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Benjamin und Brecht

Buchautor_innen
Erdmut Wizisla
Buchtitel
Benjamin und Brecht
Buchuntertitel
Die Geschichte einer Freundschaft

Wizisla führt am gemeinsamen Konzept der Zeitschrift "Krise und Kritik" aus, was Marxismus für Brecht und Benjamin bedeutete.

Wie es wirklich um die Bemühungen eines Brecht um Marx sich verhält, ist dem letzten Buch von Jan Knopf am wenigsten zu entnehmen. Will man darüber wirklich Auskunft, findet sie sich an entlegener Stelle in dem Buch "Benjamin und Brecht" von Erdmut Wizisla. Wizisla ist zwar primär an Benjamin interessiert, er hat die zwei Bände ”Benjamin-Begriffe” herausgegeben, ist aber gerade deshalb auch für Brecht zuständig, weil beiden -in Abständen- immer nachgesagt wurde, mit ihrem Marxismus stehe es recht mau, und das Kapital hätten sie nie zu Ende gelesen.

Wizislas Buch beginnt mit einem Kapitel, in welchem das Gezerre um Benjamins Verhältnis zu Brecht zu Lebzeiten und nach dem Tod nachgezeichnet wird. Adorno wurde nicht müde, vor dem Einfluss “Bertas” zu warnen (Berta verschwörungstechnisch für Brecht eingesetzt: die Nazi-Briefzensur sollte getäuscht werden). Horkheimer und Felizitas Adorno immer mit dabei. Als fast noch größerer Warner vor Brecht wirkte Scholem heraus, vor allem in seinen Erinnerungen. Im Zusammenwirken der Frankfurter Schule, damals in Kalifornien im Exil, und Scholems, des größten Judaisten damals, kam es zu einer oberflächlichen Verbindung von Theologie und Soziologie - oberflächlich im Vergleich zu der, die wir in Benjamin selbst finden zwischen Marxismus und Eschatologie.

Für Adorno war Brecht zu plump, inbegriff dessen, was man später vulgärmaterialistisch nannte. Scholem und Adorno war er zu moskauhörig, zu sehr abblendend die feineren Herleitungen und Hinführungen zu den höheren Gütern des Geistes, wie die Frankfurter und Scholem sie bewahren und retten wollten. Am Schlimmsten dann die Erklärungen der Schüler und Nachgeborenen. Tiedemann, Herausgeber Benjamins, wollte einem Murmeln Adornos entnommen haben, Benjamins “Kunstwerkaufsatz” sei “der Furcht vor Brecht” zu verdanken. Aus Furcht wollte er ihn übertrumpfen. Dabei verdankt sich die Dunkelheit der lange Zeit einzig verfügbaren Fassung wesentlich Horkheimers Zensur, der sofort nervös auf dem Stuhl rutschte, wenn es “marxistisch” wurde - in den USA der dreißiger Jahre, lang vor McCarthy und dem kalten Krieg. Daher die unseligen Umschreibungen bei Horkheimer und (erzwungen) bei Benjamin.

Wizisla geht in seinem Buch ganz generell vor gegen die Vorstellung, Brecht habe Benjamin zwar immer wieder als Literaturagenten und Auskunftsperson benutzt, aber eigentlich sei das reines Ausnutzen gewesen. Benjamin sei für Brecht der versponnene Schöngeist gewesen, den man zwar habe unterstützen müssen, aber nicht recht ernst habe nehmen können, wenn es um die handfesten Dinge der realen Politik der kommunistischen Parteien und vor allem Russlands sich handelte. Wizisla zeigt die Verbundenheit der beiden ab 1929 bis hin zum amerikanischen Exil, in dem der Kontakt über die Fronten weg im letzten Lebensjahr Benjamins notgedrungen abbrechen musste.

Schon die Photos sind den Preis des Buches wert. Da sieht man Benjamin, berüchtigten Schachgrübler und “Ermattungsstrategen, unterm Birnbaum beim Spiele sitzen mit Brecht." Oder Brecht 1931, erschütternd schmächtig, schlotterig geradezu, in etwas, das eine Flieger-Montur sein könnte - oder die Edelfassung einer Mechaniker-Kluft.

