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Wir suchen wieder Rezensent*innen!
Ausgabe # 57: Kritisch schwurbeln – Verschwörungstheorien

Werden die Geschicke der Menschen von Geheimbünden gelenkt, von Reptilienwesen oder gar Außerirdischen? Versprühen Regierungen seit Jahren Chemtrails, um unsere Gedanken und Handlungen zu beeinflussen? Und steckt hinter der aktuellen Corona-Pandemie ein ausgetüftelter Geheimplan von Bill Gates zur Massenimpfung für Profite? Glaubt man den zahllosen Verfechter*innen dieser Thesen, scheint es Verschwörungen am laufenden Band zu geben. Mächtige Gruppierungen oder gar Einzelpersonen werden für die globalen Missstände verantwortlich gemacht. Es spielt im Prinzip keine Rolle, wie absurd (antisemitisch, rassistisch oder krude menschenverachtend) die jeweilige Vorstellung anmutet: Es genügen einige Schuldige, um zu erklären, warum die Welt so ist, wie sie ist – und die Beteiligten scheinen im Puzzlespiel der Verschwörungen immer ein paar Teile mehr zusammensetzen zu können als alle anderen.

Verschwörungstheorien sind oft ein Versuch, reale politische und gesellschaftliche Konflikte durch Machenschaften einer geheimen Gruppe zu erklären. Die Welt wird in ein Freund-Feind-Schema unterteilt. Machtverhältnisse werden zwar potenziell thematisiert – die Wut der Anhänger*innen richtet sich gegen „das Establishment“ oder gegen „die Regierung“ – jedoch werden sie antisemitisch, rassistisch und antikommunistisch erklärt. Dass solche Vorstellungen und Theorien brandgefährlich sein können, zeigen Gewaltaufrufe in den Reden der Vorreiter*innen, die auch zu gewaltvollen Übergriffen und Anschlägen führen. Und es ist schwer, diesen fahrenden Zug zu bremsen: Jede Richtigstellung, jeder Verweis auf Fakten ist für Verschwörungstheoretiker*innen ein weiterer Beweis für die große Weltverschwörung.

Dennoch: Die Geschichte lehrt uns eben auch, dass staatliche Verschwörungen, Vertuschungsaktionen und orchestrierte Fehlinformationen existieren. Stay-behind-Strukturen wie das italienische Beispiel Gladio oder der Umgang mit tief verankerten Nazi-Netzwerken, vom sogenannten NSU bis zu aktuellen Nazistrukturen in Bundeswehr und Polizei sind nur einige Beispiele dafür. Es gibt von vielen Menschen ein berechtigtes Unbehagen gegenüber dem gesellschaftlichen System, in dem wir heute leben. Ausbeutung, Ungleichheit, struktureller Rassismus und Sexismus – um nur einige zu nennen – sind Erscheinungen eines globalen Kapitalismus, gegen den nicht nur Linke kämpfen. Dieser Kampf findet an vielen Fronten statt: Im Namen liberaler demokratischer Grundrechte verteidigen derzeit Corona-Leugner*innen das neoliberale Credo der persönlichen Freiheit. Paradoxerweise sind es zu einem Großteil die gleichen Menschen, die den Pluralismus als Fremdbestimmung oder Diktatur empfinden.

Doch gerade bei der Corona-Krise fanden sich Linke plötzlich Seite an Seite mit liberalen Lockdown-Gegner*innen. Und beide Fraktionen beriefen sich auf das Grundgesetz, um sich von den „Folienkartoffeln“ abzuheben. Im Affekt fanden sich Linke plötzlich als Verteidiger*innen der autoritären Staatsräson, um eine möglichst große Distanz zum Verschwörungsgeschwurbel herzustellen. Es ist wichtig, die Frage zu stellen, wie wir aus diesem Dilemma Auswege finden. Wir müssen dringend unsere Standpunkte schärfen. Wir fragen uns also: Wie sollte man diesen Theorien und ihren Anhänger*innen begegnen? Wie erkennen wir, wann Verschwörungstheorien gefährlich werden? Welchen linken Verschwörungstheorien sitzen wir eigentlich auf? Wie hängen Verschwörungstheorien und rechte Gesinnung zusammen? Und wie können aus dem Unmut über die gesellschaftlichen Zustände auch Potentiale der Emanzipation jenseits kruder Erklärungsansätze wachsen?

