Die Errungenschaften der Linken
- Buchautor_innen
- David Graeber
- Buchtitel
- Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus
- Buchuntertitel
- Es gibt Alternativen zum herrschenden System
Der als Vordenker der Occupy-Bewegung gehandelte David Graeber bezieht sich sehr positiv auf die Lage der globalisierungskritischen Bewegungen im Hier und Jetzt.
Der Anarchist und Anthropologe David Graeber ist in den vergangenen Monaten in hegemonialen Medien stark präsent. So bezeichnete kürzlich die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Graeber als „Mann der Stunde“, sein Schulden-Buch etwa sei laut FAZ-Feuilleton-Chef „eine Befreiung“ und Der Spiegel betitelte ihn als „Vordenker der Occupy Bewegung“. Doch warum erfreut sich Graeber einer solchen Popularität? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, bietet sich ein Blick in die gerade erschienene Aufsatzsammlung „Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus. Es gibt Alternativen zum herrschenden System“ an.
Das Buch umfasst sechs Essays Graebers, die inhaltlich nicht in direktem Zusammenhang stehen. Graeber selbst stellt im Vorwort fest, dass die Gemeinsamkeit der Beiträge wohl in den Auseinandersetzungen der antikapitalistischen Bewegung der vergangenen 15 Jahre liegen, die „besonders bedrückend oder ermutigend wirken“ (S. 12). Sie seien das „Produkt eines chaotischen Interregnums“ (ebd.). Aufgrund dieser Diversität konzentriere ich mich auf die Essays „Der Schock angesichts des Sieges“ und „Geteilte Hoffnung“, um Graebers Positionen zur gegenwärtigen Krise und Widerstandspotenzialen auszuloten.
Im Zentrum der Auseinandersetzung Graebers steht die Problemdeutung, dass „Wir“, das heißt die Bewegung für globale Gerechtigkeit, in den vergangenen Jahren äußerst erfolgreich waren, jedoch den Sieg entweder nicht sehen oder nicht wissen, wie wir mit diesem umgehen sollen. So stellt er fest:
„Das eigentliche Problem, vor dem solche Bewegungen stehen, ist also, dass sie stets davon überrascht werden, mit welcher Geschwindigkeit sich anfängliche Erfolge einstellen. Auf einen Sieg sind wir nie vorbereitet.“ (S. 26)
Vor allem die direkte Aktion beurteilt er als äußerst effektiv und erfolgreich, um Ziele zu erreichen. Dabei unterteilt er Ziele in kurzfristige, mittelfristige und langfristige. Letztere beinhalten die Zerschlagung von Staat und Kapitalismus. Langfristige Ziele werden nur von radikaleren Elementen gefordert.
Beispielhaft für die Erfolge seien laut Graeber, dass sämtliche neue und wichtige Handelsabkommen durch globale soziale Bewegungen verhindert wurden (S. 36) wie etwa das Multilaterale Abkommen über Investition (MAI). Auch der fast eingetretene Bankrott des „Erzbösewichts“ (S. 41) Internationaler Währungsfonds (IWF) wird als Folge einer Mobilmachung gegen ihn gefasst. Dabei benennt Graeber von allem die „manipulative Schuldenpolitik“ (S. 41) des IWF als bekämpfenswert. Jedoch würden diese Erfolge nicht bedeuten, dass „nun sämtliche Monster getötet“ (S. 45) worden wären.
Graeber plädiert dafür, diese Errungenschaften globaler sozialer Bewegungen anzuerkennen. Er diagnostiziert eine Hoffnungslosigkeit innerhalb der Linken, welche in den vergangenen dreißig Jahren durch einen „riesigen bürokratischen Apparat“ erzeugt und aufrecht erhalten worden wäre: ( „Es liegt eine wahre Besessenheit seitens der Mächtigen der Welt zugrunde, die verhindern wollen, dass gesellschaftliche Bewegungen wachsen, gedeihen und Alternativen vorschlagen.“ (S. 59)
So scheint der „organisierte Widerstand nur noch aus vereinzelten, zersplitterten Grüppchen zu bestehen“ (S. 58), da Elemente neuer Ideen nicht gesehen würden. Graeber stellt fest, dass der Kommunismus bereits vorhanden sei, weshalb „diejenigen, die von ihm profitieren, alle anderen (...) davon überzeugen, dass es eine andere Möglichkeit gibt, als alles wieder brav zusammenzukitten“ (S. 66). Zusammengehalten werde dieses System vor allem über Schuldenpolitiken.
Graebers Argumentation in den behandelten Essays erscheint an weiten Stellen verkürzt. So werden handelnde Akteure benannt und in zwei kontrastierende Gruppen gegenübergestellt. Als ein „Wir“ benennt er Akteure transnationaler Bewegungen. Dabei bleibt er unkonkret, wen er zu diesen Akteuren zählt, ordnet ihnen jedoch eine starke Handlungsmacht zu. Über inhaltliche Differenzen sieht er hinweg. So weitläufig seine Akteursanrufung hier geschieht, so vage bleibt Graeber auch in der Benennung von Zielen der Bewegungen. Zwar nennt er verschiedene konkrete Beispiele, jedoch stehen diese für ihn für sich und werden nur stellenweise in kapitalistische Herrschaftsverhältnisse eingeordnet.
Dem „Wir“ sind Akteure gegenübergestellt, die er dem Kapitalismus zuordnet. Dabei findet eine Reduktion kapitalistischer Verhältnisse auf einzelne Institutionen und Personen statt, welche er als Schuldige für die wirtschaftliche Krise sowie die Krise der Linken ausmacht. Graeber vernachlässigt hierbei die gesellschafts- und subjektkonstituierende Dimension kapitalistischer Verhältnisse. Sicherlich ist hierbei der strategische Moment Graebers zu sehen. So sind eine Fokussierung der Errungenschaften antikapitalistischer Politiken sowie eine Kontrastierung von Gemeinsamkeiten sinnvoll, wenn es um eine Stärkung emanzipativer Bewegungen geht. Graebers Schriften motivieren zur direkten Aktion gegen herrschende Verhältnisse.
Jedoch stellt sich die Frage, ob dieser strategische Moment in hegemonialen politischen Auseinandersetzungen greift. So erklärt sich erst durch diese verkürzte Kritik die Popularität Graebers in hegemonialen Medien. Durch die Anrufung von Schuldigen für die Produktion der Wirtschaftskrise, werden kaum die Verhältnisse in Frage gestellt, sondern einzelne Akteure. Eine Zuordnung, die sich in der internationalen Politik bereits gegen Ende der 1990er Jahre findet, als IWF und Weltbank stark für neoliberale Strukturanpassungsprogramme kritisiert wurden und eine Hinwendung zur Politik der „Good Governance“ stattfand. Somit knüpft Graeber hier an bestehendes Wissen an.
Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus. Es gibt Alternativen zum herrschenden System.
Pantheon, München.
ISBN: 978-3-570-55197-4.
192 Seiten. 12,99 Euro.