“Benjamin ... schlug sich als Publizist durch und konvertierte nach der Bekanntschaft mit Scholem zum Zionismus” (Knopf 2006). Irreführender könnte eine Aussage kaum sein - für das Jahr 1929 wohl gemerkt. Die einzigen Schriftstücke, in denen sich Benjamin als Zionist bezeichnete, stammen aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, als er Scholem kaum kannte. Sie beziehen sich auf die gleichstarke Bindung ans Deutsche und ans Jüdische, wobei Zionist für den damaligen Benjamin vor allem Absonderung vom Mainstream des Mitmachens der deutschen Juden in einem gutherzigen Liberalismus bedeutete. 1929 - sechs Jahre nach seiner Begegnung mit Asja Lacis auf Capri, verstand er sich selbst ganz ausdrücklich als Marxist.

Wizisla zeichnet die Entwicklung nach, und kommt dabei vor allem auf die Zusammenarbeit mit Brecht zu sprechen. Beide arbeiteten mit am Programm einer Zeitschrift ”Krise und Kritik”, die bei Rowohlt erscheinen sollte, dann aber der Wirtschaftskrise und der persönlichen Pleite Rowohlts zum Opfer fiel. In Wizislas Buch sind am übersichtlichsten die Protokolle der Diskussionen nachzulesen, die zur Vorbereitung geführt wurden. Brecht erweist sich da zunächst als der handfeste Fragensteller:

”Ich stelle mir vor, dass ein russischer Gelehrter von irgendeiner Universität einen Auftrag bekommt, einen kurzen kulturhistorischen Überblick über die Rolle des Denkens in der Geschichte zu schreiben, und zwar mit der Maßgabe, dass, wenn möglich, gewisse Gesetze oder Hilfsmittel oder Methoden oder Tricks am Schluss zusammengestellt werden, mit denen das Denken bisher gewisse Aufgaben und welche gelöst hat" (Wizisla 135).

Auf der einen Seite fällt das Plumpe der Herangehensweise auf - plumpes Denken hatte Benjamin in einem späteren Aufsatz von allen gefordert, an Brecht gerühmt. Dann aber die absichtlich unterminologische Fassung der Frage nach Basis und Überbau, marxistisch ausgedrückt. Schließlich das entschiedene Drängen auf Handlungsanweisung! Weg von der bloßen Welt - Betrachtung der “freischwebenden Intelligenz” (Mannheim), des mehr oder weniger neutralen Darüber-Stehers. Im ganzen Protokoll verwenden sowohl Brecht wie auch Benjamin kaum marxistische Termini. Das führt leicht zur Meinung, die beiden hätten die eben nicht gekannt, und in Marx nur modisch hineingerochen.

In den sechziger Jahren, erinnere ich mich, pflegte man Kneipen-Bekanntschaften nicht - wie vorher und nachher üblich - zu fragen ”Was machst du?" - sondern “Genosse, wie reproduzierst Du Dich?” Hat das damals wirklich auf tiefere Marxkenntnis schließen lassen?

Brecht, Benjamin und den anderen Beteiligten ging es wesentlich darum, von ihrer Schicht -den damaligen Intellektuellen - auszugehen und, wie Benjamin schreibt, sie so weit zu bringen, dass sie die Notwendigkeit der materialistischen Dialektik von ihrem Standpunkt einsehen müssten. Also Marx nicht voraussetzen, sondern neu die Bedingungen ausfindig machen, die zu seinen Erkenntnissen drängten. Was wäre aber die Notwendigkeit der Gelehrten gewesen, auf Marx zu stoßen. Eben im Namen der Zeitschrift schon beschlossen: die Krise. Und zwar nicht nur die Festgefahrenheit in einer einzelnen Wissenschaft, die wäre ja leicht zuzugeben, sondern die Einzelkrisen als Erscheinungsform der allgemeinen Krise zu erkennen, die eben in der gesamten Zerrüttung der menschlichen Verhältnisse innerhalb der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft sich als umfassende eben jetzt zeigte.

