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Wir suchen wieder Rezensent:innen! Ausgabe #74: Politisches Christentum

Wir leben in einer säkularisierten Moderne. Die christlichen Kirchen haben vielerorts mit einem erheblichen Mitgliederschwund zu kämpfen, Religion wird kaum mehr als etwas den Alltag Prägendes wahrgenommen – außer im spirituellen Sinne, als Anleitung zur Selbstfindung. Präsent scheint Religion dann im öffentlich-politischen Diskurs, wenn mit rassistischem Beigeschmack vor „dem politischen Islam“ gewarnt wird. Doch bei genauerem Hinsehen wird diese Selbstverständlichkeit schnell brüchig: Ultrachristliche Gruppierungen haben weltweit erheblich an politischem Einfluss gewonnen und spielen eine bedeutende und besorgniserregende Rolle in ihrer ideologischen Verbindung zu reaktionären politischen Kräften.

Wir wollen in unserer 74. Ausgabe aufräumen mit religiös motivierten Antifeminist:innen, christlich-nationalistischen Trump-Unterstützer:innen, zionistischen Endzeitevangelikalen und vielem mehr. Seid ihr dabei?

Die Rolle dieser Strukturen beschränkt sich nicht nur auf den alltäglichen Bereich der Glaubensausübung und Gemeindeaktivitäten. Sie üben auch auf kultureller, wirtschaftlicher, politischer, geostrategischer Ebene einen bedeutenden Einfluss aus. Ungarns Premierminister Viktor Orbán etwa setzt in seiner Politik insbesondere auf die Unterstützung religiös- völkischer Gruppen. Diese Zusammenarbeit hat dazu beigetragen, dass konservative Familien- und Geschlechtervorstellungen und eine rassistische restriktive Migrationspolitik in den Mittelpunkt der ungarischen Politik gerückt sind. Auch in Deutschland versuchen sich Rechtsextreme und religiöse Rechte immer wieder an einem Schulterschluss, was ihnen insbesondere über Netzwerke wie dem Bundesverband Lebensrecht und Ähnlichen gelingt.

In Brasilien oder den USA sind Evangelikale eine der einflussreichsten Wähler:innengruppen. Die Unterstützung entsprechender Kandidat:innen, die Ernennung konservativer Richter:innen und die Förderung einer Politik, die auf traditionell-patriarchalen Familienwerten basiert, sind zentrale Anliegen. Prominentes Beispiel ist zum wiederholten Mal Donald Trump: Die bibeltreue Bewegung sieht ihn als Instrument Gottes, der gesellschaftliche Missstände – etwa Emanzipationsbewegungen, Evolutionslehre, Homosexualität oder den Islam – korrigiert. Ihre religiöse Auslegung ist stark emotionalisiert und schematisch: die guten Christen gegen das absolute Böse der modernen Welt. Die globale Allianz der Evangelikalen wächst stetig an. Alleine in Deutschland wird ihre Zahl auf 1,5 Millionen geschätzt, in den USA machen sie grob ein Viertel der Bevölkerung aus. Die Glaubensgemeinschaften verfügen über eine global vernetzte Struktur aus Kirchen, Bildungseinrichtungen, Medien, Vereinen et cetera. Auch wenn es innerhalb der Gemeinschaft Differenzen gibt – liberale Kräfte kritisieren beispielsweise die Zusammenarbeit mit Rechtskonservativen und White- Supremacists – beschert den Evangelikalen gerade ihre Anschlussfähigkeit an das Reaktionäre und Rechte weltweit einen massenhaften Zuwachs.

