derjenigen der enttäuschten Abiturienten, die 1914 so froh gewesen waren, etwas zu erleben – und es dann gründlich erlebten, soweit sie dazu noch in der Lage waren. Renn schildert vom proletarischen Standpunkt aus den Gegensatz von Mannschaft und Offizieren. Das ist um so überraschender, als Renn keineswegs als gemeiner Muschkote den Krieg mitgemacht hat, sondern als Berufsoffizier aus Sachsen, Adliger, mit dem Königshaus verwandt. Mit seinem ursprünglichen Namen: Vieth von Golßenau. Es bedurfte einer langwierigen inneren Umstülpung, bis er den Gemeinen Renn in sich entdeckte.
In dem Buch “Nachkrieg” (1930) zeichnet Renn noch schärfer den Gegensatz zwischen einer breiten Masse durchaus umsturzbereiter Soldaten und der sich neu formierenden Reaktion. Genau gesagt: Renn nimmt den Standpunkt eines in Abwicklung befindlichen Feldwebels in Dresden ein, der mitansehen muss, wie aus dem Feld zurückgekehrte Truppen sich unter dem Befehl von Noske und anderen kriegerischen Sozialdemokraten zur Schutzgarde der bestehenden Verhältnisse und ihrer Nutznießer neu formieren.
Eine große Rolle in dieser Entwicklung spielen die Soldatenräte. Waren sie nicht genau wie die Arbeiterräte im Augenblick der Revolution gegründet worden, um eben der Übermacht der kapitalistischen Ausbeuter auf der einen Seite wie der Offiziere auf der anderen entgegenzuwirken? Renn gibt sich als eine Art Simplicissimus. Ohne Kenntnis der politischen Bestrebungen seiner Zeit arbeitet er sich nur langsam aus dem Wust von Pflichtvorstellungen und Vorstellungspflichten hervor, die ein Vizefeldwebel zum Dienst mitzubringen hatte. Die Truppe Renns, im Güterwagen, Ende 1918 auf der Rückfahrt ins Reich. Sie stoßen in einem Grenzbahnhof auf Soldatenräte, die Maschinengewehre auf sie richten. Es kommt zur Rangelei zwischen den heimkehrenden Truppen, mit Soldatenräten der Matrosen. Am Ende werden die Matrosen-Soldatenräte entwaffnet. Verblüffend die Nachbesprechung. Sie wird von einem Major geleitet, der sozusagen richterlich die verschiedenen Kompanieräte anhört. Man steht immer noch stramm vor dem Vorgesetzten. Diskutiert wird: War das Wegnehmen der Waffen der Matrosen richtig?
“Der Kampf war unnötig und falsch!” sagte der Soldatenrat Hermann mürrisch. Er war Sozialdemokrat. “Was hatten die Lumpen Maschinengewehre auf uns zu richten? Ohne das hätten wir sie nie angegriffen.” “Wollen sie sich wegen der Dummheit auf der nächsten Station im Binnenland zusammenschießen lassen?”, fragte Hengeler scharf mit nach der Seite gewendetem Kopfe, während er noch immer vor dem Major strammstand. “Wir wollen machen, was die Herren Offiziere sagen” sagte Höhle. “Es ist Revolution. Wir Soldatenräte haben jetzt die vollziehende Gewalt” knurrte Herrmann. “Da irren sie sich” sagte der Major leichthin. ”Wir haben die klare Anweisung, von der Division gegengezeichnet durch die Vertrauensleute – nicht Soldatenräte! – dass die Offiziere nach wie vor die vollziehende Gewalt haben.” (S. 299)
Doppeldilemma: Einmal hängen alle Räte noch an den ursprünglich hierarchischen Ordnungen des Heeres, können also leicht entweder genau wie die früheren Offiziere die Obergewalt über untergeordnete Gruppierungen beanspruchen – oder sich einfach als autonomer Landsknechthaufen gegen alle anderen durchsetzen. Zum andern – gerade angesichts der unauflöslichen Unordnung besteht immer die Versuchung, sich lieber noch an die hergebrachten Offiziere zu halten als an die schwankenden undurchschaubaren Räte.
Das Militär wird offenbar ganz nach den ursprünglichen landsmannschaftlichen Gliederungen wieder abgewickelt. Renns Truppe also in Dresden. Es zeigt sich, dass bei ungeschulten Leuten ohne große Verbindung untereinander die Einrichtung der Räte allein nicht genügt, um den neuerlichen Sieg der Reaktion zu verhindern. Renn schildert einen "Kameraden", der in großem Stil mit Zigaretten um sich wirft, und prompt gewählt wird. Nicht nur für ein Regiment, nein, er wird sogleich Soldatenrat auf Bataillonsebene, in bestem Einvernehmen mit dem überkommenen Major aus dem Krieg. Am Ende nimmt er seinen Abschied, und taucht als Vertreter der "antibolschewistischen Liga" wieder auf. Im Privatleben Kaufhausbesitzer in Dresden.
