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Mein Freund Klaus

Buchautor_innen
Peter O. Chotjewitz
Buchtitel
Mein Freund Klaus
Chotjewitz als Archäologe der Gegenwart liefert ein Bild Croissants und der ganzen Stadt.

1968-1978. Die Epoche, elegant verpackt, wird als bleierne Zeit weitergereicht. Zu Ende verstanden. Meist Auslöser erleichterten Aufatmens. Damals bleiern, heute golden. Nur dass das zu Ende Verstandene zugleich das Unverstandenste bleibt.

Peter Chotjewitz, einst selbst in seiner Funktion als gelernter Rechtsanwalt, zeitweise Verteidiger Baaders, hat einen ganz eigenen Weg gefunden, um die Scheinsicherheiten über RAF und Stammheim zu bekämpfen und zu beenden. Er macht die Suche nach Kenntnissen über die Zeit selbst zum Inhalt des Buchs. Das Verschüttete der Erinnerung, das Entstellte, das Vergessene und Verdrängte einer Epoche, die doch gerade um dreißig Jahre zurückliegt, wird damit selbst gegenwärtig. So wie Ophüls die Suche nach Barbie über die Welt in einem Film darstellte, so geht Chotjewitz vor. Dass er den Anwalt der Stammheimer, Croissant, aus frühesten Tagen kannte, wird ihm zum willkommenen Aufhänger der Darstellung. Keineswegs erschöpft sie sich darin. Eine ganze Welt wird wieder hervorgerufen beziehungsweise neu bekannt gemacht. Gerade Stuttgart, das sonst nicht im Rufe steht, ein Zentrum der Revolution darzustellen, wird in seinen linken Verästelungen sichtbar. Da taucht etwa Grohmann auf oder der Buchhändler Niedlich. Also heute noch Lebende unter vielen Toten.

Croissant selbst: der Mann aus gutem Hause und aus Kirchheim/Teck. Der Student aus Heidelberg. Der erfolgreiche Rechtsanwalt, von vielen geschildert als Dandy, als Bonvivant, als Frauenheld. Chotjewitz betont immer wieder das nicht primär Marxistische in der Entwicklung Croissants. Gerade an den Demos ab 67 nahm er so wenig Teil wie an den hektischen Schulungen und Diskussionen. Ein wenig wie Riemeck und Meinhof selbst erwächst seine Gegnerschaft zum “System”, wie man damals zu sagen begann, gerade aus dem beleidigten Ehrgefühl, dem enttäuschten Glauben an den Staat als Garant von etwas, das mehr oder weniger Gerechtigkeit sein sollte. Wie es vielen von uns ging: Wir wären die größten Verteidiger des Rechtstaats und des Grundgesetzes und anderer schöner Dinge geworden, wenn uns nur einer hätte vormachen können, wie das widerspruchsfrei möglich hätte sein können. Nur, den fanden wir nicht. Dieser Ausgangspunkt schließt allerdings den Übergang von der bürgerlichen Empörung und Auflehung zur marxistischen Analyse weniger aus, als Chotjewitz anzunehmen glaubt.

Sehr wahrscheinlich allerdings die Begründung, die Chotjewtz anbietet, warum Croissant so viel härter verfolgt wurde als andere Rechtsanwälte, die wie er wegen des so genannten Info-Systems rechtlich verfolgt wurden. Groenewold zum Beispiel. Chotjewitz nahm an, dass gerade die aus der Mitte des Bürgertums ausbrechende Empörung für die Obrigkeit besonders angsterregend war. Der Block des Bürgertums gegen die abstrakte Bedrohung, die schon damals “Terrorismus” genannt wurde, musste geschlossen bleiben. Fremdkörper im Innern der Festung vernichten.

Im Übrigen, Mitteilung an alle, die sich noch erinnern: sämtliche beteiligten Rechstsanwälte, mit Ströbele angefangen, halten es bis heute für legal, einen Prozess mit vielen Angeklagten und vielen Verteidigern dadurch zu koordinieren, dass alle betreffende Papiere bei allen herumgeschickt werden. Umgekehrt war es unbestreitbare Absicht des Krisenstabs, die Angeklagten der RAF nicht nur von der Außenwelt, sondern auch voneinander zu isolieren. So gesehen ist natürlich klar, dass das Info-System selbst zur Unterstützung einer Straftat wurde.

Croissants Büro war so verwanzt, dass damals kaum einer ein offenes Wort sich traute. Der spätere Kronzeuge Speitel wurde - nach verschiedenen Mutmaßungen - entweder von vornherein als Staatsschutz-Spitzel eingeschleust - oder nach der Verhaftung zu Aussagen erpresst. Wie Chotjewitz berichtet, hatten BKA und der Krisenstab sich darauf geeinigt, dass Croissant die Spinne darzustellen habe in einem riesigen Netz. Von dessen Zentrum aus wurde alles gesteuert, was es zwischen Libanon und Stammheim Böses gab. Dem Konstrukt folgt die Verwirklichung durch Zurichtung. Vom ganzen Büro Croissant blieben am Ende zwei Schreibkräfte übrig, bevor es geschlossen wurde. Croissant sah sich so in die Enge getrieben, dass er nach Paris floh, um von dort aus die Öffentlichkeitsarbeit für die Stammheimer zu betreiben. Unter dem Druck der Bundesrepublik entschloss sich Frankreich gegen seine Tradition, Croissant auszuliefern, allerdings so, dass die meisten Delikte, in Deutschland frisch erfunden, in Frankreich unbekannt, nicht Gegenstand der Anklage werden durften. Etwas kleinlaut wurde dann im endgültigen Urteil verlautbart, jede Einzelhandlung für sich sei nicht strafbar. Aber man müsse alles im Gesamtzusammenhang der “Unterstützungsabsicht für die Gefangenen” sehen.

