In der Datenfabrik
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- Nick Srnicek
- Buchtitel
- Plattform-Kapitalismus
Wie könnte eine post-kapitalistische Plattform-Ökonomie aussehen? Antworten auf diese Frage sucht man in dem vieldiskutierten Buch leider vergebens.
Nick Srnicek ist Dozent am Londoner King’s College, wo er sich mit Fragen der digitalen Ökonomie befasst. Das 2017 erschienene und nun ins Deutsche übersetze „Plattform-Kapitalismus“ stellt eine Art „Entstehungsgeschichte“ der digitalen Ökonomie dar und ergänzt damit frühere Werke des Autors, die vor allem die mögliche Überwindung des Kapitalismus in den Blick nehmen. Während „Die Zukunft erfinden“ (Srnicek/Williams, 2016) beispielsweise einen durch technologische Beschleunigung herbeigeführten Übergang zu einem vollautomatisierten Luxuskommunismus prophezeit, fragt „Plattform-Kapitalismus“ nach den sozialen und organisationalen Auswirkungen, die die verstärkte Einbindung von Informationstechnologien in die kapitalistische Produktionsweise im Hier und Jetzt mit sich bringt.
Im Mittelpunkt von Srniceks Überlegungen stehen sogenannte Plattformen, die die vermeintlichen Dreh- und Angelpunkte einer verstärkt wissensbasierten und digitalen Marktordnung darstellen. Plattformen werden von Srnicek als digitale Infrastrukturen charakterisiert, die sich als Schnittstelle zwischen zwei oder mehrere Nutzungsgruppen – wie Kund*innen, Werbetreibende, Dienstleister*innen, Produzierende, Lieferant*innen oder physische Objekte – schalten und Interaktionen zwischen diesen ermöglichen. Während einige dieser Plattformen wie Facebook oder Google dabei auf Werbung als Einnahmequelle setzen und die Analyse und Weiterverarbeitung der auf ihren Plattformen gewonnenen Daten in den Mittelpunkt ihres Geschäftsmodells stellen (Werbeplattformen), fokussieren „schlanke Plattformen“ wie Airbnb oder Uber primär darauf, Anbieter*innen und Konsument*innen von Dienstleistungen zusammenzubringen, wobei sie einen Teil der in diesen Transaktionen generierten Renten abschöpfen.
Srnicek verfolgt mit dem Buch zwei Ziele: Zum einen zeichnet er nach, wie und warum Plattformen überhaupt zur zentralen Organisationsform des digitalen Kapitalismus werden konnten. Zum anderen versucht er zu begründen, warum einige Plattformen wie Apple oder Siemens, die eigene Dienstleistungen bereitstellen, das Potential haben, die zukünftigen Motoren ganzer Volkswirtschaften zu werden, während „schlanke Plattformen“ wie Airbnb und Uber, die keine eigenen Produkte bereitstellen, trotz ihres derzeit rasanten Wachstums keine langfristige Überlebensperspektive haben.
Uber, AirBnB und Co: Das Plattformmodell
Der Ausgangspunkt für Srniceks Wirtschaftsgesichte des digitalen Kapitalismus ist das Ende der „goldenen Jahre“. Also jenes wirtschaftliche Hoch, das hierzulande als sogenanntes „Wirtschaftswunder“ nach dem zweiten Weltkrieg begann und Ende der sechziger Jahre abflachte. In Reaktion auf die darauffolgenden Krisen griffen Staaten vor allem zu geldpolitischen Maßnahmen, die zu einer Erhöhung der umlaufenden Geldmenge führten. Gleichzeitig lagerten Unternehmen vermehrt Arbeitsprozesse aus, um sinkenden Profiten entgegenzuwirken. In ihrem Zusammenspiel trieben diese Maßnahmen die Weiterentwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien voran und trugen zum Aufbau der Infrastruktur bei, die der heutigen digitalen Ökonomie zugrunde liegt.
Neben der Möglichkeit, verstärkt Arbeitsplätze auszulagern, bietet die digitale Ökonomie Srnicek zufolge eine weitere zentrale Ressource zur Profitgenerierung – Daten. Diese können von Firmen nicht nur zur Optimierung von Produktionsprozessen herangezogen werden, sondern sie erlauben es auch, die Präferenzen von Kund*innen besser nachzuvollziehen und sich dadurch Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz zu verschaffen. Aufgrund dieser Eigenschaften seien Daten für Unternehmen im Speziellen und den Kapitalismus im Allgemein in den vergangenen Jahren unabdingbar geworden.
