Zum Inhalt springen

Hitler war's!

Buchautor_innen
Hannes Heer
Buchtitel
Hitler war's!
Buchuntertitel
Die Befreiung der Deutschen von ihrer Vergangenheit

Fest, Eichinger, Knopp und andere als Kronzeugen einer längst vollzogenen historischen Wende - An ihrem Beispiel analysiert Heer, wie Hitler noch einmal zum Führer der Deutschen wurde.

Hannes Heer, wesentlich beteiligt an der Entwicklung der ersten Auschwitz-Ausstellung, die zu Kontroversen führte und führen sollte, ist von Reemtsmaa, Finanzier der Ausstellung, inzwischen entlassen worden. Heer war es auf die Entfesselung von Kontroversen über die Rolle der Wehrmacht angekommen. Die neue Ausstellung dient dem Konsens. War es Heer gerade darauf angekommen, die Beteiligung der gesamten Wehrmacht ab 1941 am Judenaufspüren, an Judenverfolgung und Judenmord zu zeigen, ist in der neuen Ausstellung die Zuarbeit zu Auschwitz nur noch ein einziges Kapitel der ganzen Darstellung der Wehrmachtstätigkeit.

Sofort große Zustimmung der Gesamtöffentlichkeit: Es gab in der Wehrmacht eben solche und solche. Die Tatsache der freiwilligen Einfügung aller in eine Organisation, die als ganze ein Instrument der Durchführung der Shoah war, wird damit wieder unsichtbar. Wie sie es weitgehend in der Zeit vor der ersten Ausstellung ab 1995 war. Mit dieser Löschung der Vergangenheit beschäftigt sich Hannes Heer in seinem neuen Buch “Hitler war’s”. Er erblickt sie nicht nur an der Umgestaltung “seiner” Ausstellung, sondern in der gesamten Geschichtsbearbeitung seit 2000.

Neue Geschichtsschreibung seit 2000

Als ganze dient diese nach Heer nicht mehr der Reflexion und Selbsterkenntnis: Sie ist eine Veranstaltung geworden zum Zuschütten der Augen, um sie zu löschen. Es gab sicher kein Jahrzehnt mit mehr Darstellungen der Zeit des Nationalsozialismus als das unsere - aber auch keines, in dem mehr der Schein der Sache die Sache selbst unkenntlich machte. Es können hier nur einige Beispiele aus Heers neuem Buch herausgegriffen werden.

Der Untergang

Er geht zunächst dem Monster-Kassen-Füller “Der Untergang” nach. In den Katakomben dieses Films finden sich lauter Opfer zusammen. Sie irren durch die Gänge, hocken herum, erwarten das Ende. Mitleid würgt unwiderstehlich. Die gewählte Perspektive des Filmemachers zwingt in die ausweglose Enge mit hinein. Wie all die Gestalten in diese Lage gekommen sind, kann duch die enggeführte Darstellung gar nicht gefragt werden. Die Untaten, die begangen wurden, sind wie abgeschnitten. Sie kommen nicht nur nicht vor, sie sind wie nie geschehen. Niemandes Verbrechen. Gelöschte Vergangenheit. Indem uns nur die leidende Kreatur vorgeführt wird, stößt unser Denken wie gegen eine Wand. Keine Analyse, keine Erforschung der Geschichte mehr möglich.

Das andere Mittel der Geschichtslöschung: Totale Fixierung auf die Einzelperson und ihre Seelenwirren. Zunächst auf die Hitlers. So lange er lebt, scheint es, steht alles in seinem Bann. Der Krieg dauert weiter, weil sein Leben weiterdauert. Er dämmert leichenschlaff über den Karten imaginärer Kampf-Verläufe: Alles dämmert mit. Einziges Zeichen des Absackens seiner Macht. Die Frauen rauchen schamlos im Keller, fragen nicht mehr, ob ER es riecht. Diese kleinsten Zeichen deuten Befreiung an, aber nur die einer Kellerassel unterm weggewälzten Stein. Es freut sie kaum. Sie möchte zurück ins verbergende Dunkel.

