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Wir suchen wieder Rezensent:innen!
Ausgabe #68: Erwachsen werden

Unsere Kinder sollen es einmal besser haben. Jahrzehnte schrieben sich junge Eltern dieses Credo auf die Fahne. Ihrem Nachwuchs eine gute Zukunft sichern, das wollen sie heute genauso; doch die Chancen scheinen dafür viel schlechter zu stehen. Junge Menschen wachsen in einer Zeit voller Krisen und Unsicherheiten auf: Klimakrise, Pandemie, Krieg und Inflation setzen ihnen zu, entgrenzte Arbeit, Ungleichheit und Armut steigen deutlich an. In Deutschland allein sind rund ein Viertel aller Kinder und Jugendlichen unter 25 Jahren heute armutsbedroht. Junge Menschen sind global gesehen seit der Finanzkrise 2008 überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen, sind in prekären Arbeits- und Lebensbedingungen gefangen, aus denen sie perspektivisch nicht ausbrechen können. Eine ganze Generation trägt politische Altlasten mit sich herum, die eine Lebensrealität ohne Aufstiegschancen determiniert. Wie sollen sie sich überhaupt eine Zukunft vorstellen? Unbeschwerte Kindheit war einmal!

Gleichzeitig: Genießen junge Menschen heute nicht viel mehr Freiheiten als frühere Generationen? Während Erwachsene, insbesondere Männer, noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine (finanzielle) Versorgerrolle für sich und andere übernehmen sollten, herrscht heute ein immer stärkeres neoliberales Eigenverantwortungsparadigma vor. Entsprechend haben sich auch die Erziehungsmodelle gewandelt. Kinder sollen sich entfalten, ihre eigene Persönlichkeit entwickeln, am besten freie Subjekte werden. Doch das emanzipatorische Potenzial dieses Gedankens wird heutzutage dadurch unterlaufen, dass die sich frei selbstverwirklichenden Subjekte hervorragend in einen deregulierten und prekären, kapitalistischen Arbeitsmarkt passen.

Wie lässt sich die Idee einer Erziehung zur Mündigkeit dennoch hochhalten? Vielleicht kommt man an dem Sprichwort, dass die Familie die Keimzelle der Gesellschaft sei, nicht vorbei. Doch stellt sich die Frage, wie Familie dabei definiert wird und wie sich wirtschaftliche und politische Strukturen auf sie auswirken. Dabei darf nicht aus dem Blick geraten, dass die demographische Entwicklung dazu führt, dass Kinder und Eltern schon jetzt und in Zukunft eine längere Lebenszeit miteinander teilen – das hat Auswirkungen auf die Eltern-Kind-Beziehung, auf Nähe-Distanz-Verhältnisse und Emanzipationsansprüche.

In Teilen sehen wir heute Veränderungen in der Alltagspraxis, zum Beispiel in Form alternativer Verantwortungsgemeinschaften, die die traditionelle Idee der Kernfamilie hinter sich lassen wollen und inzwischen auf rechtlicher Ebene mit entsprechenden Gesetzesentwürfen Rückhalt bekommen. Wie bestimmen sich also diese Formen der Gemeinschaft, in denen junge Menschen groß werden, wenn nicht mehr nur genetische Verwandtschaft zählt, sondern auch emotionale Nähe und ganz allgemein andere Formen der Verantwortungsübernahme?

Wir fragen uns: Wie wird man heute eigentlich erwachsen? Was prägt eine Generation, die auf der einen Seite zwischen politischer Resignation und einer neuen No-Future-Haltung sowie durch die digitale Nähe mittels moderner Kommunikationstechniken um die eigene Persönlichkeit und Unsicherheiten kreist? Verschiedene Studien bestätigen, dass digitale Plattform wie Facebook und Instagram Depression und Angststörungen bei jungen Menschen verstärken. Und die auf der anderen Seite sich wieder viel stärker politisiert und kämpferischer gibt als ihre Vorgänger:innen, wie es beispielsweise in der Klimabewegung zu sehen ist?

Es geht in unserer Juli 2023-Ausgabe um Fragen des Erwachsenwerdens – seid ihr dabei? Wir suchen Menschen, die Bücher, Broschüren, Sammelbände und Literatur zum Thema für Menschen jeden Alters besprechen möchten. Es sind sowohl Rezensionen aktueller und älterer Publikationen willkommen als auch Hinweise für interessante Publikationen, die in unserer Liste fehlen! Einsendeschluss für eure Vorschläge zum Schwerpunkt ist der 24.03.2023.

Zudem suchen wir jederzeit Rezensent:innen für aktuelle Neuerscheinungen in anderen Themengebieten. Auch Romane und Kinderbücher sind immer gern gesehen! Insbesondere möchten wir FLINTA*s ermutigen, uns Rezensionen anzubieten.

Wenn ihr Interesse oder weitere Ideen habt, dann schickt eure Vorschläge bitte mit einer kurzen Begründung eures Interesses und ein paar Worten zu euch selbst an redaktion@kritisch-lesen.de oder an eines der Redaktionsmitglieder.

Wir entscheiden nach Eingang der Vorschläge, welche Rezensionen wir gerne in der Ausgabe dabei hätten – und melden uns dann bei euch. Der Einsendeschluss der fertigen Rezensionen ist der 12.05.2023.

Literaturvorschläge

Susan Neiman 2015: Warum erwachsen werden? Eine philosophische Ermutigung. Übersetzt von Michael Bischoff. Hanser Literaturverlag, München.

Mariam Irene Tazi-Preve 2018: Das Versagen der Kleinfamilie: Kapitalismus, Liebe und der Staat. Verlag Barbara Budrich, Leverkusen.

Rolf Göppel/Johannes Gstach/Michael Wininger (Hg.) 2023: Aufwachsen zwischen Pandemie und Klimakrise. Pädagogische Arbeit in Zeiten großer Verunsicherung. Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 29, Psychosozial-Verlag. Erscheint am 15.03.2023.

Anne Berngruber/Nora Gaupp (Hg.) 2021: Erwachsenwerden heute. Lebenslagen und Lebensführung junger Menschen. Kohlhammer Verlag, Stuttgart.

Stefan Schulz 2022: Die Altenrepublik – Wie der demographische Wandel unsere Zukunft gefährdet. Hoffmann und Kampe, Hamburg.

Alain Badiou 2016: Versuch, die Jugend zu verderben. Suhrkamp, Berlin.

Gisela Notz 2015: Kritik des Familismus. Theorie und soziale Realität eines ideologischen Gemäldes. [thorie.org Reihe] Schmetterling Verlag, Stuttgart.

Paul Goodman 1971: Aufwachsen im Widerspruch. Über die Entfremdung der Jugend in der verwalteten Welt [OA 1960: Growing up absurd. Problems of youth in the organized society], Verlag Darmstätter Blätter.

Sophie Lewis 2023: Die Familie abschaffen. Wie wir Care-Arbeit und Verwandtschaft neu erfinden. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main.

Robert Baar, Maja S. Maier (Hg.) 2022: Familie, Geschlecht und Erziehung in Zeiten der Krisen des 21. Jahrhunderts. Verlag Barbara Budrich, Leverkusen.

B426: Midnight Notes Collective 2021: Arbeit, Entropie, Apokalypse. Syndikat-A, Moers.

Emilia Roig 2023: Das Ende der Ehe. Für eine Revolution der Liebe. Ullstein Verlag, Berlin

bell hooks. 2003: Teaching Community. A pedagogy of hope. (Teaching trilogy) Routledge, London.