Wie aber hängen Daten und Plattformen zusammen? Plattformen vermitteln den Zugang zu Produkten oder bieten die Leistung ganzer Abteilungen von Unternehmen als on-demand Dienstleistungen an. Aufgrund ihrer Eigenschaft als Schnittstellen können sie sich Zugang zu Informationen über alle Nutzungsgruppen verschaffen – Plattformen sind somit laut Srnicek vor allem „Instrumente, um Daten zu gewinnen“ (S. 51).
Wie genau Plattformen dieser Funktion nachkommen, ist unterschiedlich. Srnicek identifiziert fünf verschiedene derzeit vorherrschende Typen von Plattformen. Industrielle Plattformen wie Siemens’ MindSphere stellen die Hard- und Software bereit, um traditionelle industrielle Produktionsprozesse effizienter zu gestalten. Produktplattformen bieten physische oder immaterielle Waren als Dienstleistung an – bekannte Beispiele sind Carsharing-Plattformen. Cloud-Plattformen wie Amazon Web Services haben das Ziel, eine grundlegende Infrastruktur für die digitale Ökonomie aufzubauen und diese anderen Unternehmen gegen Bezahlung zur Verfügung zu stellen. Hinzu kommen die bereits genannten Typen der Werbeplattformen (wie Facebook und Google) und der schlanken Plattformen, beispielsweise Airbnb.
Auf den ersten Blick scheinen sich die Geschäftsmodelle der Plattformen also zu unterscheiden. Srnicek macht jedoch klar, dass die oben beschriebenen Modelle – also die Vermittlung von Transaktionen – eher als Mittel zur Extraktion von Daten zu verstehen sind. Diese Datenextraktion und die anschließende Verarbeitung stellt das eigentliche Geschäftsmodell der Plattformen dar, in dem sich die unterschiedlichen Typen strukturell gleichen. Infolgedessen prophezeit er, dass es zu einer Verstärkung des Konkurrenzkampfs zwischen Plattformen – auch unterschiedlichen Typs – um die Kontrolle über Schlüsselpositionen digitaler Ökosysteme kommen werde.
Die Folge: Dominante Plattformen bauen voneinander abgeschottete digitale Systeme auf, die immer mehr Aktivitäten integrieren und sich demnach immer ähnlicher würden. Eine Vorreiterrolle nimmt hier Apple ein, dessen verschiedene, aufeinander abgestimmte Hardware-Produkte kaum kompatibel mit anderen Systemen sind. Das zwingt Nutzer*innen eines Apple-Produkts dazu, langfristig alle nachgefragten Dienste und Geräte von Apple zu beziehen.
Dieser Effekt wird verstärkt durch eine weitere zentrale Eigenschaft von Plattformen: Sie weisen Netzwerkeffekte auf. Das bedeutet, dass der Wert, den die Dienste der Plattform für jede einzelne Nutzer*in bieten, umso mehr steigt, desto größer die Gesamtanzahl der Nutzer*innen ist. Ein soziales Netzwerk beispielsweise wird umso attraktiver, je mehr Personen darauf anzutreffen sind. Infolgedessen sind Situationen, in denen mehrere kleine Plattformen dieselbe Funktion erfüllen, sehr unwahrscheinlich. Es existieren also Tendenzen zu Monopolen.
Kooperative Plattformen – ein hehres Ziel?
Die beschriebenen Tendenzen zu Monopolisierung und abgeschotteten Ökosystemen stellen den Kern der Kritik Srniceks an den derzeitigen Entwicklungen des Plattform-Kapitalismus dar. Als Antwort diskutierten Kritiker*innen in den vergangenen Jahren verstärkt die Idee des Plattform-Kooperativismus, also einer Demokratisierung der Eigentumsmodelle digitaler Plattformen. Srnicek schätzt die Potenziale dieser Idee jedoch als gering ein, da die Macht bereits existierender Plattformen aufgrund der oben beschriebenen Netzwerkeffekte bereits zu groß sei, als dass sich solche Kooperative durchsetzen könnten. Als einzigen potenziellen Gegenspieler sieht er stattdessen den Staat, der mittels Kartellverfahren und Regulierung mächtige Plattformen schwächen solle. Darauf aufbauend skizziert er eine Utopie öffentlicher Plattformen, die „im Besitz des Volkes sind und von ihm kontrolliert werden“ (S. 127). Dabei sollen sie „keiner staatlichen Überwachung unterliegen“ (S. 127).