Und dann - von Brecht vorgebracht nach seinen Erfahrungen mit Bühnen, Kritikern und vor allem seinem erfolglosen Kampf gegen die Verwurstung der “Dreigroschen- Oper” im Film - wie bekommen die Schreibenden die “Produktions-Mittel” in die Hand. Wie verhindere ich, Produzent des Stücks, dass die Filmindustrie mich quasi enteignet - mir meine Hervorbringung so entwendet, dass sie gerade entscheidende Teile dessen verliert, was eigentlich gezeigt werden sollte.

Und - Beitrag Benjamins - in dem Punkt weiß sich der Schreibende und Malende usw. mit dem Proletariat einig: beiden muss es darum gehen, die Produktionsmittel in die eigene Hand zu bekommen. Von da aus dann ganz handfeste Vorschläge für Artikel: Schriftstellervereinigungen als eine Art Gewerkschaft ja oder nein? Zunehmende Zensur -etwa im schon halb nazistischen Thüringen. Wie sie abwehren? Es kann hier nicht weit genug ausgeführt werden, was das Marxistische an Brechts (und Benjamins) Vorhaben ausmachte.

Leichter anzugeben, was es nicht sein sollte. Zur gleichen Zeit gab es die Linkskurve, eine Zeitschrift mit heute noch sehr diskutablen Beiträgen, die propagierte, Schriftsteller und Künstler müssten sich unmittelbar als Teile des Proletariats verstehen und den Klassenkampf wesentlich als Propagandisten unterstützen. Das hielt Brecht für Illusion, schädlich, Verrat an der trotz allem gemeinsamen Sache. Er sah es als unmöglich an, per bloßen Beschluss “seine Klasse zu verraten”. “Ab heute bin ich aus meiner Klasse ausgetreten”, sollen Mitglieder der Proletarischen Garde in den frühen siebziger Jahren bekannt haben. Andere, die einsahen, dass das nicht per Übersprung geschehen kann, starrten als sehnsuchtsvolle Hungerleider auf das Proletariat, das alle als Instanz anerkannten, aber nur wenige kannten - sahen sich nach einer unzulänglichen Analyse Mao Tse Tungs “als stinkende Nummer Neun” in den Kategorien der Klassenzusammensetzung und verstummten schamvoll.

Gerade dass Brecht das schon bei der Arbeit an diesem Projekt einsah, macht ihn zum anwendenden Marxisten, dem besonnenen Einüber des “eingreifenden Denkens”. Der Begriff, heute so bekannt, scheint gerade damals von Brecht gefunden worden zu sein.

Brecht machte von den Erkenntnissen Marxens ernsthaft Gebrauch. Es ist oft darüber geklagt worden, dass es keine marxistische Erkenntnistheorie gebe. In Wirklichkeit steckt sie in der nachzuvollziehenden Darstellung der Erkenntnisergebnisse immer schon drin. Das Kapital etwa ist nicht einfach eine Sammlung wahrer Aussagen: Es ist zugleich Anleitung, die gegebenen Aussagen immer neu zu überprüfen, und weiterhin Anleitung, Wegweisung, den ganzen Bestand bisheriger Erkenntnisse der Menschheit auf ihren Entstehungsgrund hin wahrzunehmen, und sie in immer umgreifenderer Wahrnehmung zur Taxierung des gegenwärtig nützlichen Wissens zu nutzen.

Gerade in Brechts Fähigkeit, die Berichte des historischen Galilei oder die eines Grimmelshausen aufzugreifen, liegt sein Marxismus. Er liest den überlieferten Texten zusätzlich das ab, was diese Texte entstehen ließ, was ihnen zugrunde liegt, ohne dass es zur Entstehungszeit voll in den Text hätte einwandern können... Diese Grundlage liefert dann der historische Materialist für seine Zeit nach. Wem die Produktivkraft Wissenschaft zufallen, wem sie nützen wird - die zur Zeit der Atomforschung brennende Frage. Brecht kann sie an Galilei stellen, weil er schon an dessen Arbeiten, Wollen und Zusammenbrechen die Abhängigkeiten der Wissenschaftler und der Wissenschaft abliest.