Für die Oktober 2020-Ausgabe von kritisch-lesen.de suchen wir Menschen, die Bücher, Broschüren, Sammelbände und Literatur zum Thema für Menschen jeden Alters besprechen möchten. Es sind sowohl Rezensionen aktueller und älterer Publikationen willkommen als auch Hinweise für interessante Publikationen, die in unserer Liste fehlen!

Zudem suchen wir Rezensent*innen für aktuelle Neuerscheinungen in anderen Themengebieten. Wenn ihr Interesse oder weitere Ideen habt, dann schickt eure Vorschläge bitte mit einer kurzen Begründung eures Interesses und ein paar Worten zu euch selbst bis zum 22.06.2020 an redaktion@kritisch-lesen.de oder an eines der Redaktionsmitglieder.

Wir entscheiden nach Eingang der Vorschläge, welche Rezensionen wir gerne in der Ausgabe hätten und melden uns dann bei euch. Der Einsendeschluss der fertigen Rezensionen ist der 10.08.2020.

Literaturvorschläge

Andreas Anton, Michael Schetsche, Michael Walter (Hrsg.): Konspiration – Soziologie des Verschwörungsdenkens. Wiesbaden: Springer VS 2014.

Christian Alt, Christian Schiffer: Angela Merkel ist Hitlers Tochter – Im Land der Verschwörungstheorien. München: Hanser 2018.

Michael Butter: Nichts ist, wie es scheint – Über Verschwörungstheorien. Berlin: Suhrkamp 2018.

Umberto Eco: Das Foucaultsche Pendel. München: Hanser 1989.

Julia Ebner: Radikalisierungsmaschinen – Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren. Berlin: Suhrkamp 2019.

Egon Flaig: Die Niederlage der politischen Vernunft – Wie wir die Errungenschaften der Aufklärung verspielen. Springe: zu Klampen 2017.

Tobias Ginsburg: Die Reise ins Reich – Unter Reichsbürgern. Berlin: Das Neue Berlin 2018.

Bernd Harder: Verschwörungstheorien: Ursachen, Gefahren, Strategien. Aschaffenburg: Alibri 2018.

Karl Hepfer: Verschwörungstheorien – Eine Philosophische Kritik der Unvernunft. Bielefeld: transcript 2015.

Volker Lilienthal, Irene Nevela: Lügenpresse – Anatomie eines politischen Kampfbegriffs. Köln: KiWi 2017.

Wu Ming: Q. Hamburg: Assoziation A 2016.

Katharina Nocun, Pia Lamberti: Fake Facts. Köln: Quadriga 2020.

Helmut Reinalter: Handbuch der Verschwörungstheorien. Leipzig: Salier 2018.

Samuel Salzborn: Angriff der Antidemokraten – Die völkische Rebellion der Neuen Rechten. Weinheim: Beltz 2017.

Christoph Schönberger, Sophie Schönberger: Die Reichsbürger – Verfassungsfeinde zwischen Staatsverweigerung und Verschwörungstheorie. Frankfurt a.M.: Campus 2020.

Binjamin Segel: Die Protokolle der Weisen von Zion kritisch beleuchtet – Eine Erledigung. Freiburg: Ça ira: Freiburg 2017.

Robert Shea, Robert Anton Wilson: Illuminatus! – Die Trilogie. Berlin: Rohwolt 2011.

Merlin Wolf (Hrsg.): Zur Kritik irrationaler Weltanschauungen – Religion, Esoterik, Verschwörungstheorie, Antisemitismus. Aschaffenburg: Alibri 2015.