Wie genau diese von ihm als „post-kapitalistisch“ (S. 127) titulierten Plattformen in staatlicher Hand aber gestaltet werden sollen, lässt er offen. Dabei irritiert, dass sich das von Srnicek skizzierte Problem der Netzwerkeffekte auch für öffentliche Plattformen stellt – zumindest solange private Plattformen nicht explizit von staatlicher Seite verboten werden. Letzteres würde bedeuten, dass es zu einer Komplettverstaatlichung existierender Plattformen und einer darauf aufbauenden Schließung der relevanten Märkte für private Akteur_innen kommen müsste. Ob das mit Srniceks Forderung, wir „sollten […] heute die Plattformen kollektivieren“ (S. 127), gemeint ist, bleibt unklar. Auch die Frage, wie sich eine solche Verstaatlichung zu dem Problem der Datensicherheit auf Werbeplattformen wie Facebook verhalten würde, adressiert Srnicek kaum. Ist es im Zeitalter neuer Polizeigesetze wirklich eine attraktive Option, unsere persönlichen Daten zwar nicht mehr dem Silicon Valley, dafür aber dem Nationalstaat zu überlassen?
Politische Schwachstellen
„Plattform-Kapitalismus“ überzeugt vor allem durch die zugängliche Herausarbeitung der fünf Plattform-Typen. Dabei arbeitet Srnicek eine interessante Kritik schlanker Plattformen heraus. Da diese selbst keine Produkte anbieten, sondern eine reine Vermittlungsfunktion haben, ist ihre Marktposition leicht durch neue Unternehmen angreifbar. Um diese Angriffe abzuwehren, müssen sie kostenintensive Strategien gegen potentielle Konkurrent*innen verfolgen. Dafür nehmen sie Verluste in Kauf, die nur durch immer neue Investitionen von Risikokapital gedeckt werden können. Ändert sich die wirtschaftliche Lage, kann dieses Risikokapital jedoch schnell ausbleiben. Das hätte zur Folge, dass die Plattformen, um nicht bankrott zu gehen, profitabel werden müssen, was laut Srnicek nur durch eine Umwandlung in andere Plattformtypen möglich sei.
Zudem macht der Autor deutlich, dass das Aufkommen plattformbasierter Geschäftsmodelle nicht losgelöst von dem politisch organisierten Abbau wohlfahrtsstaatlicher Systeme betrachtet werden kann. Dieser drängt Arbeitssuchende vermehrt in prekäre Arbeitsverhältnisse, vor allem vor dem Hintergrund des Verlusts traditioneller Arbeitsplätze infolge der Finanzkrise von 2008. Die Nachfrage nach durch Plattformen vermittelte Auftragsarbeiten wuchs, was auch im Sinne des Staates war, da die auf Plattformen beschäftigten Individuen weniger auf Sozialsysteme zurückgreifen mussten.
Diese Perspektiverweiterung – weg von einer ausschließlich auf die Praktiken einzelner Plattformen fokussierten Kritik hin zu einer Kritik der Politik, die diese Plattformen fördert – erlaubt es, nicht nur einen nüchternen Blick auf den gegenwärtigen Hype um die Potentiale der „Sharing Economy“ zu werfen, sondern auch die Rolle des Staates im Kontext dieser entstehenden Märkte zu verstehen.
Trotz der Kritikpunkte stellt „Plattform-Kapitalismus“ eine überzeugende Annäherung an das Aufkommen digitaler Plattformen dar, die vor allem mit der substantiellen Ausdifferenzierung unterschiedlicher Plattformtypen über die bisherige Literatur hinausgeht. Obwohl die Abschnitte zu den Zukunftsaussichten und etwaigen Alternativen nur begrenzt überzeugen, kann das Buch als erster Einstieg in das Thema der digitalen Ökonomie empfohlen werden.
Plattform-Kapitalismus.
Hamburger Edition, Hamburg.
ISBN: 978-3-86854-321-6.
144 Seiten. 12,00 Euro.