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Die Tea-Party in Selbstbehauptungskämpfen

Das Buchcover ist weiß gehalten und zeigt außer den Titelangaben nur ein Foto, auf dem eine Industrieanlage zu sehen ist, fotografiert von einer grünen 
Landschaft aus mit Büschen und Trampelpfaden. Das Bild ist nicht sehr scharf, was wahrscheinlich an den Abgasen der Industrieanlage liegt. Dennoch spielt das Foto mit romantischen Darstellungen von Landschaften, auch durch den rosa getönten (Abend-)Himmel.
Buchautor_innen
Arlie Russell Hochschild
Buchtitel
Strangers in their own land
Buchuntertitel
Anger and mourning on the american right

Fallgeschichten aus dem US-Amerikanischen Süden, der vom Gas und Öl lebt und durch beides – als Industrie – vernichtet wird.

Dreißig Jahre lang wurden die Lebensbedingungen der überwiegenden Mehrheit der US-Wähler_innen zerstört. Das gilt besonders für den „rust-belt“ im tiefen Süden, der von Umweltkatastrophen, die die Ölindustrie verursacht aber nicht verantwortet hat, verseucht und stinkend zurückgelassen wurde. Arbeitsplätze wurden ausgelagert, Löhne sanken, Gewerkschaften schwächelten. Die Arbeitenden sahen sich einer Allianz von

„tonangebenden Strömungen der neuen sozialen Bewegungen (Feminismus, Antirassismus, Multikulturalismus und den Verfechtern von LGBTQ-Rechten) und andererseits kommerziellen, oft dienstleistungsbasierten Sektoren von hohem Symbolgehalt (Wall-Street, Silicon-Valley, Hollywood)“ (Fraser 2017, S. 72)

gegenüber. Während die Globalisierung das Überleben radikal umbaute, stritten Minderheiten um Anerkennung und gleiche Rechte. Diese Kämpfe sind als Reaktionen auf einen radikalisierten Neoliberalismus zu verstehen, der die Individualisierung vorantreibt. Die Occupy-Bewegung reagierte mit sozialem Protest. Die Wähler_innen reagierten bei der letzten Wahl politisch auf das politische System.

Wie der Rechtsruck – durch/mit/nach einem afroamerikanischen Präsidenten – zu erklären sei, damit beschäftigen sich nunmehr viele Autor_innen. Es muss – wie bei allen Emanzipationsbestrebungen – in die politische Rechnung integriert werden, dass Erfolge von Minderheiten und Diskriminierten zu gesellschaftlichen Rückschlägen führen. Das Sichtbarwerden der (möglichen) tatsächlichen Gleichheit kann mit reaktionären Politiken „rechnen“. (Die kopftuchtragenden Putzfrauen in Schulen und öffentlichen Einrichtungen zum Beispiel im Ruhrgebiet waren in den 70er und 80er Jahren völlig unbedeutend. Erst der Erfolg als TV-Sprecherin, Politikerin oder bloß Schulleiterin der Migrant_innen-„Kinder“ ließ das Kopftuch zum politischen Zeichen werden. Der Erfolg von Emanzipation schlägt gegen die Emanzipierten – als Gruppe – zurück.)

Hochschild hat fünf Jahre lang in Louisiana (einem durch und durch republikanischen Staat) Interviews geführt, die die Veralltäglichung und Resultate von Globalisierungsprozessen freilegen. Sie wählte diesen Staat, weil in ihm das Paradox (Menschen wählen gegen ihre Interessen) besonders aufdringlich wird: In den USA sind alle republikanisch regierten Staaten ärmer, weisen mehr Mütter unter 20 Jahren auf, höhere Scheidungsraten, schlechtere Gesundheit, mehr Fettleibige, untergewichtige Neugeburten, geringere Bildungsabschlüsse, die Krebsrate ist 30 Prozent höher als im Rest des Landes und die Lebenserwartung liegt fünf bis acht Jahre unter dem US-Durchschnitt. Die zum Beispiel mit mehr Umweltregeln agierenden demokratisch regierten Staaten konnten auch mehr neue Arbeitsplätze schaffen.

