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Ghost

Buchautor_innen
Robert Harris
Buchtitel
Ghost

Robert Harris auf den Spuren von Blairs Verbrechen im Irak und anderswo.

Nur einmal hatte sich bisher Harris als Verfasser historischer Romane so halb in seine eigene Gegenwart getraut: in seiner “Aurora”, in welcher der gescheiterte Putsch von Alt-Kommunisten, genauer Alt-Breschnewianern, in Russland beschrieben wurde. Nicht sehr aufregend, auch nicht sehr kontrovers diskutiert, weil damals alles noch der Gorbimania frönte und den Zerstörer des alten Russland für seinen Retter hielt.

Jetzt aber versucht Harris das Kunst-Stück, kaum ein Jahr nach der Abdankung Blairs, unter allergeringster Verhüllung, dessen Zusammenspiel mit den USA und seine Verbrechen in diesem Zusammenhang selbst zum Thema zu machen. Voraussetzung: Die Figur des Premierministers wird vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag angeklagt wegen “Verbrechens gegen die Menschlichkeit”. Natürlich ist an so etwas in unserer Gegenwart nicht zu denken. Den Haag ist schließlich exklusiv zum Fertigmachen von Jugoslawen und gewisser Ex-Machthaber des afrikanischen Kontinents bestimmt. Diese Unmöglichkeit muss einfach hingenommen werden, um die Handlung in Gang zu bekommen.

Der Blair des Romans, der natürlich nicht so heißt, hat offenbar Gefangene seines Geheimdienstes SAS dem CIA zur Folterung überlassen. Einer der so Behandelten starb. Als Hauptankläger tritt der ehemalige Außenminister Englands auf, der während der Dienstzeit des Roman-Blair gefeuert worden war. Das alles ziemlich deutlich aus der Zeitgeschichte und dem Leben gegriffen. Der Transport der Ausgelieferten über einen Militär-Flughafen wird ziemlich ähnlich geschildert wie das, was wohl im Militärflughafen bei Stuttgart und in Ramstein passierte. Tatsächlich wurden damals vom Europarat aus Untersuchungen gefordert, von den deutschen Justizbehörden abgeblockt.

Der Erzähler selbst tritt als hauptberuflicher Ghostwriter auf. Er soll in Windeseile die Autobiographie des schon in den Ruhestand abgeschobenen Roman-Blair fertig stellen. Düstere Pointe: Der vorherige Verfasser der angeblichen Autobiographie ist in den USA von einer Fähre gestürzt. Oder gestürzt worden. Der Erzähler, der sich zunächst ungeschickt als “Ghost” einführt, er, der Zweite nach dem Ersten, wird damit fast zum Wiedergänger seines Kollegen. Zum Gespenst, das dem ehemaligen Premier-Minister drohend entgegentritt und unerwünschte Vergangenheiten heraufberuft, an die in den Memoiren nicht gerührt werden soll. Die Lüge, aus der die Politik derzeit besteht, wird ausführlich, kennerisch und umfassend beschrieben. Es versteht sich, dass - wie im wirklichen Leben - die Vorwürfe der Folter und des Folternlassens sowohl von den USA wie von England aus bestritten werden. Zugleich wird das Foltern als bekannter Brauch vorausgesetzt. Nur ohne Namen zu nennen. Der Ghost-Writer erlebt, wie Washington und ein nur undeutlich auftretender Roman-Bush dem englischen Kollegen mächtig den Rücken stärken. Sie wollen so weit gehen, den CIA in Den Haag lügen zu lassen, er hätte ganz ohne englische Beihilfe entführt, verhört und gefoltert. Interessanter ist der Ausbruch des Roman-Premiers: Jawohl, er habe alles getan und würde es wieder tun.

Die Terroristen verlangten alle Rechte - und gewährten keine. Der Ausbruch läuft auf die Guantanamo-Stütz-Strumpf-These hinaus: Wer sich so verhält, wie die Terroristen, der fällt aus aller Rechtsverbindlichkeit hinaus. Gegen den ist alles erlaubt.

Die Erzählerfigur nimmt den Ausbruch auf Mini-CD auf und hätte damit seinen Auftraggeber in der Hand. Wenn dieser nicht durch einen Attentäter noch vor seiner Entlarvung erlegt würde. Und zwar nicht durch einen Taliban, nicht durch Al Kaida, nicht einmal durch einen, der mit dem Islam in Berührung kam, nein, durch einen persönlich Betroffenen, Beleidigten, der sich übers Internet die Technik der Selbstsprengung aneignete. Spinner und Rächer auf eigene Faust.

