Wir suchen wieder Rezensent:innen! Ausgabe #69: Deine Freiheit, meine Freiheit
»Meine Freiheit muss noch lang nicht deine Freiheit sein!
Meine Freiheit: Ja! Deine Freiheit: Nein!
Meine Freiheit wird von der Verfassung garantiert
Deine hat bis jetzt nicht interessiert! […]«
Diese Zeilen stammen aus dem Lied „Deine Freiheit, meine Freiheit“ des anarchistischen Liedermachers Georg Kreisler. Mit schwarzem Sprachwitz breitet er in den Strophen aus, was Freiheit als zentraler Begriff für das moderne Individuum in einer kapitalistischen Gesellschaft bedeutet – und wie heikel dieser Begriff ist. Denn nicht nur müssen Freiheiten sich erkämpft werden, sie sind auch stets politisch, sozial, ökonomisch und kulturell umkämpft.
In westlichen Demokratien gilt Freiheit als Grund- und Menschenrecht, das es in dieser Form seit der Zeit der Aufklärung gibt. Eine der berühmtesten philosophischen Grundlegungen für dieses Verständnis formulierte Immanuel Kant, der 1784 die Aufklärung als den „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ definierte. Daraus ergeben sich sowohl sogenannte positive Freiheiten als Freiheiten zu etwas, wie beispielsweise Bewegungs- oder Meinungsfreiheit auf der einen und negative Freiheiten als Freiheiten von etwas – so sollen sich Menschen frei von Repressionen und Zwang entfalten können – auf der anderen Seite. Aber die Aushandlung, was nun Freiheit bedeutet und wem sie zufällt, also die materialistische Ausprägung, findet stets in einer Spannung zwischen Kollektiv und Individuum sowie zwischen Interessensgruppen statt; in einem Gefüge, dass durch Macht, Staat und Kapital strukturiert ist.
Dass Freiheit in dem einen Lebensbereich zu Zwängen in einem anderen führen kann, zeigt beispielswiese Karl Marx anhand der Figur des doppelt freien Lohnarbeiters: ein Arbeiter, der aus der Leibeigenschaft befreit, aber auch frei von Produktionsmitteln ist und nun seine Arbeitskraft auf den Markt tragen muss, um diese zu verkaufen.
»Aber vorläufig wird nichts aus deiner Freiheitsambition.
Du hast noch keine Macht und keine Organisation!
Ich wär’ ja dumm, wenn ich auf meine Freiheit dir zulieb’ verzicht.
Darum behalt ich meine Freiheit. Du kriegst deine Freiheit nicht – Noch nicht!«
Bis vor kurzem war Freiheit dennoch noch ein Begriff, der am Horizont emanzipatorischer Kämpfe stand und somit als ein zentraler linker Begriff verstanden werden musste. Freiheit zielte dabei immer auf eine bestimmte Form einer Gesellschaftsordnung. In den letzten Jahrzehnten gewinnt jedoch zunehmend ein Freiheitsverständnis im Sinne einer Wirtschaftsordnung an Bedeutung. Das Zauberwort, das alles andere ermöglicht, lautet dabei: Marktfreiheit; eine Freiheit, die nur noch das Profitinteresse in den Vordergrund stellt und den Menschen als Zugeständnis die Konsumfreiheit lässt. So wurde ein kollektives Verständnis von Freiheit immer weiter atomisiert. Und so verkümmert auch die Meinungsfreiheit, so dass Menschen frei von jeglicher Affektkontrolle ihren Trieben freien Lauf lassen, wie es an der Zunahme von Verschwörungserzählungen oder Querdenkern während der Corona-Pandemie zu erleben war. Die Freiheit wird immer mehr zum gefährdeten Gut. Die Sorge um die persönliche Einschränkung erfährt Konjunktur, unbenannt bleiben dabei jene Lebensbedingungen, die die Freiheit tatsächlich einschränken. Stattdessen wird auf deutschen Autobahnen ohne Tempolimit fahren zu können, als Inbegriff von persönlicher Freiheit hochgejazzt. Freiheit steht hoch im (Dis)Kurs: Man wird ja wohl noch dürfen!
