Für "die da oben"
- Buchautor_innen
- Stefan Dietl
- Buchtitel
- Die AfD und die soziale Frage
- Buchuntertitel
- Zwischen Marktradikalismus und „völkischem Antikapitalismus"
Die AfD ist eine unsoziale Partei. Wer das noch nicht kapiert hat, kann es hier schwarz auf weiß nachlesen.
Stefan Dietls Buch über die AfD und die soziale Frage ist ein hervorragendes Grundlagenwerk: Systematisch analysiert es die sozialpolitischen Positionen der Alternative für Deutschland (AfD) und kommt zu dem Schluss, dass deren Grundsatzprogramm „eine neoliberale Kampfschrift“ (S. 82) ist. Das ist keine Partei, die im Interesse von Arbeiter*innen handelt, auch wenn sie sich bemüht, einen anderen Eindruck zu erwecken – etwa mit der Anti-Establishment-Attitüde, der reißerischen Kritik an Politiker*innen, die sich von den „normalen, kleinen Leuten“ entfernt haben.
Die umfangreichen Fußnoten erwecken den Eindruck: Diese Auseinandersetzung ist fundiert. Stellenweise liest sich das ein wenig langatmig, ist aber trotzdem unschätzbar wertvoll. Denn dieses Buch könnte ein Nachschlagewerk sein für Situationen, in der jemand im Bekanntenkreis fragt, was denn jetzt eigentlich das Problem mit der AfD ist, eine Argumentationsgrundlage für Menschen, die Argumenten noch zugänglich sind.
Solidarität statt Standortnationalismus
Auch die Entstehungsgeschichte der AfD beschreibt Dietl detailliert, mit einem Fokus auf den sozialpolitischen Positionen. Er macht deutlich, dass bereits von Anfang an zwei Flügel in der AfD vertreten waren: Der marktradikale, neoliberale Flügel, der momentan noch die Partei dominiert; daneben der offen völkische Antikapitalismus. Dessen bekanntester Vertreter ist Bernd Höcke. Vereint sind diese Strömungen in ihrem Nationalismus. Historisch erschreckend: Diese Zweiteilung fand sich so auch in der NSDAP, in der letztlich der sozial orientierte Strasser-Flügel an Einfluss verlor.
Gewerkschafter*innen wählen überdurchschnittlich häufig AfD. Gut argumentierte Erklärungen dafür findet Dietl gleich mehrere. Eine davon ist das Nützlichkeitsprinzip: Es wird nicht mehr mit Solidarität argumentiert, Gewerkschaftsmitgliedschaft zu werden, sondern damit, dass es sich lohne, also mit dem persönlichen Gewinn. Dazu kommt der Standortnationalismus, der von deutschen Gewerkschaften vertreten wird und darin besteht, die eigene Wirtschaft, in diesem Fall die deutsche, mit Vorzug zu behandeln und sich zugleich in Konkurrenz zu ausländischen Arbeitskräften zu sehen. Das schafft natürlich Anknüpfungspunkte für die AfD. Entsolidarisierung ist es laut Dietl auch, wenn Hartz IV, Leiharbeit und Kurzarbeit durch Beteiligung legitimiert werden. Genauso gilt das, wenn in den Gewerkschaften nicht danach gefragt wird, wie unorganisierte Gruppen, beispielsweise illegalisierte Haushaltshilfen und Geflüchtete, organisiert werden können und stattdessen nur staatliche Regulierung gefordert wird.
Der letzte Teil, in dem es darum geht, wie die AfD in Gewerkschaften konkret gestoppt werden kann, fällt hinter der Analyse ein wenig zurück. Er könnte noch konkreter und ausführlicher sein, bietet jedoch auch so schon viele wichtige Anregungen: Dietl fordert einen Paradigmenwechsel und die Abkehr vom Standortnationalismus. Internationale Solidarität, selbstbewusste Gewerkschaften, die die Sozialpartnerschaft hinter sich lassen und kämpferisch für die Interessen aller Arbeitenden (und Erwerbslosen) eintreten.
Bildungsmaterial gegen die AfD? Mehr davon, bitte!
Insgesamt liefert Dietl starke und mehr als angebrachte Forderungen, die überzeugend begründet werden und durchaus Sprengkraft haben. Die Maßnahmen, mit denen dieser Paradigmenwechsel konkret angegangen werden kann, beispielsweise Bildungsmaßnahmen, sind eher als Ideensammlung zu lesen. Dieser Teil könnte gerne ein wenig stärker ausgearbeitet sein. Geeignet ist das Buch für alle, die sich intensiv mit der AfD, ihrem Entstehen und ihren Positionen auseinandersetzen wollen. Um wirksame Gegenstrategien zu entwickeln, gilt eben doch: Know your enemy. Zu hoffen bleibt, dass die Ausgabe bei größeren Änderungen innerhalb der AfD zeitnah aktualisiert wird. Ebenso wünschenswert wäre ein Folgeband, in dem die hinteren Kapitel, also die konkreten Fragen im Mittelpunkt stehen. Stilistisch etwas weniger Hausarbeit und etwas mehr TED-Talk würden dem Buch gut tun. Die Bücher für die Bildungsmaßnahmen, die Dietl fordert, müssen geschrieben werden – am besten schnell. Bisher fehlt eine massenwirksame, aber trotzdem nicht-populistische AfD-Kritik, die auch außerhalb von alternativen Internetplattformen zur Kenntnis genommen wird. Dieser Grat ist schmal, muss aber beschritten werden. Dietls Ausarbeitung ist dafür eine wichtige Quelle und ein Startpunkt.
Die AfD und die soziale Frage. Zwischen Marktradikalismus und „völkischem Antikapitalismus".
Unrast Verlag, Münster.
ISBN: 9783897712386.
167 Seiten. 13,00 Euro.