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Konservatismus nach Auschwitz

Buchautor_innen
Ludwig Elm
Buchtitel
Der deutsche Konservatismus nach Auschwitz
Buchuntertitel
Von Adenauer und Strauß zu Stoiber und Merkel
Ludwig Elm entwirft das Bild der sechzig Jahre Bundesrepublik und zeigt, wie sie die fragwürdigsten Traditionsbestände zugleich festhält und verleugnet.

"Es ist einfach unsinnig, zeitgenössische Programme, Parteien oder Regierungen als konservativ zu bezeichnen, die sich dem technologischen Fortschritt, der sozialen Mobilität und somit dem neuzeitlichen Grundsatz von der Machbarkeit der Welt verschrieben haben." (Kondylis 1986)

Ganz anderer Ansicht ist Ludwig Elm. Er setzt in seinem neuen Buch Der deutsche Konservatismus nach Auschwitz gegen Kondylis auf die Tragfähigkeit des Begriffs. Wenn wir Konservatismus bestimmen als Festhalten an Traditionen, zeigt sich sofort ein Problem. An welchen Traditionen konnte wer festhalten? Und das "nach Auschwitz" bezeichnet genaus das, auf das keine und keiner eine Tradition gründen konnte, nicht einmal die bekennenden Rechten.

Tradere: weiterreichen, übermitteln. Untersuchungsgegenstand des Buchs ist demnach, was überhaupt weitergegeben und übernommen werden konnte - unter Umgehung eben von Auschwitz. In welchem Umfang konnte hinter die Zeit des Nationalsozialismus zurückgegriffen werden?

Insofern der Nationalsozialismus mit seiner Rassenlehre sich grundsätzlich auf Biologie, nicht auf Geschichte berief, benötigte er im Kernbereich seines Handelns gar keiner Tradition. Biologie, Natur ist sich immer gleich. Was natürlich nicht ausschloss, dass Traditionalisten aller Art andockten. Etwa die Theorie vom Lebensraum ist dem Muster nach biologisch: Wie das Tier ein Territorium verteidigt, so ein Volk ”seinen” Raum. Zugleich konnten alle möglichen Traditionen der Reichsherrschaft über slawische Völker, aber auch Erinnerungen an das Zusammengehen der Territorialmächte Österreich, Russland, Preußen bis 1848 darin eingehen. Moeller van den Bruck, Schöpfer des Worts vom ”Dritten Reich”, erinnerte ausdrücklich daran.

Wie konnte in diesem Licht nach Auschwitz, nach dem absoluten Bruch mit allem bisher Ausdenkbaren und Überlieferten, überhaupt an etwas angeknüpft werden?
Es ging nur im Rückgriff auf diejenigen, die schon den Krieg davor verloren hatten. Die Verlierer des Zweiten Kriegs wollten von denen des Ersten lernen. Die Konservativen vor 1933 hatten genau so versucht, hinter der damaligen Niederlage von 1918 etwas zu finden, an das sie sich halten konnten - und von dem aus der Versuch unternommen werden konnte, die Nazis - wie man dachte - in Dienst zu nehmen. Die Nazis mit der ungeheuren Wucht ihrer Massenbewegung hatten dann Konservative wie Papen oder Neurath ihrerseits überwältigt.

Die Haltung Filbingers, die im Buch von Elm ausführlich behandelt wird, bietet dafür das eindringlichste Beispiel. Er war tatsächlich kein Nationalsozialist, wenn es auf den Hirninhalt ankommt. Er war überzeugter Konterrevolutionär - im Retro-Look von 1918. Dass damals die Matrosen den Beginn der Revolution gesetzt hatten, ging ihm als Grundangst 1945 nicht aus dem Sinn. Sollte der Krieg auch wie 1918 verloren gehen, für Filbinger hieß der Imperativ: den Matrosen keine Chance bieten. Es sollten nach der Niederlage der Nazis wieder irgendwelche Eberts und Noskes Ruhe und Ordnung wahren. Wenn die dieses Mal Adenauer und Erhard hießen, und gleich offen für christliche Tradition und Eigentumswahrung antraten, statt nur verschämt wie die Sozen 1918, dann um so besser. Das nicht als Entschuldigung für Filbinger gesagt: Im Gegensatz zu denen, die beim Kriegsende wenigstens erkannten, dass sie verloren hatten, zeigte er eine Verbissenheit, die gefährlicher war als ein lauwarmer Abschiedsfaschismus mit Andockbemühungen beim stärkeren Imperialismus der USA. Konnte man die Welt nicht selbst erobern, dann nach Möglichkeit Anschluss suchen beim derzeitigen Champion.