Louisiana ist der Staat, der an 49. Stelle in Belangen von Einkünften, Gesundheit, Bildung steht und ihn bewohnen Bürger_innen, die sich wütend gegen jegliche „Einmischung“ des Staates wehren (der zu mehr als 40 Prozent von der Bundesregierung alimentiert wird). Sie ist dorthin gegangen, wo Menschen mit Tätigkeiten wie Jagen und Fischen aufgewachsen sind und in deren Gegenden mittlerweile das Schwimmen untersagt ist und das Sterben von Tieren und Pflanzen sowie die dramatisch gestiegenen Krebsraten für alle auffällig sind, in den Gesprächen aber überwiegend verschwiegen werden. Anhänger_innen der Tea Party sind Hochschilds Klientel. Ihr Ausgangspunkt ist das Paradox, dass diesen Menschen durch globale Öl- und Gasindustrien die Lebensbedingungen verseucht wurden und werden, ihnen versprochene Arbeitsplätze durch Billiglöhner_innen aus dem Ausland streitig gemacht werden und sie dennoch auf dem „free-market“-Prinzip beharren beziehungsweise stolz darauf sind. Staatliche Unterstützung – zum Beispiel bei der Eindämmung der Umweltkatastrophen – halten sie für fragwürdig. Die Autorin entwickelt Fallgeschichten mit sechs Zentralfiguren, anhand derer (Über-)Lebensstrategien plausibel gemacht und entfaltet werden. Sie sind so dicht erzählt, dass die subtropische Hitze, der Gestank, der aus den bayous aufsteigt, sogar die sich verlangsamende Zeit sinnlich erfahrbar werden. Sie untersucht das Lebensgefühl, das von gesellschaftlichen Institutionen (Industrie, Landesregierung, Medien, Kirche) geformt, nahegelegt und als so vermittelte „Lebenswirklichkeit“ angeeignet wird. Sie will die Empathie-Mauer abtragen, die sie auf beiden Seiten – der liberalen wie der rechten – erkannt hat; die Unfähigkeit, die Motive und Bedingungen der jeweils anderen Seite zu begreifen und mit in die Überlegungen einzubeziehen.

Der umgeschriebene „amerikanische Traum“

Die untergründige Geschichte, („the deep story“), durch die die (resentimentgeladenen) Gefühle der Tea-Party-Anhänger_innen eine Logik erhalten, wird symbolisch von Hochschild verdichtet: die weißen unter-mittelklasse (überwiegend) Männer hatten gelernt, dass der „amerikanische Traum“ – nicht sichtbar – hinter der Bergkuppe liegt, auf die in Reih und Glied zugewandert wird. Sie sahen nicht hinter sich, dort standen Schwarze und andere Minoritäten ebenfalls in der Reihe, sondern nach vorne. Irgendwann gewannen sie den Eindruck, dass die Reihe nicht vorankam, sie fühlten sich festgefahren. Plötzlich sahen sie welche, die sich vor ihnen in die Schlange drängelten: Schwarze, Frauen, Immigranten, Flüchtlinge und sogar braune Pelikane (die durch die vielen industriell versuchten Umweltkatastrophen fast ausgerottet waren und mit Schutzprogrammen „unterstützt“ werden). Jetzt empfanden sie nicht mehr nur Stillstand, sondern eine Rückwärtsbewegung (die sich unter anderem real in stagnierendem oder sinkenden Löhnen zeigt). Wer ist dafür verantwortlich, dass man sich „vordrängeln“ kann? Wer privilegiert diese Gruppen? Wer verantwortet die verlorenen Arbeitsplätze für diese Gruppe? Die Schwarzen, Migrant_innen, Mexikaner_innen, Chines_innen et cetera gewannen durch „affirmative action“, nicht durch Leistung. Affirmative action holte sie in die Reihe und schob die „eigenen Leute“ nach hinten. Bei dem Versuch, sich diese Lage plausibel zu machen, werden als Verursacher Staat und Regierung ausgemacht, die mit ihrem Personal diffus als „Establishment“ begriffen und als Feinde bekämpft werden.

