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Wir suchen wieder Rezensent:innen!
Ausgabe #73: Nachdenken über Bündnisfähigkeit

Die Welt heute scheint unübersichtlich geworden zu sein und steckt voller Krisen: Überall werden Mauern hochgezogen, Grenzen dicht gemacht, Kriege geführt; autoritäre und faschistische Kräfte erstarken, Arbeitskämpfe werden ausgebremst; die Mieten steigen und die Armut auch. Als wäre das nicht genug, zeitigt die Klimakrise immer dramatischere Folgen. Alle sind sich im Klaren darüber, dass es so nicht weitergehen kann, dass man aktiv werden muss. Es geht darum, die multiplen Krisen zu überwinden und mit ihnen auch gleich die kapitalistischen Verhältnisse im Ganzen, als deren Ausdruck wir diese Krisen verstehen. Rhetorisch steht – zumindest für linke Bewegungen – immer schon die Revolution vor der Tür. Neben unseren Widerständen ist die Utopie einer besseren, gerechten Welt seit jeher treibende Kraft für Linke. Doch seltsamerweise wollen sich die Knoten nicht lösen lassen. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Die Krisen verschärfen sich permanent! Und obwohl wir uns alle in Gruppen, Kollektiven, Bündnissen, Parteien, Gewerkschaften und vielen anderen Zusammenhängen abrackern, scheint es innerhalb der politischen und gesellschaftlichen Linken einen Stillstand zu geben, egal ob im bürgerlich eingehegten oder im radikalen Spektrum. Scheinbar kämpfen wir gegen Windmühlen. Die Ernüchterung ist Vielen anzumerken, eine kollektive Aufbruchsstimmung weit und breit nicht in Sicht. Wir fühlen uns politisch ohnmächtig und gelähmt – und greifen uns nicht zuletzt noch gegenseitig an.

Doch was ist eigentlich das Problem? Warum ist es heute so schwierig, eine breite Bewegung auf die Beine zu stellen? Wie kam es neben den aktuellen Verwerfungen auch zu unserer Bewegungskrise? Eine Antwort, die sowohl aus den eigenen Reihen als auch aus der links-liberalen Ecke kommt, lautet, dass man die Errungenschaften der Aufklärung und des Universalismus aus dem Blick verloren hätte, man nicht mehr das große Ganze sehen würde, sondern nur noch in vereinzelten Kleinstgruppen partikulare Interessen von Minderheiten verhandele. Dabei kommt es oft zur Konfrontation von Identitätspolitik versus Klassenkampf, und als Strukturproblem wird der alte Witz von den Linken, die sich spalten, ausgepackt. Es gäbe keine Diskussionskultur mehr und man würde nicht effizient arbeiten. Beinhaltet dieser Vorwurf vielleicht auch ein Körnchen Wahrheit? Fehlt uns eine produktive Diskussionskultur? Sind wir schlecht organisiert? Spaltungen sind sicher so alt wie die Linke selbst, aber die hochgradige und in Teilen feindselige Ausdifferenzierung hat sich in den letzten Jahrzehnten immer weiter zugespitzt.

Wenn wir in die aktivistischen Bewegungen hineinzoomen, dann sehen wir zwar auch eine ganze Reihe von linken Erfolgen, wie beispielsweise erfolgreiche Arbeitskämpfe oder Nachbarschaftsorganisierungen, aber angesichts der multiplen Krisen, vor denen wir stehen, wirken diese Erfolge oft wie Tropfen auf dem heißen Stein. Zeitgleich zerfallen etliche Organisationen oder Gruppen, fragmentieren sich immer weiter oder hören ganz mit der politischen Arbeit auf. Die Pandemiejahre taten ihr Übriges für den Rückzug ins Private. Eine allgemeine Hoffnungslosigkeit macht sich breit, ein Gefühl, überlastet zu sein und sich permanent zu verausgaben.

Es stellt sich also die Frage: Was tun? Wie können strategische Bündnisse heute aussehen? Unter welchen Bedingungen müssten diese organisiert werden? Wenn wir nach einem neuen Kollektivsubjekt suchen, aber stets nur komplexe polyzentrische Netzwerke finden, bröckeln dann heute ganz grundlegend gesellschaftliche Strukturen, auf deren Boden so viele Bündnisse der Vergangenheit entstanden sind? Von welchen vergangenen Strategien können wir dennoch etwas lernen? Und wie können wir den Fokus auf das lenken, was uns verbindet, anstatt auf das, was uns trennt? Wie lassen sich Räume für gemeinsame Debatten schaffen und damit auch eine neue Grundlage für gemeinsame Kämpfe? Wie schafft man es dabei, unterschiedliche politische Ziele auszuhalten und nicht auseinander zu fallen? Und welche größere Vision würde ein Bündnis zusammenhalten?

