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Der Auschwitz-Prozess

Buchautor_innen
Fritz-Bauer-Institut/ Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau (Hg)
Buchtitel
Der Auschwitz-Prozess
Buchuntertitel
Tonbandmitschnitte - Protokolle - Dokumente
Ein hervorragendes zeitgeschichtliches Dokument zum wohl wichtigsten der viel zu wenigen Prozesse, die in der Bundesrepublik gegen NS-Täter geführt wurden.

Der Prozess gegen die noch greifbaren Verantwortlichen für die Vernichtungstätigkeit in Auschwitz war einer der längsten der deutschen Rechtsgeschichte. Nachträglich klagten viele, selbst unter den beteiligten Richtern, über diese Länge, die vor allem durch die Zusammenfassung aller Angeklagten in einem einzigen Prozess zustande gekommen war - und durch die ungeheure Zahl der aufgebotenen Zeugen. Aus allen Ländern waren sie herbeigeströmt, um jetzt endlich zu Wort zu kommen. Kritisch wurde vermerkt, die schriftlichen Dokumente, die in Fülle vorlagen, hätten zur Verurteilung völlig ausgereicht. Generalstaatsanwalt Bauer, der den Prozess mit größter Mühe in Gang gesetzt hatte, war es aber gerade auf die Zeuginnen und Zeugen angekommen. Im gewöhnlichen Strafprozess werden diese meist einem Frageritual unterworfen und kommen nur sehr einsilbig zu Wort.

Hier aber sollten die in der Zeit der Verfolgung notwendig Verstummten einmal, ein einziges Mal die Möglichkeit erhalten, ihre Stimme zu erheben, ihre Anklage laut werden zu lassen, ihre Klage auszusprechen. So findet fast - ganz gegen die Natur der deutschen Strafprozessordnung - ein Rollenwechsel statt. Die ehemals Geschundenen und Unterdrückten treten immer mehr aus der Rolle es bloß berichtenden Augenzeugen heraus: Sie stellen zunehmend Ankläger und selbst Richter dar. Erinnerungen an die Revolutionsgerichte in chinesischen und kubanischen Dörfern klingen zart an, als die ehemaligen Machthaber und ihre Helfer von den jetzt Befreiten gerichtet wurden, eben zum unauslöschlichen Zeichen, dass Befreiung wirklich stattgefunden hatte.

Diese Stimmen waren bisher nur verkürzt, protokollmäßíg sozusagen, zugänglich gewesen. Jetzt aber - mittels der neu herausgebrachten dvd des Fritz-Bauer-Instituts - werden sie au den alten Tonbandmitschnitten während des Prozesses unmittelbar vernehmbar: die stockenden Sätze, das gebrochene Deutsch, die langen Pausen der Überwältigung durch das Erinnerte, die Versuche der Dolmetscher... Die Mühe des Grabens im Vergangenen wird nachvollziehbare Gegenwart.

Ebenfalls enthält die dvd Photos der Zeugen, aber auch der Angeklagten, die nun als unauffällige Biedermänner im Prozess auftreten und fast alle so tun, als könnten sie sich kaum erinnern - und das, was sie noch wüssten, sei durch Befehl von oben bis ins kleinste vorgeschrieben gewesen. Aus eigenem hätten sie nichts hinzugetan als eben treueste Pflichterfüllung des Soldaten und Beamten.

Einige heimliche Aufnahmen aus der Zeit von 1942-44 zeigen die Wirklichkeit jener Tage. Etwa das Bild des eitel stolzierenden Himmler, dem sich ein industrieller Profiteur der Buna-Fabrik in Butenau scheinunterwürfig andient.

Ebenso finden sich auf der dvd alle Textdokumente die bisher nur in dicken Bänden zur Verfügung standen: die Zeugenverhöre. Das Urteil mit Begründung. Hinzu kommen die Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte über den Aufbau der SS und das Funktionieren der Lager. Diese Gutachten, von Fritz Bauer bestellt, eröffneten erst die wissenschaftlich-darstellende Beschäftigung mit dem Terror des SS-Staates. Waren diesen Schriften auch das Buch Kogons vorangegangen, das unmittelbar nach dem Krieg herauskam, so war die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema in den Jahren nach 1949 fast zum Erliegen gekommen. Erlebnisberichte über Theresienstadt und Auschwitz gab es in erzählender oder auch romanhafter Form zwar einige. Diese konnten aber die harte Sprache der Tatsächlichkeit, wie die wissenschaftliche Untersuchung sie erzwingt, nicht ersetzen.

Sechzig Jahre nach der Befreiung des Lagers Auschwitz-Birkenau bietet die dvd nun die Möglichkeit, sich noch einmal in die Situation der ersten Erforscher dieser entsetzlichen Wirklichkeit zurückzuversetzen. Denn nicht einer ohnedies unmöglichen Sühne sollte der Prozess damals dienen, sondern einer ersten Erkenntnis und Gesamtdarstellung der Vernichtung.

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Die Rezension erschien zuerst im Januar 2006 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, sfr, 12/2010)

Fritz-Bauer-Institut/ Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau (Hg) 2004:
Der Auschwitz-Prozess. Tonbandmitschnitte - Protokolle - Dokumente.
Directmedia, Berlin.
ISBN: 978-3-89853-801-5.
45,00 Euro.
Zitathinweis: Fritz Güde: Der Auschwitz-Prozess. Erschienen in: . URL: https://kritisch-lesen.de/c/693. Abgerufen am: 20. 04. 2024 03:36.

Zur Rezension
Rezensiert von
Fritz Güde
Veröffentlicht am
01. Januar 2006
Eingeordnet in
Schlagwörter
Zum Buch
Fritz-Bauer-Institut/ Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau (Hg) 2004:
Der Auschwitz-Prozess. Tonbandmitschnitte - Protokolle - Dokumente.
Directmedia, Berlin.
ISBN: 978-3-89853-801-5.
45,00 Euro.