In diesem Sinn zieht Elm die Linie der Entwicklung seit 1949 bis hin zur Ära Merkel als eine der kontinuierlichen Abwehr der Traditionslinie von 33-45, ohne sie zugleich jemals abschütteln zu können und zu wollen. Eins der Themen von Elms, an denen sich das selektive Aufgreifen der Traditionen besonders deutlich zeigt, ist der beibehaltene Antikommunismus. Für den hatte es schon in den zwanziger Jahren ausgebaute Muster gegeben: Seine mörderische Ausprägung im Vernichtungskrieg gegen die UDSSR konnte einbegriffen und bejaht werden im Kalten Krieg, aber in vollem Stillschweigen. So kam es in der Bundesrepublik zum erbitterten Kampf gegen Links. Über KPD-Verbot und Bekämpfung ehemaliger KPD-Mitglieder hinaus in der Dauerverdächtigung bei jedem Argument: ”Ihr Pazifisten nützt nur denen. Geht doch gleich nach drüben.” Konservatismus in diesem Sinn war keineswegs Privileg der Rechtsparteien. Etwas ausführlicher hätte bei Elm der Beitrag der SPD schon und vor allem unter Schumacher zu diesem Antikommunismus als Fundament dieses Konservatismus behandelt werden können. Erst die gemeinsame Front von SPD, FDP, CDU und allen weiteren Rechtsparteien konnte den freien Blick so verrammeln, den Horizont so schließen, wie er damals geschlossen und endgültig schien.

Ludwig Elm zeichnet die notwendigen Veränderungen dieses Konservatismus in seinen wechselnden Etappen nach bis auf den heutigen Tag. Nach 1949 entsprach der Verfolgung der Linken komplementär die Integration der Rechten. Genauer gesagt: Integration der früheren Nazis. Best und Achenbach als Beispiel genommen. Best, ehemals nach Heydrich einer der Ranghöchsten im Reichssicherheitshauptamt hielt sich nicht auf bei den kleinen Splitterparteien SRP und DRP. Er machte sich resolut an die Umwandlung der FDP in Nordrhein-Westfalen. Mit Goebbels' Staatssekretär Naumann an der Spitze. Es bedurfte des Eingriffs der englischen Besatzer, um den braunen Vormarsch zu stoppen. Adenauer nahm es hin, tat selbst aber nichts zur Reinigung.

Ab wann gingen Risse durch das System Adenauer? Spätestens nach seinem erzwungenen Rücktritt. Im Zusammenschluss mit einer SPD, die ihrerseits gerade auf die eigenen Traditionen verzichtet hatte im Godesberger Programm, hatte der fingierte Anschluss an die Demokratie der Weimarer Republik selbst seine Glaubwürdigkeit verloren. Damals hatte es die längste Zeit doch immerhin eine Art Opposition gegeben. Als dann der Begriff APO (außerparlamentarische Opposition) aufkam, mussten die Konservativen eine erneuerte Rüstung anlegen. In dieser Zeit wurde die Angst vor den Massen, die schon das Grundgesetz bestimmt hatte, noch einmal aktiviert und verstärkt.

Unter Führung der Springer-Presse wurde der Ansturm der Gegner - Studenten und teilweise Arbeiter - als einer der erneuten Pogrom-Meute hingestellt und entsprechend bekämpft. Studenten galten ehemaligen SA-Männern als neue erbittert zu bekämpfende SA. Das heißt, dieser erneute Konservatismus bediente sich des von ihm mitgetragenen Faschismus als erlogenen Gegenbilds: ”Jetzt aber stark bleiben, nicht schwach, wie wir 1933 es waren, als wir erlagen.” Der Opferstatus gehört unerlässlich zu dieser Art von Traditionslegende.

Nach 1969, in der Zeit der Brandt/Genscher-Ostpolitik, folgte eine Rückbesinnung aufs offen Nationale im Widerstand gegen die Ost-Verträge. Die neugegründete und in dieser Stimmung erstarkte NPD wirkte damals nicht so offen nazistisch wie heute. Sie wirkte eher als Schutz- und Sturmtruppe der Konservativen, um das auszusprechen, was CSU/CDU sich nicht trauten. Damals zuerst kam es zum deutlichen Raub an linken Begriffen, um das Konservative offensiv vorzutragen. Erinnerlich etwa die ”Aktion Widerstand” unter einem Professor Kosiek mit direkter Wendung zum Mordaufruf: ”Aktion Widerstand - Brandt an die Wand.”

Doppelstrategie der Konservativen: Sie konnten vorsichtig Fühlhörner auszustrecken und blitzartig wieder zurückzuziehen, damit – in anständigem Abschue, dennoch saugfroh - auf die erwünschte Volkswut hinweisen, die anwachsen würde, wenn die Brandts so weitermachten. Es war die große Zeit der kommunizierenden Röhren CDU/CSU und NPD.

