Wir suchen wieder Rezensent:innen! Ausgabe #79: Zivil-militärische Zusammenarbeit
Kriege werden zwar nicht vor unserer Haustür geführt, doch beherrschen sie längst unseren Alltag. Spätestens seit dem Ukraine-Krieg werden wir medial und politisch auf den Ernstfall vorbereitet. Ob „Sondervermögen Bundeswehr“ oder Wehrdienstdebatte: Die Militarisierung durchdringt zunehmend Gesundheits- und Bildungssystem, Mobilität und Arbeitswelt. Das Schlagwort heißt „zivil-militärische Zusammenarbeit“ (ZMZ) und steht nicht nur für technische Koordination zwischen Armee und zivilem Sektor, sondern für einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbau: von Krankenhäusern und Kommunen bis in Medienhäuser und Bildungseinrichtungen hinein.
Der Rahmenplan „Zivile Verteidigung Krankenhäuser“ etwa sieht die systematische Vorbereitung des Gesundheitswesens auf den Kriegsfall vor, inklusive Triage-Entscheidungen, Notfalllogistik und strukturellem Personalmangel. Ähnliches findet bei Feuerwehren, THW und Polizei statt, aber auch in vermeintlich unmilitärischen Bereichen. So werden Hotels, Großküchen, Mehrzweckhallen, Schulen und andere Versammlungsorte als Reserveinfrastruktur eingeplant. Ähnlich tief greift der „Operationsplan Deutschland“, ein rund 1.400 Seiten umfassendes Konzept, das der Bundeswehr bereits vor einem formalen „Verteidigungsfall“ Zugriff auf kritische zivile Infrastrukturen einräumt. Die Grenze zwischen ziviler und militärischer Sphäre wird zunehmend aufgeweicht.
Auch die aktuelle Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht ist Teil dieser Entwicklung. Sie wird medial als Frage der Verteidigung von Freiheit verhandelt, ohne zu thematisieren, was unter Bedingungen von Prekarisierung, Zukunftsangst und sozialen Krisen junger Menschen überhaupt verteidigt werden soll. Klassenaspekte bleiben dabei ausgeblendet, obwohl sie zentral sind: Wehrdienst bedeutet in der Regel keinen sozialen Aufstieg, sondern häufig ökonomische Verschlechterung. Die Beschwörung einer allgemeinen Wehr- oder „Solidargemeinschaft“ verschleiert zudem die entscheidende Frage: Wessen Kinder werden im Ernstfall an die Front geschickt?
Zeitgleich wird die Umstellung industrieller Kapazitäten auf Rüstungs- und Kriegsgüter als wirtschaftlicher Impuls verkauft – etwa im Rahmen von Ursula von der Leyens Plänen zur „Wiederaufrüstung Europas“. Der Kriegsfall wird gesellschaftlich normalisiert, bevor er überhaupt eintritt. Und während Milliarden in das Sondervermögen Bundeswehr und das NATO-Zwei-Prozent-Ziel fließen, verfallen Schulen, stürzen marode Brücken ein und das Gesundheitssystem arbeitet am Limit. Vor dem Hintergrund des drohenden Krieges kann der Gürtel aber selbstverständlich etwas enger geschnallt werden.
Doch es gibt auch widerständige Lichtblicke. Initiativen wie „Rheinmetall entwaffnen“ oder „Shut Elbit Down“, gewerkschaftliche Interventionen, Proteste von Tramfahrer*innen gegen Bundeswehr-Werbung und Debatten über Kriegsdienstverweigerung markieren Ansatzpunkte politischer Gegenwehr.
In unserer 79. Ausgabe wollen wir diskutieren, wie eine Friedensbewegung auf der Höhe der Zeit auf die Militarisierung der Gesellschaft reagieren muss?
Wir suchen wieder Menschen, die Bücher, Broschüren, Sammelbände und Literatur zum Thema für Menschen jeden Alters besprechen möchten. Es sind sowohl Rezensionen aktueller und älterer Publikationen willkommen als auch Hinweise für interessante Publikationen, die in unserer Liste fehlen! Ihr arbeitet zu dem Thema aktivistisch, wissenschaftlich oder publizistisch? Ihr habt eine interessante Fragestellung zum Thema am Wickel und könntet euch vorstellen, ein Essay oder Interview zur Ausgabe beizutragen? Auch hier gern her mit euren Vorschlägen! Einsendeschluss für eure Vorschläge zum Schwerpunkt ist der 11.1.2026.
Zudem suchen wir jederzeit Rezensent:innen für aktuelle Neuerscheinungen in anderen Themengebieten. Auch Romane und Kinderbücher sind immer gern gesehen! Insbesondere möchten wir FLINTA*s ermutigen, uns Rezensionen anzubieten.
Wenn ihr Interesse habt, dann schickt eure Ideen bitte mit einer kurzen Begründung und ein paar Worten zu euch selbst an redaktion@kritisch-lesen.de oder an eines der Redaktionsmitglieder. Wir entscheiden nach Eingang der Vorschläge, welche Rezensionen wir gerne in der Ausgabe dabeihätten – und melden uns bei euch. Der Einsendeschluss der fertigen Rezensionen ist der 20.2.2026.
Literaturvorschläge
AK Antimilitarismus: Die große Mobilisierung. PapyRossa 2025.
Hannah Brinkmann: Gegen mein Gewissen. avant-verlag 2020. (Graphic Novel)
Klaus-Jürgen Bruder, Almuth Bruder-Bezzel, Benjamin Lemke, Conny Stahmer-Weinandy (Hg.): Militarisierung der Gesellschaft – Von der Glückssüchtigkeit zur Kriegsbereitschaft. Promedia 2025.
Gunnar Hindrichs: Abseits des Krieges. C.H. Beck 2024.
Marcus Klöckner: Kriegstüchtig! Mobilmachung an der Heimatfront. fiftyfifty 2025.
Grünbuch ZMZ 4.0 bzw. die öffentlich einsehbaren Teile des Operationsplan Deutschland. ZOES 2023.
Olaf L. Müller: Pazifismus – Eine Verteidigung. Reclam 2022.
Olaf L. Müller: Atomkrieg – Eine Warnung. Reclam 2025.
Ole Nymoen: Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde. Rowohlt 2025.
Fabian Scheidler: Friedenstüchtig – Wie wir aufhören können, unsere Feinde selbst zu schaffen. Promedia 2025.
Tania Thomas, Fabian Virchow (Hg.): Banal Militarism. Transcript 2015.
Verweigert euch!: Antimilitaristische Perspektiven auf die kriegerische Gegenwart. Unrast 2026.
Simone Weil: Krieg und Gewalt. Diaphanes 2021.