Chotjewitz selbst spricht sich zwischendurch kühn für das Recht auf bewaffneten Kampf aus. Bekennt allerdings von sich selbst, für viele andere mit, dass er sich damals nicht aktiv beteiligt hätte, weil ihm das sonstige Leben zu wichtig gewesen wäre. Bekennt auch, dass Ulrike Meinhof bei ihm per Kassiber angefragt hatte, ob er eine Dokumentation herausgeben wolle über ihre vierzehn Monate im Toten Trakt in Köln-Ossendorf. Wie Meinhof befürchtete, war er dafür “zu faul”.

Schärfer noch als Jutta Ditfurth in ihrer Biographie der Ulrike Meinhof entwirft er ein Gemälde vom einheitlichen Willen im Staatsapparat, sich der revolutionären Gegner auf alle Fälle zu entledigen, ohne Rücksicht auf bestehende gesetzliche Regelungen. Chotjewitz geht soweit, einen einheitlichen Schießbefehl gegen alle festgenommenen RAF-Mitglieder anzunehmen. Petra Schelm, Weissbecker, der im Bismarck-Gymnasium Karlsruhe in die Schule ging, und so viele andere - vorsätzlich durch Scharfschützen abgeknallt? Bei Chotjewitz nur in Gesprächsform geäußert, ohne Beleg. Lassen wir es in dieser Wese stehen.

Ausführlich geht Chotjewitz noch auf die letzten Jahre Croissants ein - als Lebensgefährte von Brigitte Heinrich, der anti-imperialistischen Kämpferin. Sie war Europa-Abgeordnete der Grünen; Croissant in dieser Zeit in Brüssel ihr Assistent. Ihr Begräbnis als Großereignis wird ausführlich geschildert, merkwürdigerweise nicht die hämischen Absagen an sie nach diesem Begräbnis, wie sie in Frankfurt damals verbreitet wurden. Wohl vor allem über Cohn-Bendits Meinungspostille “Pflasterstrand”. Und zwar richteten die Angriffe sich nicht auf ihre Zusammenarbeit mit der Stasi-Behörde in der damaligen DDR - damals wusste man noch nichts davon, weder von dem, was sie, noch was Croissant in Ost-Berlin zum Besten gaben. Nein, die Angriffe richteten sich gerade auf ihr anti-imperialistisches Engagement. Offenbar fand es die Fischer-Cohn-Clique damals an der Zeit, den Anti-Imperialismus zurechtzustutzen und einzudämmen. Die Regierungsbereitschaft der Grünen bereitete sich vor.

Ein Buch wie das von Chotjewitz ist seiner Struktur nach immer Work in Progress. Die Frage, die Untersuchung könnte immer so weitergehen. So etwa ein Problem: Als den Stammheimern die meisten Rechtsanwälte entzogen worden waren, meldeten sich Kempf und Pfaff, beide damals beim KBW. Während Jutta Ditfurth explizit behauptet, solche Anwälte seien in Stammheim sehr ungern gesehen gewesen, von den Gefangenen wohlgemerkt, berichtet Chotjewitz, dass gerade Andreas Baader sich voll zufrieden gezeigt hätte. Ohne sich über Wert und Unwert der zugehörigen Pertei äußern zu wollen.

Chotjewitzens Buch heißt Roman - wohl mehr aus juristischen Gründen. Gemeint ist das Werk jedenfalls - ob nun als Roman oder als Reportage - einmal als Bericht über eine archäologische Suche in einem Trümmerfeld, das doch unser eigenes Leben darstellt. Zum andern wird es um so wichtiger werden als Handbuch einer Epoche, je weniger Zeitgenossen sich noch unmittelbar erinnern.

Erfreulicherweise verbreitet der Autor keineswegs Tröstungen für die Zukunft. Keine Mitteilung darüber, wir hätten die Zeit der Rechtsbrüche glücklich hinter uns. Der Unterschied zu der Zeit von vor dreißig Jahren liegt vielleicht nur darin, dass die von Schäuble und Co. geplanten Gesetze so weit und so unbestimmt abgefasst sein werden, dass sie nicht mehr gebrochen werden müssen, um alles zu erlauben, was dem Gemeinwohl dienen könnte. Einem Gemeinwohl, versteht sich, das die Oberen für uns und statt unser bestimmen.

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Die Rezension erschien zuerst im Januar 2008 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, ps, 01/2011)

Peter O. Chotjewitz 2007:
Mein Freund Klaus.
Verbrecher Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-935843-89-8.
576 Seiten. 22,00 Euro.
Zitathinweis: Fritz Güde: Mein Freund Klaus. Erschienen in: . URL: https://kritisch-lesen.de/c/787. Abgerufen am: 29. 03. 2024 00:14.

Zur Rezension
Rezensiert von
Fritz Güde
Veröffentlicht am
01. Januar 2008
Eingeordnet in
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Zum Buch
Peter O. Chotjewitz 2007:
Mein Freund Klaus.
Verbrecher Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-935843-89-8.
576 Seiten. 22,00 Euro.