In großen Sprüngen den Gedanken Elms entlang geschaut: Der Anschluss der ehemaligen DDR, verblümt ”Wiedervereinigung” genannt, erlaubte einmal, die bewusste Westwendung Adenauers und den Anschluss an die USA als wohlüberlegte Siegesstrategie hinzustellen. Adenauer hatte die ”Zone” in Wirklichkeit aufgegeben, jetzt sollte er postum der Vater ihrer Wiederaneignung sein. Der Sieg erlaubte alsbald den Blick auf ein ”Land zweier Diktaturen” und damit die selbstbewusste Distanzbildung: die alte BRD wurde zum Sieger zugleich über Kommunismus und Faschismus. Mit dem vergangenen Hitler-Faschismus konnte sie dann ja wohl nicht das geringste zu tun haben, oder?

Letzte Stufe dieses Konservatismus aus Vergessen, aus Verleugnung der Traditionslinie, die man im selben Augenblick wiederholt, war der Krieg in und gegen Jugoslawien. Die Tatsache, dass an Ostern 1941 Belgrad das erste Mal bombardiert worden war, diente nicht zur Beschämung, sondern zur stolzen Überwindung. Der Beitrag eines Fischer und der als Hilfstruppe neu gewonnenen Grünen für diese Art Konservatismus könnte noch einmal besonders behandelt werden. SPD-Schröder und Grünen-Fischer nahmen der CDU den Entschluss zum Krieg ab, den sie selbst von ganzem Herzen teilte. Damit scheint ein Zyklus durchlaufen: Von einer BRD am Rockzipfel der Westmächte und vor allem der USA. Die BRD trat mit der Weigerung der Teilnahme am Irak-Krieg, der begeisterten Zustimmung zur Besatzung Afghanistans ein in neue Selbständigkeit: als Hegemon eines neuen Europa der Weltmacht.

Ludwig Elm lässt in den 330 Seiten seines Buchs die Jahre nach 1949 an uns vorüberziehen in der Aufzählung symptomatischer Skandale, die sämtlich hervorgingen aus Bindungen an eine Tradition, die zugleich nicht verlassen und zugleich nicht einbekannt werden durfte. Es ist wichtig und lehrreich, hier aufgezeichnet vorzufinden, was bald fünfzig Jahre an uns in Zeitung und Fernsehen vorübergezogen ist.

Mit Recht lässt Elm die Unterscheidung Epplers von struktur- und wertkonservativ nicht gelten. Es kommt wohl eher darauf an, welche Traditionen wer festzuhalten versucht - und welche Wahrnehmungsschärfe für das Einmalige, Eigentümliche aufgeboten wird, welche Auflösungsgenauigkeit. Die ganze Schar der von Elm vorgeführten Gestalten verflachten und zerstörten in Wirklichkeit das, woran sie sich festklammerten. Gerade das vielberufene, aber in der Berufung ausgebleichte Einheitschristentum, reduziert zu einem Speicher der abgelagerten abendländischen Werte. Dem stehen trotz allem wenige gegenüber wie Reinhold Schreiner und Theodor Haecker. Schneider hat sich während des Dritten Reichs mit seiner Erinnerung an ”Las Casas vor Karl V” energisch dem Eroberungsfanatismus der Nazis widersetzt - und nach 1945 der Wiederbewaffnung und dem Kult des Abendländischen - und das im genauesten Festhalten dessen, was ihm an einzelnen Gestalten wie Franziskus oder auch Papst Innozenz wichtig war. Das gegenüber der ungeheuren Dominanz des Herrschaftskatholischen nach, welches Adenauer und seinem Abendländischen energisch zuarbeitete.

Schneider war nicht wert-konservativ, was immer das heißen soll. Er hielt sich an das Unvergessliche und Unverwechselbare der einzelnen geschichtlichen Gestalt , der die Treue zu halten war. Übergewicht des Amtskatholischen, Zuarbeit der SPD und später der Grünen zum ausgebleicht substanzverklärten Konservativen. Das wäre in einer weiteren Untersuchung herauszuarbeiten, gestützt auf den ungeheuren Fundus, den Elm für uns aufbewahrt und aufgearbeitet hat.

Zusätzlich verwendete Literatur:

Kondylis, Panajotis 1986: Konservatismus. Geschichtlicher Gehalt und Untergang. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart.

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Die Rezension erschien zuerst Oktober 2007 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, sfr, 3/2011)

Ludwig Elm 2007:
Der deutsche Konservatismus nach Auschwitz. Von Adenauer und Strauß zu Stoiber und Merkel.
PapyRossa Verlag, Köln.
ISBN: 978-3-89438-353-4.
332 Seiten. 18,00 Euro.
Zitathinweis: Fritz Güde: Konservatismus nach Auschwitz. Erschienen in: . URL: https://kritisch-lesen.de/c/792. Abgerufen am: 23. 04. 2024 17:36.

Zum Buch
Ludwig Elm 2007:
Der deutsche Konservatismus nach Auschwitz. Von Adenauer und Strauß zu Stoiber und Merkel.
PapyRossa Verlag, Köln.
ISBN: 978-3-89438-353-4.
332 Seiten. 18,00 Euro.