Dieser Film, so Hannes Heer, zeigt die herrschende Geschichtsbehandlung nach 2000. In dieser Zeit hat sie ihren Höhepunkt erreicht - begonnen aber schon in den siebziger Jahren. Der vorübergehende Sieg eines Habermas im Historikerstreit änderte nichts daran, dass die Augenlöscher der Gegenseite am Schluss den Schwamm in der Hand behielten: den Schwamm der Tilgung jeder Schrift von der großen Tafel der Projektion.

Knopps Geschichtsfabrik

Die Tendenz des Films “Der Untergang” verfolgt Heer dann weiter bis in die Fabriken eines Guido Knopp und seiner Unter- und Folgefabrikanten im Fernsehen. Knopp führt vor - Millionen Augen kleben an der Scheibe. Wie macht er es? In Kurzfassung: Er erliegt begeistert dem vorgefundenen Filmmaterial. Da all die Wochenschauen, Riefenstahl-Aufnahmen, Erinnerungsfotos für Mutti zuhause allesamt aus der Herrschaftsperspektive gedreht sind, brüllt jedes Bild Zustimmung, wenn es nicht durch Bearbeitung zum Offenlegen des Weggelassenen gebracht wird. Knopps Technik läuft auf Wiederholung des Blicks von oben hinaus.

Ein Beispiel: Der Film über Rudolf Hess von 1997:

”Bomber beim Start. Das Geschwader in der Luft. Ein Blick aus der Pilotenkanzel. Formationsflug. Dann öffnen sich die Bombenschächte. Nacht. Abwehrfeuer. Brennende Häuser. Einstürzende Mauern. Schnitt. Eine einzelne Maschine im Steilflug. Das Jagdflugzeug nimmt den Kurs der Bomber, wird kleiner und verschwindet am dunklen Himmel. Dazu der Text: 10. Mai 41. 500 deutsche Bomber starten zum bislang schwersten Angriff des Krieges gegen London. Am selben Abend startet in Augsburg eine einzelne Maschine in die selbe Richtung. Der Pilot will die Entscheidung auf seine Weise herbeiführen” (S. 160).

Also erst die übernommene rauschhafte Perspektive des Angreifers und – sicher bald - Siegers: Die mitfliegende Kamera zwingt heute noch zum Mitmachen, Mitfliegen. Dann Eigenprodukt: Wehmütiger Blick auf das einsame kleine Flugzeug des Mutigen, der das Kriegsschicksal wenden will: Hess. War es die Tat eines Irren, wie von englischer Seite behauptet wurde? War es ein mit Hitler verabredeter Versuch, vor dem Angriff auf die UdSSR die alte antisowjetische Front von 1919 mit den anderen kapitalistischen Mächten neu herzustellen? Das erfährt man im ganzen Film nicht. Es interessiert nicht. Wir kleben an der Einzelperson, blicken niemals durch sie hindurch auf die Struktur, die Absicht, das Herrschaftssystem, das dahinter stand.

Nicht, dass Knopp etwa für das Nazisystem Partei ergriffe! Die Neonazis, die in Wunsiedel am Grab von Hess demonstrieren, kommen vor als “Unbelehrbare”. “Für sie wird Hess zum Götzen. Bis heute.” Was ist dann aber die Wirkung Knopps und seiner ganzen Serien? Immunisierung. Geschichte ist vorbei, fertig, abgepackt - und geht uns nicht mehr an als das Geschick eines Alexander oder das Weh Napoleons auf St. Helena. Geschichte wird zur Kenntnis genommen, mitfühlend eingesogen und als Spektakel verabschiedet.

Eben damit, zeigt Heer, bietet Knopp die zur neuen deutschen Politik seit 1998 passende Sicht. Wir sind wieder Partner im Völkergespräch. Nehmen “unbefangen” an Kriegen teil, und verteidigen den Standort, ohne uns etwas vorhalten zu lassen. Die Chance, aus der Niederlage 1945 etwas zu lernen: vertan. Die Versuchung der Erkenntnis: abgeschüttelt.

