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Clara Zetkin - oder: Dort kämpfen, wo das Leben ist

Buchcover mit einem Schwarz-Weiß-Foto von Clara Zetkin. Es handelt sich um eine Portraitaufnahme mit Blick in die Kamera. Sie trägt eine Brille und einen flauschigen Kragen oder Schal. Der obere Teil des Covers in weiß, der Name der Herausgeberin ist in kleiner, schwarzer Schrift geschrieben, darunter in lila der Buchtitel. Auf der linken Seite ist ein vertikaler Streifen in lila zu sehen.
Buchautor_innen
Florence Hervé
Buchtitel
Clara Zetkin oder: Dort kämpfen, wo das Leben ist

Zum 8.März: Clara Zetkin als früheste Analytikerin des Faschismus.

Clara Zetkin – Vorkämpferin der Rechte der Frau – innerhalb des sozialistischen Kampfes um Emanzipation aller. Also Vertreterin einer Richtung, die sich in schärfstem Gegensatz zu der Alice Schwarzers befindet, in welcher umstandslos Frau-Sein als Wert an sich gilt – bis hin zu bedenkenlosem Hurra für eine Thatcher.

Davon soll aber heute weniger die Rede sein als von den vergesseneren Tätigkeiten Clara Zetkins innerhalb der Dritten Internationale. Lange vor Thalheimer (1927) stellte sie unmittelbar nach Mussolinis “Marsch auf Rom” vor dem Zentralkomitee eine Theorie des Faschismus auf, in welcher sie genau auf die Notwendigkeit einer Massenbasis der damals neuen Bewegung hinwies - im Gegensatz zu allen Polizeiregimes und zu allen Militärdiktaturen, zu denen sie zum Beispiel auch die Gegenrevolution Horthys in Ungarn rechnete.

Der Bericht stammt vom 20. Juni 1923. Wichtig, sich die Klarsicht Zetkins zu vergegenwärtigen - angesichts der Tatsache, dass nach dem “Fake” des Marsches auf Rom der italienische Faschismus keineswegs zu diesem Zeitpunkt schon seine Vollform erreicht hatte.

“FAKE” des Marsches: Die faschistischen Massen in Uniform waren zwar nach Rom geschickt worden, Mussolini fuhr ihnen im Schlafwagen voraus und nach. Es hatten vorher Abmachungen mit Militär, Königshaus und Teilen der Kirche stattgefunden, so dass von “Rebellion” und “Sturm auf den Quirinal” keine Rede sein kann. Dementsprechend war im Parlament bis 1927 – Matteotti-Attentat – durchaus Opposition vorhanden mit immer noch in Anspruch zu nehmenden politischen Möglichkeiten.

Dass Mussolini aber dieses Spektakel aufführen konnte, musste es die Massen in Wut, in Empörung, in Verzweiflung geben, die er ins Feld führen konnte. Von daher der definitorische Einleitungssatz: Faschismus

"ist keineswegs die Rache der Bourgeoisie dafür, dass das Proletariat sich kämpfend erhob [wie nach der Commune von Paris 1871 oder Ungarn 1919, Anm. fg]. Historisch, objektiv betrachtet, kommt der Faschismus vielmehr als Strafe, weil das Proletariat nicht die Revolution, die in Russland eingeleitet worden ist, weitergeführt und weitergetrieben hat. Und der Träger des Faschismus ist nicht eine kleine Kaste, sondern es sind breite soziale Schichten, große Massen, die selbst bis in das Proletariat hineinreichen. Über diese wesentlichen Unterschiede müssen wir uns klar sein, wenn wir mit dem Faschismus fertig werden wollen. Wir werden ihn nicht auf militärischem Weg allein überwinden – um diesen Ausdruck zu gebrauchen –, wir müssen ihn auch politisch und ideologisch niederringen.” (S. 86)

Zetkin wendet sich dann vor allem gegen die Faschismus-Deutung der diversen Revisionisten, die unisono den Faschismus – wie heute Nolte – so erklären, dass es zunächst den kommunistischen Terror in Russland gegeben hätte – die Bewegung Mussolinis wäre dann lediglich als eine Art Gegenwehr und Reaktion darauf zu verstehen.

Clara Zetkin sieht in solchen Theorien einfach den Glauben zum Beispiel der österreichischen Sozialisten an die Unerschütterlichkeit kapitalistischer Ordnung. Zeigen sich doch Risse im Gemäuer, dann holt das Kapital einfach härtere und unüberwindliche Waffen aus den Depots. Schlussfolgerung Otto Bauers – Österreich – und seinesgleichen: Also den Kapitalismus nicht reizen, sonst Mussolini. Zetkin dagegen: Der Kapitalismus war schon vor dem Weltkrieg im Zustand der Zerrüttung, der Krieg selbst hat ihm den Rest gegeben. In Italien, formell Sieger, besonders schneidend.

Zweite Wurzel der Massenbasis des Faschismus: Die Enttäuschung über die reformistischen Parteien, die im Krieg eine gewisse massenhafte Zustimmung gefunden hatten – eben als solche, die dem Krieg ein Ende zu setzen versprachen. Nach dem Krieg war dann nichts als die alte Leier. Wieder König, wieder Fabrikherrenschaft im Norden, wieder Großgrundbesitz im Süden. Auslösendes Moment: Ein von den Gewerkschaften lau unterstützter Generalstreik mit Fabrikbesetzungen, die elend von Polizei und faschistischen Hilfstruppen zurückgeschlagen worden waren. Von daher der massenhaft bittere Blick auf die “Loser”.

