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Wir suchen wieder Rezensent:innen! Ausgabe #78: Space Capitalism und Klassenkampf im All

Katy Perry fliegt mit einer all female Crew ins All – glänzende Raumanzüge, dramatische Countdown-Shots, Selfies im Orbit – wohl orchestriert mit hochauflösenden Videos, Pressekonferenzen und PR-Events für Jeff Bezos’ milliardenschweres Prestigeprojekt Blue Origin. Das private Raumfahrtunternehmen des Amazon-Gründers, der derzeit Rang drei der weltweit reichsten Personen belegt, verfolgt nach eigener Aussage das langfristige Ziel, Industrien ins All zu verlagern und neue Energie- sowie Materialressourcen zu erschließen. „Um die Erde zu entlasten“, wie er sagt. Es ist eine „Mission“, ein Eroberungszug in Richtung unerschlossener Gefilde – „We’re Building a Road to Space for the Benefit of Earth“ – und of course, wir kommen in Frieden.

Während die Welt also gebannt zusieht, wie ein Popstar in einem selbstgenannten „Akt der Emanzipation“ für 10 Minuten und 22 Sekunden ins All fliegt und dabei „What a Wonderful World“ trällert, gelingt Bezos – der selbst auch schon einen Weltraum-Kurztrip unternahm – damit ein enormer PR-Coup. Die Realität fällt dahinter jedoch zurück: Der Weltraum wird zur Bühne für kapitalistische Expansionbestrebungen, männliche Eroberungsphantasien und Machtkonzentration. Den Geschäften im All sind, so scheint es, nur physikalische Grenzen gesetzt.

Es ist ein langgehegter Menschheitstraum, der hier angerufen wird: Anders als frühere Expansionsziele auf der Erde ist das Weltall (vermutlich) unendlich. Die Mär von der „final frontier“ suggeriert unbegrenzte Möglichkeiten, ein Entrinnen aus den Beschränkungen unserer immer zerstörteren Welt. Doch in Wahrheit verschärft sie Ausschluss, Ungleichheit und die Konzentration von Ressourcen in den Händen einer kleinen Elite, sie reproduziert koloniale Strukturen, verfestigt Dominanzlust und exklusive Akkumulationslogiken.

Das Weltall ist also weit mehr als Technikfaszination und Science-Fiction. Hinter der Glorie von Raketenstarts, Mondbasen und Marsplänen verbirgt sich eine brutale Realität: Klassenkämpfe am Boden, Kolonialphantasien im All und Strukturen kapitalistischer Macht, die Profite und Ressourcen in immer engere Kreise konzentrieren. Während Superreiche wie Elon Musk oder Jeff Bezos mit ihren All(machts)Phantasien Milliarden in Prototypen von Marskolonien und Orbitalstädten pumpen, schuften Arbeiter:innen in Zulieferbetrieben, Laboren und Startanlagen unter prekären Bedingungen – oft mit hochgiftigen Stoffen und unter extremen Sicherheitsrisiken. Wer den Orbit erobert, lässt andere den Preis dafür zahlen.

Gleichzeitig wird das All zur geopolitischen Arena. Satelliten dienen als strategische Infrastruktur, Anti-Satelliten-Waffen werden getestet und Staaten wie die USA verfolgen Initiativen wie die Space Force oder das NASA New Frontiers-Programm zur Erschließung des Weltraums, um ihre Operationen im Orbit abzusichern. Die Internationale Raumstation ISS mag als diplomatisches Symbol gelten, doch die Realität um sie herum sieht anders aus: Die ursprüngliche Akkumulation im All samt militärischer Infrastruktur im Kampf um den Platz an der Sonne hat längst begonnen.

Auch kulturell spiegeln sich diese Konflikte wider. Science-Fiction-Romane, Serien und Filme erzählen von Utopien und Dystopien, von unendlichen Weiten und autoritären Grenzziehungen, von kapitalistischem Größenwahn und Klassenkampf im Asteroidengürtel.