George Packer, der journalistisch den deindustrialisierten mittleren Westen bereiste und Interviews mit den „Abgewickelten“ und sich ideenreich gegen die Erwerbslosigkeit und Armut Stemmenden unternahm, kommt zu sehr ähnlichen Schlüssen. Er findet Narrative, in die die Zersetzung der Institutionen als Zerstörung der individuellen Lebenshorizonte eingewoben sind. „Obama war kein populistischer Outsider, sondern ein progressiver Insider“ (Packer 2016, S. 373), der sich mit Versagern, den Verantwortlichen der Finanzkrise, mit dem alten Establishment umgab und mit dem Wort „Change“ das Alte fortführte.

Eine Arbeitsgesellschaft, in der mehr als 150 Jahre lang gelernt wurde, dass die Wertigkeit des eigenen Lebens – lange für Männer, jetzt auch für Frauen – aus der Arbeit und deren Anerkennung resultiert und die dazu übergegangen ist, dass Arbeit als rein „instrumentell“ zur Sicherung des Über-Lebens gesehen werden muss (sieht man von den hochqualifizierten Berufen ab) hat wenig Ressourcen bereit gestellt, die fehlende Anerkennung anderweitig abzusichern. Die Bürger_innen sind in ihrer zweiten Schicht nur als Konsument_innen vorgesehen. Hochschild erfährt in ihren Interviews, dass diese verlorene Wertigkeit in der Tea-Party gesucht wird: dort wo Weiß-Heterosexuell-Mann-Ländlich-Religiös-Sein (wieder) Geltung erlangen. Das Ressentiment gegen die Identitätspolitik von Minderheiten speist sich demnach aus der eigenen Leerstelle in dieser Politik. Alles „Eigene“ erfährt keine Politik. Und wo sie sie erfährt, will niemand sein: bei den wirklich Armen, die vom Staat alimentiert werden müssen. Also gilt auch diese Gruppe als eine, die die eigene Position gefährdet, da die Gefahr besteht, eines Tages zu ihr zu gehören. Wohlfahrt meint in dieser Sicht: Den Arbeitenden werde Geld genommen und den Müßigen (the idle) gegeben.

Hochschild zeigt, dass hier nicht für eigene ökonomische (oder Klassen-) Interessen gewählt wird, sondern im emotionalen Eigennutz („emotional self-interest“). Aufwertungsnot und Anerkennungsbedarf sind treibende Motive. Die regionale Gemeinschaft, die Kirche, die Tea Party werden als Ressourcen wahrgenommen. Sie werden als quasi-selbstverwaltete Lebensräume abgebildet wider die brutale Realität der Ölindustrie, die in alle Belange der Kommune eingegriffen hat und eingreift. Die Unmittelbarkeit, in der die gewünschten Sozialbeziehungen gesehen werden, die gewollte Überschaubarkeit, das Bedürfnis von Ähnlichkeitsverhältnissen (vor allem was "Rasse" angeht) aber auch die freudige Einhaltung von Klassenunterschieden, die der Besucherin zum Beipiel anhand von immer teurer werdenden Traumhäusern vorgeführt und nicht infrage gestellt wird, weisen auf eine Sehnsucht nach tribalistischen Organisationsformen hin. Und dass eine Trump-Politik (zum Beispiel "America First") hier Zustimmung findet. Der neue Präsident ist für die „Abgewickelten“ und sich vernachlässigt fühlenden Tea-Party-Anhänger_innen die Figur, die wie sie Steuern hasst und sie minimieren wird. Er ist frei vom „Druck“ der liberalen Philosophie mit ihren Regeln, was wie zu fühlen sei. Die Interviewten wollen kein Mitleid mit den Wohlfahrtsempfänger_innen fühlen, halten sich aber deshalb nicht für „unanständig“. Weil sie sich selbst zu den Unterdrückten zählen, sehen sie nach oben: zur Elite, zu den Reichen. Die Liberalen wollen, dass sie sich über deren (zu unrecht erworbenen) Reichtum erzürnen; nur die Rechten unterstützen sie in ihrem Wunsch selbst so reich und – vor allem – deshalb so unabhängig zu sein. Sie wünschen sich eine Scheidung von den Armen und eine Sozialordnung, die es den Armen nicht länger erlaubt, sich in die Reihe zu drängeln. Die Tea-Party-Anhänger_innen formulieren in dieser Weise eine neue „Unabhängigkeitserklärung“, die der alten Konföderations-Sezession logisch nachgebildet ist. („The richer around the nation will become free of the poorer.“ S. 220)