Fest als Wegbereiter

Wie kam es dazu? Heer blickt zurück und stößt auf den Journalisten und Historiker Fest. Der hatte mit seiner zweibändigen Biographie ”Hitler” die Zeit der vorwiegend psychologischen Masche begonnen. Immerhin enthielt das Buch noch viele diskursive Partien, Diskussion und in gewissem Umfang Reflexion. Der Film dagegen arbeitet schon ganz mit den Mitteln Knopps. Die großen Aufzüge, die Märsche, alles zwangsläufig mit den Augen des Führers betrachtet. Farbaufnahmen aus dem Salzberg: Der gemütliche Staatschef, unvermittelt dann der politische Seher, der sich vor dem Panorama der Bergwelt erhebt und erfrischt. Die damals neue Farbtechnik, heute das normalste, tilgt die Zeitenferne. Hitler - einer von uns. Insbesondere folgt Heer dem Bemühen Fests um Speer in Buch und Film. Nicht nur, dass er schon dessen Memoiren als Ghostwriter begleitete. An ihm arbeitete er den Typus des Künstlers, des genialen Organisators heraus, der Hitler benutzt und von ihm benutzt wird - die gebotenen Chancen wahrnimmt, sich zeitweise “verstrickt”, wie der Fachausdruck lautet.

Speer als Inszenierer des Realen war ein Vorläufer der Techniken der heutigen Welt - und Geschichtsdarstellung. Als er zum Beispiel den Strahlendom erfand - die Lichtsäulen, die sich aus Kanonenscheinwerfern zum Himmel reckten - nahm er da nicht die Funkelherrlichkeit heutiger Festivals vorweg? Und seine Entwürfe des neuen Berlin, Germania geheißen nach dem Endsieg, sind sie nicht der Versuch, das flächige Plakat ins Dreidimensionale zu übersetzen, ins Massive, Substantielle. (Das simulierte Stadtschloss in Berlin hätte ihm gefallen). Verwendung der modernsten Stahlgerüst-Architektur, aber alles verkleidet mit Graniten und Basalten. Der Ruinenwert, der Anblick der Gebäude nach Jahrhunderten, sollte schon beim Bau mitbedacht werden. Hausgemachte Ewigkeit - für dann doch nur zwölf Jahre.

Speer als Vorbild

Speer wäre es - eigener Aussage nach - gegangen um den Einschüchterungswert seiner Bauten. Die tributpflichtigen Völker aus dem Innern des dann eroberten Asien sollten erschauern beim Anblick. Jede Möglichkeit des Weiterdenkens verlieren. Knopp und Regisseur Eichinger übernehmen davon die strikte Fesselung an die Oberfläche, die gnadenlose Bindung ans Optische. Massivität entfällt. Ewigkeit nicht mehr in Ersatzfassung nötig. Gepriesen sei das Sekundenglück der Zeitgemäßen. Damit auch der Leeren, Gedankenlosen, beseligten Mitwimmler im Strom.

**

Die Rezension erschien zuerst im Mai 2006 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, ps, 12/2010)

Hannes Heer 2005:
Hitler war's!. Die Befreiung der Deutschen von ihrer Vergangenheit.
Aufbau Verlag, Berlin.
ISBN: 3-351-02601-3.
439 Seiten. 24,90 Euro.
Zitathinweis: Fritz Güde: Hitler war's! Erschienen in: . URL: https://kritisch-lesen.de/s/K2SBi. Abgerufen am: 03. 12. 2024 18:24.

Zur Rezension
Zum Buch
Hannes Heer 2005:
Hitler war's!. Die Befreiung der Deutschen von ihrer Vergangenheit.
Aufbau Verlag, Berlin.
ISBN: 3-351-02601-3.
439 Seiten. 24,90 Euro.