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G Strich

Buchautor_innen
Georg Fülberth
Buchtitel
G Strich
Buchuntertitel
Kleine Geschichte des Kapitalismus

Kleine Geschichte des Kapitalismus vom Handelskapitalismus bis zum Neoliberalismus der Gegenwart unter Einschluss der Auflehnungen und Gegenbewegungen.

Kapitalistik nennt Georg Fülberth eine neue Wissenschaft, die er sich als Emeritus zum Abgang spendiert hat, sicher, sie nicht mehr in Examina prüfen zu müssen. Das neue Fach soll ”eine Querschnittdisziplin sein, welche Politikwissenschaft, Soziologie, Volkswirtschaftslehre, Geschichte, Jurisprudenz, Geographie, Ethnologie durchzieht und miteinander verbindet” (S. 7). Damit wäre nun - fünfzig Jahre nach der Zeit - endlich das Muster des Studium universale gefunden, nach dem gleich nach dem Krieg so dringlich gesucht worden war, um gegen den vorausgewussten Fachidioten anzugehen. Große Chancen sieht der Autor freilich nicht für das neue Fach, immerhin könne es einige interessieren, unter welchen Bedingungen sie eigentlich ihre Sonderdisziplin betreiben.

Fülberths eigentliche Absicht nach diesem heiteren Auftakt: Das Werk von Karl Marx als geschichtliches noch einmal schreiben - unter schärfster Überprüfung der Voraussagen. Was ist eingetreten, was nicht? Welche Erklärungsansätze haben sich bewährt?

Von da aus wird der Siegeszug des Kapitals noch einmal nachvollzogen. Das Hervorbrechen aus den Städten, die Rückschläge, die Versuche der vorhandenen noch feudalen Zentralstaaten, ihrerseits Träger des Kapitalismus zu werden usw. Das Neue des Verfahrens liegt darin, dass die Wirtschaftsformen nicht einfach als selbstgenügsame Wesenheiten vorgestellt werden, sondern jeweils eingebettet in eine bestimmte Gesellschaft und bestimmte Notwendigkeiten des territorialen Zusammenhalts und Austauschs.

Jeder Etappe der Entwicklung wird eine Definition dessen vorangestellt, was Kapitalismus zu einer gegebenen Zeit heißt. So wird das Logische ans Historische gekoppelt. Um ein Beispiel zu geben: Das Buch beginnt im systematischen Teil mit der Definition:

“Kapitalismus ist die Funktionsweise von Gesellschaften, die auf der Erzielung von Gewinn und der Vermehrung (Akkumulation) der hierfür eingesetzten Mittel (Kapital) durch Warenproduktion mittels Waren (Sraffa 1976) sowie durch den Kauf und Verkauf von Waren oder der Erstellung und den Verkauf von Dienstleistungen beruhen. Sie werden im folgenden als kapitalistische Gesellschaften bezeichnet” (S. 12).

Die Spezifizierung dieser Definition für die Gegenwart - ab 1973 - lautet dann: “In der neoliberalen Periode ist Kapitalismus die Funktionsweise von Gesellschaften, die im wesentlichen auf der Erzielung von Gewinn und der Vermehrung der hierfür eingesetzten Mittel (= Kapital) dadurch beruht, dass folgende Waren und Dienstleistungen in Lohnarbeit erzeugt und verkauft werden:

- Meist an Maschinen, in der chemischen Industrie, im Maschinenbau und in der Montanindustrie sowie durch den Einsatz von Informationstechnologie erzeugte Güter der materiellen Produktion in Industrie, Landwirtschaft und Bauwesen

- Immaterielle Güter der Kulturindustrie

- Dienstleistungen im Bildungs- und Gesundheitswesen

- Immaterielle, aber von Waren aus der materiellen Produktion und Dienstleistungen abgeleitete Eigentumstitel, darunter das Geld selbst

- Produktions- und konsumbegleitende Beratung und Werbung

- Tourismus” (S. 286)

Die Aufzählung zeigt, dass hier nicht die traditionelle Gegenüberstellung von Produktionsmitteln und Produktionsverhältnissen die Darstellung dominiert, sondern dass die Produktionsverhältnisse im Grunde als Begleiterscheinungen der Produktionsmittel auftreten.

