Energieunsicherheit
- Buchautor_innen
- Sascha Müller-Kraenner
- Buchtitel
- Energiesicherheit
- Buchuntertitel
- Die neue Vermessung der Welt
Mit einem höchst brisanten Thema, dem der Energiesicherheit, beschäftigt sich Sascha Müller-Kreanner.
Der Autor leitete lange Zeit das Referat Europa/Nordamerika der Heinrich-Böll-Stiftung leitete. Eine prognostizierte neue Energiekrise und Peak Oil, welche einen Zeitpunkt bezeichne, „ab dem die weltweite Gesamtförderung von Rohöl ihren Höhepunkt erreicht hat und anschließend zurückgeht“, bilden den Ausgangspunkt seiner Analyse. Die Alternative Erdgas, kurioserweise an den Ölpreis gekoppelt, sei anfällig für politische Krisen, wie das Hauptförderland Russland seinen abtrünnigen Nachbarn, damit auch Europa, gezeigt haben.
Erstaunlich das nun ausgerechnet ein Grüner Vordenker als alternative Energiequelle die Steinkohle in den Mittelpunkt seiner Überlegungen rückt, vor allem auch deswegen, weil die große Koalition und Umweltminister Gabriel (SPD) gerade den Bau von zwanzig neuen Kohlekraftwerken, die größten Dreckschleudern Deutschlands, beschlossen haben. Dies konnte der Autor bei Niederschrift des Manuskripts zwar noch nicht wissen, damit rechnen können hätte man schon. Nun geht es aber mit Riesenschritten in die Abgründe der Geopolitik, die neue Ölpipeline vom aserbaidschanischen Baku bis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan und damit aus dem russischen Einflussbereich, das westliche Projekt der letzten Jahre überhaupt, „wird durch AWCS-Flugzeuge der Nato beobachtet“. Ein neues „großes Spiel“ trete auf den Plan, an welchem sich im Kampf um die Pipelines nun auch noch China und andere Länder Ostasiens beteiligten. Tja, bitter! Ob aus dieser verfahrenen Situation aber „langfristig einen gemeinsamen europäischen Sitz“ im UN-Sicherheitsrat führen wird, scheint mehr als zweifelhaft. Ganz brauchbar dagegen ist die Analyse Müller-Kreanners der „Energiesupermacht Russland“, an dessen Gemeinschaftsunternehmen der Gazprom auch die deutschen Firmen Eon und die BASF-Tochter Winterhall beteiligt sind, die auch 49 % der Anteile an der umstrittenen Ostseepipeline halten und damit Polen, immerhin ein EU-Land, außen vor lassen. Ob die Zukunft der Energie in der Biomasse liegt, wie der Autor andeutet, ist bereits durch eine Studie schweizerischer Wissenschaftler widerlegt, die ausgerechnet haben, dass der Anbau von Raps, Roggen, Palmöl und Mais zur Energieerzeugung bis zu einer dreimal höheren Belastung der Umwelt führen könnte als mit Benzin. In Brasilien, wie der ARD-Weltspiegel vom 27. Mai 2007 berichtete, wo bereits jedes zweite Auto mit Ethanol fährt, wird in riesigen Monokulturen Zuckerrohr angebaut um Sprit zu gewinnen - gegen den heftigen Protest von örtlichen Umweltaktivisten und Landbevölkerung. Abgesehen davon, wie der Autor richtig bemerkt, dass dies zu drastischen Preiserhöhungen bei Lebensmitteln führen könnte. Viel wahrscheinlicher aber ist, dass die Laufzeiten von Atomkraftwerken bis ins Unendliche ausgeweitet werden, zusätzlich zu den Kohlekraftwerken. Müller-Kraenner räumt dem Emissionshandel eine große Zukunft in Osteuropa ein, sagt aber nicht, dass diese Zertifikate vom bereits erwähnten sozialdemokratischen Urgestein und Umweltminister an die Konzerne verschenkt wurden, obwohl eine EU-Richtlinie vorsah sie zu verkaufen. Diese Richtlinie wurde inzwischen in deutsches Recht umgesetzt, über Ausnahmen für Kohlekraftwerke wurde ausgiebig zwischen den Koalitionspartner gerungen. So bleiben Fragen über Fragen offen. Sie machen vor allem deutlich, warum eine einst als Protestpartei angetretene Grüne Parteispitze in Umweltfragen sich schon lange der dreckigen Realpolitik angenähert haben. Dennoch eine brauchbare, sehr detaillierte Analyse weltweiter Energiepolitik.
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Die Rezension erschien zuerst im Juni 2007 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, sfr, 3/2011)
Energiesicherheit. Die neue Vermessung der Welt.
Antje Kunstmann Verlag, München.
ISBN: 978-3-88897-470-0.
240 Seiten. 19,90 Euro.