Und auch auf der Erde regt sich Widerstand: Postkoloniale Kritik sieht in Mond- und Marsprojekten eine Neuauflage kolonialer Muster. Gleichzeitig kritisieren Teile der Klimabewegung zurecht, dass Billionen in die Raumfahrt fließen, während die Erde brennt. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie das Global Network Against Weapons & Nuclear Power in Space warnen vor einer Militarisierung des Alls, die das Wettrüsten verschärfen und bestehende Abrüstungsbemühungen untergraben könnte. Streiks und Proteste wie beispielsweise 2023 bei Boeing-Zulieferern oder United Launch Alliance legen Produktionsstätten lahm und machen auf die desaströsen Arbeitsbedingungen und die Naturverwüstungen auf dem Planeten aufmerksam.

In unserer 78. Ausgabe wollen wir die komplexen Linien dieser Kämpfe nachzeichnen: Wie reproduzieren sich Kapitalismus, Akkumulationslogiken und koloniale Strukturen im All? Wer profitiert vom Weltraumboom, wer trägt die Kosten? Wo zeigen sich Widerstand, Streiks oder kreative Gegenentwürfe – in Arbeit, Kultur und Aktivismus?

Wir suchen Menschen, die Bücher, Broschüren, Sammelbände und Literatur zum Thema für Menschen jeden Alters besprechen möchten. Es sind sowohl Rezensionen aktueller und älterer Publikationen willkommen als auch Hinweise für interessante Publikationen, die in unserer Liste fehlen! Ihr arbeitet zu dem Thema aktivistisch, wissenschaftlich oder publizistisch? Ihr habt eine interessante Fragestellung zum Thema am Wickel und könntet euch vorstellen, ein Essay oder Interview zur Ausgabe beizutragen? Auch hier gern her mit euren Vorschlägen! Einsendeschluss für eure Vorschläge zum Schwerpunkt ist der 24.9.2025.

Zudem suchen wir jederzeit Rezensent:innen für aktuelle Neuerscheinungen in anderen Themengebieten. Auch Romane und Kinderbücher sind immer gern gesehen! Insbesondere möchten wir FLINTA*s ermutigen, uns Rezensionen anzubieten.

Wenn ihr Interesse habt, dann schickt eure Ideen bitte mit einer kurzen Begründung und ein paar Worten zu euch selbst an redaktion@kritisch-lesen.de oder an eines der Redaktionsmitglieder. Wir entscheiden nach Eingang der Vorschläge, welche Rezensionen wir gerne in der Ausgabe dabei hätten – und melden uns bei euch. Der Einsendeschluss der fertigen Rezensionen ist der 23.11.2025.

Vorschläge:

Jan Völker: Ein Weltall des Kapitals – Die Überwindung der terrestrischen Vernunft. Matthes & Seitz 2025.

Quinn Slobodian: Kapitalismus ohne Demokratie – Wie Marktradikale die Welt in Mikronationen, Privatstädte und Steueroasen zerlegen wollen. Suhrkamp 2023.

Dipesh Chakrabarty: Das Klima der Geschichte im planetarischen Zeitalter. Suhrkamp 2022.

Dava Sobel: Das Glas-Universum – Wie die Frauen die Sterne entdeckten. Piper 2019.

Andreas Dripke, Heinrich Kreft: Kampf ums All – Wie Elon Musk, Jeff Bezos und Richard Branson den Weltraum erobern und die Rolle der NASA, der ESA, Chinas und Russlands. DC Publishing 2025.

Mehdi Soufargi: Die Geopolitik des Weltraums – Herausforderungen durch Macht, Ambitionen und Interessen. Unser Wissen 2022.

Fede Álvarez: Alien: Romulus (Film), 2024.

Mark Fergus, Hawk Ostby: The Expanse (Serie), 2015–2022.

Christian Davenport: The Space Barons – Elon Musk, Jeff Bezos, and the Quest to Colonize the Cosmos. PublicAffair 2018.

Julian Guthrie: How to make a spaceship – A Band of Renegades, an Epic Race and the Birth of Private Spaceflight. Penguin Books, Random House 2016.

Daniel Deudney: Dark Skies – Space Expansionism, Planetary Geopolitics, and the Ends of Humanity. Oxford Uni Press 2020.

Adam Becker: More Everything Forever – AI Overlords, Space Empires, and Silicon Valley's Crusade to Control the Fate of Humanity. Basic Books 2025.