Bemerkenswert ist auch die auf den ersten Blick skurrile Allianz zwischen Evangelikalen und zionistischen israelischen Nationalist:innen. Diese Verbindung basiert auf einer gemeinsamen und unbedingten Unterstützung des Staates Israel, die ihre Begründung in der wörtlichen Auslegung der Bibel findet. Kriege im Nahen Osten interpretieren Evangelikale oft als Vorboten des Jüngsten Gerichts, der großen blutigen Schlacht Armaggeddon, nach der Frieden einkehren soll und Jesus tausend Jahre lang herrschen wird. Und diese Allianz hat konkrete politische Auswirkungen: Evangelikale Lobbygruppen und Staatsakteur:innen in den USA setzen sich erfolgreich für pro-israelische Interessen ein, für finanzielle und militärische Hilfe, diplomatische Rückendeckung und die Förderung von Siedlungsprojekten sowie für das Einstellen der Unterstützung palästinensischer Hilfsorganisationen.

Karl Marx betrachtete Religion insgesamt als „Opium des Volkes“; als ein Mittel, um die Arbeiter:innenklasse von ihren realen materiellen Bedingungen und der Notwendigkeit revolutionärer Veränderungen abzulenken. Der Einfluss des (reaktionären) politischen Christentums in all seiner Couleur dient dazu, moralische und religiöse Themen in den Vordergrund zu rücken und bestehende Machtstrukturen zu stabilisieren. Wie muss also ein Umgang mit einem solchen politischen Christentum aussehen, um die Verbreitung konservativer und ultrarechter Ideologien, die sich stets in politische Machtausübung übersetzen lassen, zu verhindern?

Wir suchen Menschen, die Bücher, Broschüren, Sammelbände und Literatur zum Thema für Menschen jeden Alters besprechen möchten. Es sind sowohl Rezensionen aktueller und älterer Publikationen willkommen als auch Hinweise für interessante Publikationen, die in unserer Liste fehlen. Ihr arbeitet zu dem Thema aktivistisch, wissenschaftlich oder publizistisch? Ihr habt eine interessante Fragestellung zum Thema am Wickel und könntet euch vorstellen, ein Essay oder Interview zur Ausgabe beizutragen? Auch hier gern her mit euren Vorschlägen! Einsendeschluss für eure Vorschläge zum Schwerpunkt ist der 22.8.2024.

Zudem suchen wir jederzeit Rezensent:innen für aktuelle Neuerscheinungen in anderen Themengebieten. Auch Romane und Kinderbücher sind immer gern gesehen! Insbesondere möchten wir FLINTA*s ermutigen, uns Rezensionsvorschläge zu machen.

Wenn ihr Interesse habt, dann schickt eure Ideen bitte mit einer kurzen Begründung und ein paar Worten zu euch selbst an redaktion@kritisch-lesen.de oder an eines der Redaktionsmitglieder. Wir entscheiden nach Eingang der Vorschläge, welche Rezensionen wir gerne in der Ausgabe hätten – und melden uns bei euch. Der Einsendeschluss der fertigen Rezensionen ist der 15.10.2024.

Literaturvorschläge:

Kristin Kobes Du Mez 2020: Jesus and John Wayne – How White Evangelicals Corrupted a Faith and Fractured a Nation. Liveright Books New York.

Oda Lambrecht, Christian Baars 2013: Mission Gottesreich – Fundamentalistische Christen in Deutschland. Ch. Links Verlag Berlin. Edith Löhle 2024: Bible Bad Ass. Leykam Graz.

Gionathan Lo Mascolo (Hg.) 2023: The Christian Right in Europe – Movements, Networks, and Denominations. transcript Bielefeld.

Matthias Rüb 2008: Gott regiert Amerika – Religion und Politik in den USA, Hanser Berlin Horst Dreier 2018: Staat ohne Gott – Religion in der säkularen Moderne. C.H. Beck München.

Eike Sanders, Kirsten Achtelik, Ulli Jentsch 2018: Kulturkampf und Gewissen. Medizinethische Strategien der „Lebensschutz“-Bewegung. Verbrecher Verlag Berlin.

Monika Sauter 2017: Devoted! Frauen in der evangelikalen Populärkultur der USA. transcript Bielefeld.

Lucius Teidelbaum 2018: Die christliche Rechte in Deutschland – Strukturen, Feindbilder, Allianzen. Unrast Münster.