Diesem liberalen bis rechten Denken hat die gesellschaftliche und politische Linke wenig entgegenzusetzen. Auch wenn sich der Begriff der Freiheit in Nischen in Form von „Bindestrichfreiheiten“ und Freiheiten mit Zusatz wie „Reproduktive Freiheit“, „Ökologische Freiheit“, „Bleibe-Freiheit“ und so weiter hält, scheint es an einem übergeordneten Verständnis des Begriffs zu mangeln.
Es geht in unserer Oktober 2023-Ausgabe um Fragen der Freiheit – seid ihr dabei? Wir fragen uns, wie der Begriff der Freiheit – und auch der Unfreiheit – mit Inhalten gefüllt werden kann, die der Realität entspringen. Und wir möchten ausloten, wie Linke diskursiv einer rechten und neoliberalen Aushöhlung des Begriffs entgegenwirken können. Denn einen linken Begriff von Freiheit brauchen wir! Wir suchen für unsere Ausgabe Menschen, die Bücher, Broschüren, Sammelbände und Literatur zum Thema für Menschen jeden Alters besprechen möchten. Es sind sowohl Rezensionen aktueller und älterer Publikationen willkommen als auch Hinweise für interessante Publikationen, die in unserer Liste fehlen! Einsendeschluss für eure Vorschläge zum Schwerpunkt ist der 23.06.2023.
Zudem suchen wir jederzeit Rezensent:innen für aktuelle Neuerscheinungen in anderen Themengebieten. Auch Romane und Kinderbücher sind immer gern gesehen! Insbesondere möchten wir FLINTA*s ermutigen, uns Rezensionen anzubieten.
Wenn ihr Interesse oder weitere Ideen habt, dann schickt eure Vorschläge bitte mit einer kurzen Begründung eures Interesses und ein paar Worten zu euch selbst an redaktion@kritisch-lesen.de oder an eines der Redaktionsmitglieder.
Wir entscheiden nach Eingang der Vorschläge, welche Rezensionen wir gerne in der Ausgabe dabeihätten – und melden uns dann bei euch. Der Einsendeschluss der fertigen Rezensionen ist der 14.8.2023.
Literaturvorschläge (gerne weitere Ideen einbringen!)
Sophie Wahnich 2016: Freiheit oder Tod. Matthes & Seitz, Berlin.
Jonathan Franzen 2010: Freiheit. Rowohlt Verlag, Reinbek.
Philipp Schink (Hg.) 2017: Freiheit. Suhrkamp, Berlin.
Carolin Amlinger, Oliver Nachtwey 2022: Gekränkte Freiheit – Aspekte des autoritären Liberalismus. Suhrkamp, Berlin.
Hannes Giessler Furlan 2018: Verein freier Menschen? Zu Klampen, Springe.
Grégoire Chamayou 2019: Die Unregierbare Gesellschaft – Eine Genealogie des autori-tären Liberalismus. Suhrkamp, Berlin.
Pravu Mazumdar (Hg.) 2015: Foucault und das Problem der Freiheit. Steiner, Stutt-gart.
Slave Cubela 2018: Engineering der Freiheit – Eine kleine Geschichte der bürgerlichen Propaganda in den USA des 20. Jahrhunderts. Verlag Westfälisches Dampfboot, Müns-ter.
Antje Schrupp 2022: Reproduktive Freiheit – Eine feministische Ethik der Fortpflan-zung. Unrast, Münster.
Angela Davis 2022: Freiheit ist ein ständiger Kampf. Unrast, Münster.
Murray Bookchin 2023: Die Ökologie der Freiheit. Unrast, Münster.
Erich Fromm 1993: Die Furcht vor der Freiheit. dtv, München.
Adrian Daub 2022: Cancel Culture Transfer. Suhrkamp, Berlin.
Klaus Günther, Uwe Volkmann (Hrsg.) 2022: Freiheit oder Leben. Suhrkamp, Berlin.
Milton Friedman 2004: Kapitalismus und Freiheit. Piper, München.
Ludwig von Mises/Friedrich-Naumann-Stiftung 2006: Liberalismus. Academia, Baden-Baden.
Hannah Arendt 2018: Die Freiheit frei zu sein. dtv, München.