Genug! Marxismus hat keine vernichtende Intention gegenüber der Bestrebungen der Vergangenheit. Er hat eine erfüllende. Was einem Thomas Müntzer oder Jos Fritz im Bauernkrieg vorschwebte, war damals unerfüllbar- angesichts der Produktionsverhältnisse. Mit Brechtmarxens Methode ist aber aus ihren Kämpfen herauszuholen, was nötig wäre, damit das Gewollte heute - fünfhundert Jahre später - sich vielleicht erfüllte. Bruch ist freilich dazu nötig: Bruch nämlich mit der satten Behaglichkeit der Sorte Historiker, die - ob gewollt oder ungewollt - dem Ruhebedürfnis der Herrschenden dienen, ihrem dauernden Wunsch, den Lauf der Zeit stillzustellen und das “Ende der Geschichte“ (Fukuyama) auszurufen.

Kontinuität über den Bruch hinweg, im Willen das eben Entschwindende am Schopf zu packen und zu retten: Das ist die wahre Arbeit der Marxisten. Innerhalb der umfassenden Perspektive des historischen Materialismus mögen sie dann den begrenzten Wert neuer wissenschaftlicher Methoden, wie das Bürgertum sie noch entwickelte, erfassen und benutzen. So, wie Wiszisla berichtet, bezog sich Brecht in jener Epoche - 1929 - etwa auch auf die erkenntnistheoretischen Schriften der sogenannten “Wiener Schule”, etwa Carnaps, die sich trainierten, aussagelose Sätze aus dem Sprechen auszumerzen. Indem sie etwa raunende Sätze eines Heidegger wie “Draußen ist das Nichts” mit einfachen Sätzen verglichen: “Draußen ist Regen”. Was für Kriterien sind nötig, um die Wahrheit dieses Satzes zu erweisen? Zum Beispiel: Ich gehe vor die Haustür. Gibt es für “Draußen ist Nichts” überhaupt entsprechende Überprüfungsmethoden? (Nein).

Wichtig nur, zu erkennen: Die Wiener Methode dient dazu, manche verfehlte Widerspiegelung der sozialen Wirklichkeit in ihrer Nichtigkeit vorzuführen - aber nicht alle. Zum Beispiel nicht die Meinung, der Markt regle alles besser als wollende Menschen. Der bloße Gang auf den Wochenmarkt belegt zunächst die Wahrheit dieser Aussage. Hier müsste ich erst einmal den Realitätsgehalt des Wortes “Markt” in “Aktienmarkt” im Verhältnis zu “Wochenmarkt” einerseits, Meinungsmarkt andererseits unterscheiden. Soweit reicht die Wiener Methode wohl nicht.

Brecht als Marxist? Wizislas ungeheuer kenntnisreiches Werk erlaubt uns - im Gegensatz zu dem Knopfs - erst zu verstehen, was die Charakterisierung überhaupt bedeuten kann. Wir können mit Wizislas Hilfe auf einen Brecht stoßen, der Marxismus nicht als besessenes Wissen verdaute, sondern der seine Methode tätig anwendete, um aus Nicht-Wissen Wissen zu gewinnen - und damit Anleitung zum Handeln.

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Die Rezension erschien zuerst im August 2006 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, ps, 01/2011)

Erdmut Wizisla 2004:
Benjamin und Brecht. Die Geschichte einer Freundschaft.
Suhrkamp Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-518-39954-5.
396 Seiten. 13,00 Euro.
Zitathinweis: Fritz Güde: Benjamin und Brecht. Erschienen in: . URL: https://kritisch-lesen.de/s/5qHvG. Abgerufen am: 03. 12. 2024 18:37.

Zur Rezension
Rezensiert von
Fritz Güde
Veröffentlicht am
01. August 2006
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Erdmut Wizisla 2004:
Benjamin und Brecht. Die Geschichte einer Freundschaft.
Suhrkamp Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-518-39954-5.
396 Seiten. 13,00 Euro.