Es sollen hier nicht alle Winkelzüge und Geheimnisse verraten werden. Harris greift zu einer Engführung: Der Roman-Premier, in jungen Jahren recht unpolitischer Angeber und Luftikus in den englischen Elite-Universitäten, wurde schon damals von einem CIA-Agenten angeworben und systematisch zum Aufstieg hochgeboxt. Abgeordneter der Labour-Party, schließlich Premier. Damit natürlich immer im Schlepptau, von Bloßstellung bedroht.

Man hat Blair oft als Bushs Pudel bezeichnet. Harris unterstreicht im Roman die offenbare Unterwürfigkeit seiner Hauptfigur gegenüber allen Anforderungen der USA. Und dazu gehörte ja viel mehr, als die - von den meisten ohnedies vermutete, aber auch zugestandene - Foltererlaubnis. Die Engführung über die CIA-Hörigkeit versperrt Harris die Möglichkeit, einen Blair zu zeichnen, der aus freien Stücken, aus Opportunismus als Überzeugung, um die bekannte Wendung noch einmal zu gebrauchen, für ein Zusammengehen mit Bush votiert hätte, durch Dick und Dünn, über Lügen, Betrug und Tötungserlaubnis hinweg.

Tatsächlich spricht ja viel dafür, dass Blair und die England immer noch beherrschende Schicht im Zusammengehen mit dem skrupellosesten Spieler in den USA die Chance erblickte, als Junior-Partner Reste des von den Neo-Cons erträumten Imperiums zugeteilt zu bekommen. Für sämtliche begangenen Verbrechen hätte dann mehr zur Verfügung gestanden als Selbststütze oder als Innen-Legitimation, als nur die Gängelung durch eine CIA-Anwerbung vor Jahrzehnten. Es hätte dann die Berufung geben können auf die Hemmungslosigkeit des letzten englischen Imperialisten, Churchill mit all seinen Unbedenklichkeiten. Von da aus wäre wuchtiger der Abstieg auf die Bühne zu holen gewesen: Das fahle Erwachen des betrogenen Betrügers, der erkennen muss, dass er weder als Opportunist persönlich noch als Vertreter Englands etwas anderes herausgeholt hat als den jämmerlichen Niedergang.

Grämlichkeit bestimmt das Leben nach dem Erwachen. Schon in "Vaterland"; seinem eindrucksvollsten Werk, hatte Harris das Paradox eines siegreichen Deutschland vorgeführt, dem es an allem fehlt. Unablässig wird in den asiatischen Weiten Krieg geführt - zur Stählung. Weil die anderen nicht aufhören. Derweilst gibt es für die neuen Beherrscher des Kontinents kaum Margarine aufs Brot und Anzüge auf Bezugschein - aus Zellstoff. Einmal im Jahr.

Genau so das London des Jahres 2006. Alle Augenblicke geht eine Bombe hoch. Taxifahrten sind so gefährlich wie U-Bahn-Transporte. Die Polizei sammelt Leichenteile, sperrt ab, lenkt den Verkehr um. Wen kümmert’s? Die Singles hocken in teuren Appartments, phantasieren sich Aufstiege vor. Warten. Wie unser Autor, Ghost-Writer und Erzähler, auf den Anschluss-Auftrag, den sein Agent ihm schon verschaffen wird.

Das ist allerdings das einzige und letzte Paradox des Romans. Der Erzähler und Held schreibt nach Ablieferung seines pflichtmäßigen Heldenepos für den - nur im Roman - abgeknallten Blair die wirkliche Geschichte aller Lügen, Verbrechen und Gemeinheiten. Diese Niederschrift stellt dann das vorliegende Werk “Ghost” dar. Nur - wer hätte es als wahren Bericht, nicht als Roman, gedruckt, in einem England, das ja genau so ist, wie Harris es beschreibt?

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Die Rezension erschien zuerst im Januar 2008 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, ps, 01/2011)

Robert Harris 2007:
Ghost.
Heyne Verlag, München.
ISBN: 978-3-453-40614-8.
398 Seiten. 8,95 Euro.
Zitathinweis: Fritz Güde: Ghost. Erschienen in: . URL: https://kritisch-lesen.de/s/wAajt. Abgerufen am: 10. 11. 2024 03:59.

Zur Rezension
Rezensiert von
Fritz Güde
Veröffentlicht am
01. Januar 2008
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Robert Harris 2007:
Ghost.
Heyne Verlag, München.
ISBN: 978-3-453-40614-8.
398 Seiten. 8,95 Euro.