Fülberth zählt zwar in jeder Epoche die Gegenbewegungen auf, die sich der Dampfwalze Kapitalismus widersetzen, spricht ihnen aber allesamt keine Kraft des Aufhaltens zu. Insofern ergibt sich, je länger man liest, sehr stark der Eindruck des Gehäuses der Hörigkeit, das Max Weber als umfassende Kondition der Zeitgenossenschaft der Moderne ansah. Immerhin muss man Fülberths eisigem Stil hoch anrechnen, dass seine Prognosen wesentlich genauer trafen als sämtliche Untergangsphantasien und Katastrophen-Visionen. Ein Blick auf ein längst vergessenes Sammelwerk belegt es. 1990, zur Zeit des Kongresses der Demokratischen Linken in Köln nach dem Mauerfall, wesentlich von Fülberth bestimmt, wendeten sich zahlreiche Kritiker gegen die von ihm auch damals schon aufgestellten Behauptungen über die Festigkeit des auf absehbare Zeit unbesiegbaren Kapitals. Es erweist sich, dass Fülberth gegen die Kritiker mit seiner Voraussage recht behielt, dass Börsenkräche aller Art, Zerstörung der natürlichen Ressourcen und was damals ins Feld geführt wurde, das Funktionieren des Kapitalismus nicht wesentlich beeinträchtigen konnten. Am allerwenigsten die angeblich sozialistisch gesonnenen, sich gegen die Verelendung aufbäumenden Massen des ehemaligen Ostblocks, von denen einiges erwartet wurde.

So endet Fülberths Buch auch mit einer vernichtend minimalistischen Fassung dessen, was Politik dann noch sein kann:

“Politik könnte in dieser Zeit darin bestehen, die Gefahren dieses Gesellschaftssystems, die daraus entstehen, dass bereits vorkapitalistisch entstandene Destruktionstendenzen und -absichten (Krieg, Verschleiß von Ressourcen, Folter, Unterdrückung und Ausbeutung) nunmehr mit völlig neuen materiellen Möglichkeiten ausgestattet sind, zu blockieren und 2. dafür zu sorgen, dass jene anderen Potentiale genutzt werden, die sich im Kapitalismus zur Erleichterung des menschlichen Lebens (durch Naturwissenschaft, Technik und Medizin) bislang entwickelten.”

Das scheint höchstens bis zur Praxis der PDS Berlin zu reichen: Erzielen des unter schlechten Bedingungen gerade noch Möglichen. Wie könnte aber das Anwachsen der Ausbeutung bei fortbestehendem Kapitalismus "überhaupt blockiert" werden? - Steckt da nicht im scheinbar minimalen Anspruch doch wieder der maximale des Umsturzes des ganzen Systems?

Ein Buch, das endet mit der Möglichkeit weiterer fünfhundert Jahre Kapitalismus. Ein Buch ohne Trost für die jetzt Lebenden. Ein Buch nützlicher Abhärtung - zur Erzeugung der notwendigen Hornhaut ums Herz.

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Die Rezension erschien zuerst im Mai 2006 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, ps, 12/2010)

Georg Fülberth 2005:
G Strich. Kleine Geschichte des Kapitalismus.
PapyRossa Verlag, Köln.
ISBN: 978-3-434-50600-3.
330 Seiten. 19,80 Euro.
Zitathinweis: Fritz Güde: G Strich. Erschienen in: . URL: https://kritisch-lesen.de/s/cRkUF. Abgerufen am: 26. 12. 2024 14:46.

Zur Rezension
Rezensiert von
Fritz Güde
Veröffentlicht am
01. Mai 2006
Eingeordnet in
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Zum Buch
Georg Fülberth 2005:
G Strich. Kleine Geschichte des Kapitalismus.
PapyRossa Verlag, Köln.
ISBN: 978-3-434-50600-3.
330 Seiten. 19,80 Euro.