Es geht in unserer Oktober 2024-Ausgabe um Fragen nach neuen Bündnissen und großen linken Strategien. Wir wollen dazu auch in die Vergangenheit schauen auf die linken Bewegungen und Themen, die uns politisiert haben und damit einen Ausgangspunkt für eine Organisierung gebildet haben. Greift gern noch mal in die verstaubten Ecken eurer Bücherregale: Welche Bücher haben euer kollektives Politikverständnis besonders geprägt? Welche Literatur hat euch zu gemeinsamen Kämpfen motiviert? Stöbert doch mal auf unserer Seite: Gibt es alte kritisch-lesen-Rezensionen von euch selbst oder anderen, die ihr aktualisieren wollen würdet, weil ihr die Inhalte (heute) politisch anders bewertet?

Seid ihr dabei? Wir suchen Menschen, die Bücher, Broschüren, Sammelbände und Literatur zum Thema für Menschen jeden Alters besprechen möchten. Es sind sowohl Rezensionen aktueller und älterer Publikationen willkommen als auch Hinweise für interessante Publikationen, die in unserer Liste fehlen! Einsendeschluss für eure Vorschläge zum Schwerpunkt ist der 9.6.2024.

Zudem suchen wir jederzeit Rezensent:innen für aktuelle Neuerscheinungen in anderen Themengebieten. Auch Romane und Kinderbücher sind immer gern gesehen! Insbesondere möchten wir FLINTA*s ermutigen, uns Rezensionen anzubieten.

Wenn ihr Interesse oder weitere Ideen habt, dann schickt eure Vorschläge bitte mit einer kurzen Begründung eures Interesses und ein paar Worten zu euch selbst an redaktion@kritisch-lesen.de oder an eines der Redaktionsmitglieder.

Wir entscheiden nach Eingang der Vorschläge, welche Rezensionen wir gerne in der Ausgabe dabei hätten – und melden uns bei euch. Der Einsendeschluss der fertigen Rezensionen ist der 17.7.2024.

Literaturvorschläge

Jens Balzer 2022: Ethik der Appropriation. Matthes & Seitz Berlin.

Omri Böhm 2022: Radikaler Universalismus. Propyläen Berlin.

Jule Bönkost 2019: Unteilbar – Bündnisse gegen Rassismus. Unrast Münster 2019.

David Graeber 2012: Inside Occupy. Campus Frankfurt a.M. Neubetrachtung zu einer bereits veröffentlichten Rezension: https://kritisch-lesen.de/rezension/occupy-insights

Franz Eybl, Daniel Fulda, Johannes Süssmann (Hg.) 2019: Bündnisse – Politische, soziale und intellektuelle Allianzen im Jahrhundert der Aufklärung. Böhlau Wien.

Michael Hardt, Toni Negri 2018: Assembly – Die Neue Demokratische Ordnung. Campus Frankfurt a.M.

Sabine Hark 2017: Koalitionen des Überlebens – Queere Bündnispolitiken im 21. Jahrhundert. Wallstein Göttingen. Neubetrachtung zu einer bereits veröffentlichten Rezension: https://kritisch-lesen.de/rezension/solidaritat-statt-identitat

Steffen Mau, Thomas Lux, Linus Westheuser 2023: Triggerpunkte – Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Suhrkamp Berlin.

Chantal Mouffe 2018: Für einen Linken Populismus. Suhrkamp Berlin.

Susan Neiman 2023: Links ≠ woke. Hanser Berlin.

Eva von Redecker 2020: Revolution für das Leben – Philosophie der neuen Protestformen. S. Fischer Berlin. Neubetrachtung zu einer bereits veröffentlichten Rezension: https://kritisch-lesen.de/rezension/nach-unten-schauen

Veith Selk 2023: Demokratiedämmerung – Eine Kritik der Demokratietheorie, Suhrkamp Berlin.

Tom Strohschneider 2014: linke mehrheit? – über rot-grün-rot, politische bündnisse und hegemonie. VSA Hamburg.

Women in Exile 2024: Breaking Borders to Build Bridges – 20 Jahre Women in Exile. edition assemblage Münster.