Hochschild verabschiedete sich von im Süden neu gewonnen Freund_innen; in den als „red necks“ und „hillbillys“ verachteten hat sie Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft, Sehnsucht nach einem guten Leben und Sorge um das (eigene) Gemeinwesen gefunden. Aber eben auch eine eiserne Beharrlichkeit, nur mit Fox-News (24 Stunden am Tag) die eigene Meinung zu „schmieden“ und keinerlei Widersprüche oder andere Informationen gelten zu lassen.

So alltags- und erfahrungsreich die Fallgeschichten notiert sind, es fehlt an formulierten Einsichten und Kritik. Was bedeutet es für politische Strategien, wenn die ideologische Vergesellschaftung derartig widerspruchlos gelingt und eine illusionäre Selbstbehauptung und -ermächtigung im rechten Lager erfolgreich betrieben wird? Welche Konsequenzen für interessegeleitete Politikkonzepte hat es, dass Menschen freundlich und einander helfend gegen ihre eigenen Interessen handeln? In welche sozialen Kämpfe zerreißt sich das Gemeinwesen, dass diese Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft rassistisch unterlegt sind und Armut mit fehlender Selbstaktivierung gegen die Betroffenen in eins gesetzt wird? Wie gelähmt und bedroht müssen sich diese sozialen Schichten erfahren, wenn sie das Ändern der Umstände schon gar nicht mehr erwägen (können) und „Selbstveränderung“ nur gegen Andere artikuliert wird? Hochschild fasst selbst keine dieser theoretischen Fragen an, berührt sie mit ihren Nachfragen bei den Interviewten nur vorsichtig (als Feldarbeiterin). So drängt sich der Eindruck auf, dass sie durchaus bedrückter nach Kalifornien zurückgefahren ist als sie dies ausdrücklich schreibt (als empathische Fremde). Der Süden der USA ist voller praller Hoffnungslosigkeit.

Zusätzlich verwendete Literatur

Fraser, Nancy (2017): Für eine neue Linke oder: Das Ende des progressiven Liberalismus. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 2/2017 (S.71-76). Packer, George (2015): Die Abwicklung. Eine innere Geschichte des neuen Amerika. Fischer, Frankfurt am Main.

Arlie Russell Hochschild 2016:
Strangers in their own land. Anger and mourning on the american right.
The New Press, New York.
ISBN: 978-1-62097-225-0.
351 Seiten. 20,00 Euro.
Zitathinweis: Kornelia Hauser: Die Tea-Party in Selbstbehauptungskämpfen. Erschienen in: Antiimperialismus global. 43/ 2017. URL: https://kritisch-lesen.de/s/Trc8G. Abgerufen am: 21. 12. 2024 16:11.

Zum Buch
Arlie Russell Hochschild 2016:
Strangers in their own land. Anger and mourning on the american right.
The New Press, New York.
ISBN: 978-1-62097-225-0.
351 Seiten. 20,00 Euro.