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Elternsprechtag

Buchautor_innen
Lotte Kühn
Buchtitel
Elternsprechtag
Buchuntertitel
Wie schlimm ist Schule wirklich? Was Eltern, Schüler und Lehrer täglich erleben

Lotte Kühn sammelt in diesem zweiten Buch alle Lobsprüche und Zustimmungen, die ihr andere Mütter zwischen Kiel und Konstanz zuteil werden lassen.

Das nachgeschobene Bändchen ist vermutlich dem reinen Willen zum Geldverdienen zu verdanken.

Nach dem anonym erschienen Lehrerhasserbuch wurde Frau Gerlinde Unverzagt geoutet. Ihr Sohn erlitt angeblich Unsagbares in der Schule. Dafür wandelte sie bei Jauch vorbei, sprach in Stern TV vor, und erhielt hunderte von Briefen, mails, Telephonaten. Das Buch muss - Erscheinungsdatum Juni 2006 - in höllischer Eile zusammengestellt worden sein. Die meisten der Zusendungen, die die glückliche Mutti erhält, beginnen nämlich mit: “habe ihr Buch zwar nicht gelesen, aber Dank, Dank, Dank…” Daran hat sie überhaupt nichts auszusetzen, bis sie zum Kapitel Kritiker, Widerbeller und Unverbesserliche kommt: die kriegen dick aufs Butterbrot gestrichen, dass ihre Sendungen genau so beginnen. ”Habe zwar nichts gelesen, aber…”

Lotte Kühn ist für alle Mailerinnen und Mailer die Mutige, die tat, was keine vorher: sie griff die Lehrer an. Verschämte Vorläuferinnen und Vorläufer hatte sie ohne ihre Kenntnis freilich viele. Welche Lehrkraft kennt nicht die wunderbare Besuchsvermehrung in der Sprechstunde vor den Versetzungszeugnissen. Und darunter gab es eine Sorte Mütter, die “kämpften wie die Löwin um Ihr Junges" (Satz meiner Mutter, bei acht Kindern auch gut im Schul-Durch-Box-Geschäft).

Auffällig gegenüber früher, aber aus dem gewöhnlichen Lehramtstage gut bekannt: die Eltern von Hochbegabten, daneben auch die von motorisch Gestörten. Hochbegabt - als das Wort noch nicht so im Schwange war, verwendete man es allenfalls für Kinder, die sich selbst beschäftigen konnten, selbst ein Buch lasen, selbst experimentierten, selber im Brockhaus nachschauten. Der Sinn des Worts hat sich umgedreht: heute sind es die, auf die Kultusbeamte mit Krallen warten: Sofort aus der Gruppe nehmen, mit anderen der Sorte zusammensperren und bimsen, was das Zeug hält. Vielleicht gibt’s doch noch mal einen kleinen Einstein fürs Badner Land (Wobei der echte Einstein das Glück hatte, still und unerkannt durchs Schuljahr zu streifen und froher Stauner zu bleiben).

Elternsprechtag enthält außer Anmerkungen der beglückten, weil erkannten Prophetin Lotte Kühn nur mails und Briefe, die man aus jedem einschlägigen Forum selbst zusammenstellen könnte. Beweisen tun sie alle nur eins: die Verzweiflung ist unendlich, die Erkenntnis minimal. Erkenntnis nämlich der wirklichen Ursachen der Schulmisere. Zusätzlich verstärkt durch die massenhaften Dienstleistungsphantasien und Ingenieurs -Träume. Deutschland vorn - durch Grips!

Im Schlusskapitel gerät Frau Kühn bedenklich in Ekstase. Ihr werde regelmäßig schlecht, meint sie,

”wenn eine dieser Grundschulglucken behauptet, mein Kind zu lieben. Ich will nicht, dass meine Kinder geliebt werden. Ich will, dass sie respektiert werden. Also, werte Lehrer, vergesst das mit der Liebe. Versucht’s mal mit guten Manieren.” (S. 178)

Dies scheint der heroische Versuch zu sein, es mit den vielgelästerten Sekundärtugenden zu halten - bei gleichzeitigem Verbot jeder inneren Beziehung, die ihnen überhaupt erst Wert verleihen könnten. Zugleich dann die extreme Auseinanderreißung von Familie und Schule. Familie: da gehören die Kinder mir und sind Objekt meiner privilegierten und privilegierenden Liebe. Schule: Bereich des Korrekten, Effizienten und Leistungsbewussten. Es klappt nur nicht. Der Informationskompressor mit feinsten Manieren tuckerte leer, sendete ins Vakuum. Mein Bruder hasste - bescheidener als Lotte Kühn, nur einen Lehrer, den jedenfalls am meisten. Wenn er eine misslungene Arbeit zurückgab, strahlte er unfehlbar verzeihend und gütig: “Aber, Junge, ich bin dir deshalb nicht gram”. Also hochvornehm und in keiner Sekunde verletzend.

Wenn Freud recht hat, und wahrscheinlich hat er in diesem Punkt besonders recht, speisen sich alle späteren Beziehungen aus den ursprünglichen innerhalb der Familie. Auch die zwischen Lehrenden und Belehrten. Was Lotte Kühn in ihren tausend Geschichtchen immer wiederholte, dass nämlich ohne eine noch so bescheidene Primärsympathie zwischen Lehrendem und Lernenden schlichtweg gar nichts läuft, selbst diese Erkenntnis gibt sie hier preis. Jene vom Wahn vom seelenlosen Dienstleister, einer Art Garten-Roboter, der die gelieferten Bäumchen hochzieht, zur späteren Wiedereintopfung in der gesegneten Muttererde. Nach soviel Kritik am teilnahmslosen Beamten dann die Feier der getünchten Teilnahmslosigkeit, der in aller Höflichkeit zur Schau getragenen. Dieser Traum ist unerfüllbar, Gottseidank!

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Die Rezension erschien zuerst im Juli 2006 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, ast, 03/2011)

Lotte Kühn 2006:
Elternsprechtag. Wie schlimm ist Schule wirklich? Was Eltern, Schüler und Lehrer täglich erleben.
Verlagsgruppe Droemer Knaur, München.
ISBN: 978-3-426-77958-3.
181 Seiten. 6,95 Euro.
Zitathinweis: Fritz Güde: Elternsprechtag. Erschienen in: . URL: https://kritisch-lesen.de/s/Qy5Mx. Abgerufen am: 21. 11. 2024 12:49.

Zur Rezension
Rezensiert von
Fritz Güde
Veröffentlicht am
01. Juli 2006
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Zum Buch
Lotte Kühn 2006:
Elternsprechtag. Wie schlimm ist Schule wirklich? Was Eltern, Schüler und Lehrer täglich erleben.
Verlagsgruppe Droemer Knaur, München.
ISBN: 978-3-426-77958-3.
181 Seiten. 6,95 Euro.