Zetkins Analyse der Mitgliedschaft der Faschisten ist dann folgerichtig. Es ist ein verlorener Haufen aus abgesunkenen Mittelständlern, alten Haudegen des Krieges, aber auch immer proletarisch gesonnener Leute, die jetzt den revolutionären Sprüchen der Faschos glauben, nachdem es mit den Sozen nicht geklappt hat. Rezept der Gegenwehr: Es müsste den Enttäuschten klar gemacht werden, wo die wirklich revolutionäre Potenz sitzt. Der Rest der Parteigänger des Faschismus – die bedrohten Kleinbürger – müsste “neutralisiert” werden. “Neutralisiert” meint damit wohl Hinweis auf die vollkommene Widersprüchlichkeit von Mussolinis Versprechungen. Einerseits Kirchenfeindschaft – im Bürgertum populär – andererseits allerlei Zugeständnisse (Das Konkordat von 1929, damals noch unvorstellbar, bestätigt nachträglich Zetkins Analyse). Oder Versprechen an die Frauen – volles Wahlrecht. Nachher etwas sehr Durchwachsenes mit einem Wahlrecht gerade für Hausbesitzerinnen und entsprechend gestellte Damen.)

Dies alles gedacht als Beispiel für den politisch-ideologischen Kampf. Der militärisch- politische – auch über Streiks und neuerliche Werksbesetzungen – dabei nicht zu vernachlässigen: “Das Proletariat steht derzeit unter dem Gebot der Notwehr. Sein Selbstschutz, seine Selbstverteidigung gegen den faschistischen Terror darf nicht eine Minute vernachlässigt werden. Es geht um Leib und Leben der Proletarier, um die Existenz der Organisationen. Selbstschutz der Proletarier lautet ein Gebot der Stunde. Wir dürfen den Faschismus nicht nach dem Muster der Reformisten in Italien bekämpfen, die ihn anflehten: ”'Tu mir nichts. Ich tue Dir auch nichts.' Nein. Gewalt gegen Gewalt. Nicht etwa Gewalt als individueller Terror – das bliebe erfolglos. Aber Gewalt als die Macht des revolutionären organisierten proletarischen Klassenkampfes.” (S. 114)

Bleibt noch, im Rückblick, Zetkins Analyse zu überprüfen. Unbestreitbar, dass es dem italienischen Faschismus nicht im gleichen Umfang gelang wie den deutschen Nazis, die eigene Anhängerschaft zu homogenisieren. Die Bücher Ignazio Silones oder eines wie “Christus kam nur bis Eboli” von einem Verbannten belegen, dass es bis zum Ende des italienischen Faschismus zu nichts kam als zu einer Fortsetzung der alten Honoratioren-Herrschaft mit etwas neuen Fascho-Titeln garniert. Aber an den sozialen Verhältnissen änderte sich überhaupt nichts. Insofern blieben die alten Klassengegensätze erhalten – aber kamen nie in der ganzen Zeit von sich aus zur Wirkung, bis zur Bildung einer Guerilla gegen die deutsche Besatzung seit dem Sturz Mussolinis. Ebenso zeigt sich das Wandlungsfähige im äußeren Erscheinungsbild des Faschismus in der Errichtung der Republik von Salo in Oberitalien unter deutscher Aufsicht, nach Mussolinis Befreiung vom Gran Sasso durch deutsche Fallschirmjäger im Herbst 1943.

Im Gegensatz zu den späteren Dimitroff-Thesen stellt Zetkin die Frage nach den Massen innerhalb des Faschismus in den Mittelpunkt. Dimitroffs Theorie, die im Faschismus die unverhüllte und brutalste Form der Macht der Monopole erblickte, ließ die Frage nach den subjektiven Beweggründen der Faschisten für ihren Faschismus weitgehend offen.

Zetkins Faschismus-Theorie setzte sich im deutschen Kommunismus bis 1933 und darüber hinaus nicht durch. Sonst hätte die Rede vom Brüning-Faschismus und Papen-Faschismus nicht Fuß fassen können. Brüning und Papen versuchten zwar verzweifelt, die Interessen von Großkapital und Großgrundbesitz zu bündeln, nur schafften sie es nicht. Sie schafften es nicht, weil sie eben die Massenbasis nicht als Mitgift für das Geamtkapital einbringen konnten. Papens Adelskabinett war in den breitesten Schichen isoliert. Brünings Zentrums-Partei war insgesamt nicht zu einer Führer-Partei umzuwandeln.

Fazit: Über Clara Zetkins Analyse des Faschismus, die 1930 weitgehend vergessen und verdrängt war, hätte eine erfolgreichere Gegenwehr gegen den deutschen Nationalsozialismus größere Chancen gehabt.

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Die Rezension erschien zuerst im März 2008 auf stattweb.de (Update:kritisch-lesen.de, ps, 01/2011)

Florence Hervé 2007:
Clara Zetkin oder: Dort kämpfen, wo das Leben ist.
Karl Dietz Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-320-02096-5.
147 Seiten. 6,90 Euro.
Zitathinweis: Fritz Güde: Clara Zetkin - oder: Dort kämpfen, wo das Leben ist. Erschienen in: . URL: https://kritisch-lesen.de/s/tBzkT. Abgerufen am: 21. 12. 2024 16:55.

Zur Rezension
Rezensiert von
Fritz Güde
Veröffentlicht am
01. März 2008
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Zum Buch
Florence Hervé 2007:
Clara Zetkin oder: Dort kämpfen, wo das Leben ist.
Karl Dietz Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-320-02096-5.
147 Seiten. 6,90 Euro.