Dieser Fall – allzu offensichtlich, aber offenbar nicht unmöglich – rührt her aus der Isolierung der Soldatenräte gegenüber den Arbeiterräten aus den Betrieben. Renn selbst schildert im Nachwort als einen Mangel seines Buchs und der von ihm erfundenen Hauptperson, dass deren Leben vor dem Krieg, außerhalb des Militärs, im Dunkel bleibt. Damit lassen sich romantechnisch Kontakte mit früheren Kumpeln aus dem Betrieb schlecht darstellen. Es kommt historisch hinzu, dass es in der feinen Residenzstadt Dresden wenig Industrie gab.
Auch die ehrlich gewählten Soldatenräte erweisen sich als kaum fähig, der Reaktion Widerstand zu leisten. Allzuleicht lassen sie sich in Diskussionen verwickeln über Tagesfragen – etwa die Wöchnerinnenbeihilfe für ihre Frauen -, die zwar wichtig und unerlässlich sind, aber manchmal doch zurückstehen müssten vor Überlegungen über die Gesamtsituation. Hinzukommen – offenbar nie angefochtene – Doppelabhängigkeiten. Als Renn selbst zum Soldatenrat auf Bataillionsebene vorgeschlagen wird, bedarf er erst der Genehmigung des zuständigen Obersten. Welcher zunächst Renn für pflegeleicht hält, bis der einmal Widerspruch wagt. Dann soll er den Posten – freiwillig gezwungen – wieder abgeben.
Am schlimmsten das Festhalten an leeren Worten ohne präzise Inhaltsbestimmung wie "Revolution". Naiv wird zunächst angenommen, dass die SPD, die in Sachsen an der Regierung ist, nichts besseres im Sinn hat, als den Sozialismus voranzutreiben. Ein Vetreter dieser Partei, rührigster Soldatenrat, wird nicht müde, alle halben Zugeständnisse an das immer noch vorhandene Offizierskorps zu verteidigen.
Die einfachen Soldaten bestehen – hier und da – auf der roten Fahne, erzwingen ein wenig zusätzliches Schwarz-Rot-Gold auf den Achselstücken der Offiziere und lassen diese nicht auf Wache ziehen. Übersehen dabei völlig, dass neben ihnen – der "Sicherheitstruppe" unter SPD-Dominanz – der "Grenzschutz" aufgebaut wird, aus dem dann die spätere Reichswehr ihre Leute rekrutiert. Ganz ohne Räte. Es geht gegen Polen, die Rettung Schlesiens usw. Schließlich die reinen Freiwilligen-Söldner-Truppen der "Freikorps", die offen konterevolutionär, vor allem antibolschewistisch, auftreten. Ein beklemmendes, aber überaus notwendiges Zeugnis des Niedergangs der Rätebewegung im Heer.
Dabei war die "Sicherheitstruppe" in Sachsen immer noch mehr als das, was die SPD im Reich je hinbekommen hat. Es war wenigstens ein Versuch gewesen, eine Truppe zu schaffen, die als Minimum die geschehene Umwälzung von der Monarchie zur Parlamentsherrschaft anerkannte. Also ohne die Unterwerfung Eberts gegenüber Hindenburg und Gröner auszukommen. Nur – auch in ihr erlag der ursprüngliche demokratische Impuls.
Die wichtigste Lehre aus diesem exemplarischen Bericht aus den Jahren von Kriegsende bis Kapp-Putsch ist, dass die Institution der Räte, wie unerlässlich sie sein mag, nicht funltionieren kann ohne ein kritisches Bewusstsein der Wählenden. Dieses wieder nicht gedacht als ein innerliches Grummeln im Sinn der vier hessischen Aufrechten, sondern als ein durch Diskussion gefestigte Kenntnis gemeinsamer Interessen, Absichten und Ziele.
Mit anderen Worten: Räte klappen nicht ohne Partei. Was sich in Russland 1905 bei der ersten Rätebewegung, viel machtvoller als je eine in Deutschland, herausstellte: Auch aktivere Räte waren der zentral vorgehenden Restarmee nicht gewachsen. Eine Stadt nach der anderen wurde vom zaristischen Heer erledigt, während umgekehrt die Räte sich nur jeweils auf den eigenen Verteidigungsraum beschränkten – und verloren.
Die Rätebewegung 1917 – koordiniert und zusammengeschlossen durch die Parteiwiderstand den schlimmsten Attacken der Interventionisten.
Räteherrschaft bleibt ein wichtiges Hilfsmittel zur Durchführung von Revolution, aber kein Selbstzweck. Die bewußtseinvereinheitlichende Kraft der Partei muss die Wähler der Räte, ihre Träger und Kontrolleure durchdringen. Nur freilich: Unbestreitbar hat die Kommunistische Partei in Russland zwar die Räte vereinheitlicht, am Ende aber ihre Selbstständigkeit aufgefressen – und das schon in der Leninzeit, lange vor dem Herrschaftsantritt eines Stalin, dem man sonst alles Schlimme in der Sowjetunion nachsagt. Bleibt als ungelöstes Problem: Räte ja – gestützt und vereinheitlicht durch die Partei – oder Parteien? - aber: Räte zugleich als Gegengewicht und Kontrollorgan gegen Allmachtsphantasien der Funktionäre und gegen Partei als bloßen Staatsbehelf.
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Die Rezension erschien zuerst im Dezember 2008 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, ps, 01/2011)
Nachkrieg.
Verlag Das Neue Berlin, Berlin.
ISBN: 3-360-01246-1.
255 Seiten. 16,90 Euro.