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Wir suchen wieder Rezensent*innen!
Ausgabe #55: Transformationen

Sie waren einst die Symbole für Prosperität und Fortschritt: Zechen, mit ihren rußigen Schornsteinen und den kilometerlangen Schächten und Stollen. Und mit ihnen die Kumpel, die Flaggschiffe des Industrieproletariats. Damals, in der glorreichen Zeit zwischen den 1950’er und den 1980’er Jahren. Ohne Fleiß kein Preis! Das war über Jahrzehnte hinweg die allgemeine Gewissheit in den westlichen Industrienationen.

Es ist die Zeit des Massenkonsums und des vermeintlichen gesellschaftlichen Wohlstands. Fast jede*r hat ein Auto, einen Fernseher und kann sich den Jahresurlaub für die Familie leisten. Getragen wurde die industrielle Ökonomie durch den Massenkonsum der Arbeiter*innen. Und durch die unermüdlichen Hände der eigens dafür angeworbenen „Gastarbeiter*innen“, welchen die Vorteile des Wirtschaftsaufschwungs nur sehr eingeschränkt zuteil wurde. Doch der Boom ist vorbei. Im Zuge der Deindustrialisierung seit den 1970er Jahren setzte ein Strukturwandel ein, dessen gesellschaftliche Ausmaße erst heute vollends zu Tage treten. Die alten Zentren der Wirtschaft verfallen, die Fabriken stehen leer und die Bergwerke verschwinden.

Die einschneidenden Transformationsprozesse geschehen weltweit: Angefangen in den 1980er Jahren mit Margaret Thatchers neoliberalem „There is no alternative!“ im Vereinigten Königreich, Hardliner Ronald Reagans arbeiter*innenfeindlichen „Reaganomics“ in den USA bis zur Treuhand in der ehemaligen DDR. Und die Entwicklung zieht sich bis heute, bis in das globale Management der Wirtschafts- und Finanzkrise seit 2008. Neoliberale Wirtschaftspolitik verdrängt und verlagert die ursprünglichen Sphären des Industrieproletariats in die Peripherie; prekäre Dienstleistungsjobs und befristete Arbeitsverhältnisse ersetzen die gewerkschaftlich mitabgesicherten „Normalarbeitsverhältnisse“. Auch mit Fleiß gibt es für die Arbeiter*innen von heute oft nicht genug zum sicheren Leben.

Was passiert mit einer Gesellschaft, deren Wohlstand auf einer obsolet gewordenen Industrie fußt? Wie wandeln sich diese Arbeitsweisen heutzutage, etwa wenn wir über die neoliberalen und digitalen Ausprägungen des Kapitalismus diskutieren? Was geschieht mit den sozialen Gefügen, die sich darin entwickelt haben? Die Fabrik war schließlich nicht nur eine Arbeitsstätte, sondern auch ein Ort, an dem soziale Zugehörigkeit, Gemeinschaft und ganz allgemein politische und gewerkschaftliche Organisierung entstehen konnte. Welche Abstiegserfahrungen machen Menschen, denen dieser Halt abhanden kommt?

Seit einigen Jahren wird in den Sozialwissenschaften fleißig über Transformationsgesellschaften diskutiert. Die Erkenntnisse dienen unter anderem auch als Erklärungsmuster für das Erstarken eines neu-rechten Projekts. Das gängige Narrativ dabei: „Wenn ich mich gesellschaftlich komplett atomisiert und ungehört fühle, in einem überalterten Eigenheimquartier oder in einer verlassenen Trabantenstadt lebe, bleibt mir als politische Zuflucht nur noch das rechte Lager“. Wie aber könnte ein linkes Projekt aussehen, dass diesen Transformationsprozessen ohne falsche Nostalgie eine Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft gegenüberstellt?

Für die April 2020-Ausgabe von kritisch-lesen.de suchen wir Menschen, die Bücher, Broschüren, Sammelbände und Literatur zum Thema für Menschen jeden Alters besprechen möchten. Es sind sowohl Rezensionen aktueller und älterer Publikationen willkommen als auch Hinweise für interessante Publikationen, die in unserer Liste fehlen! Zudem suchen wir Rezensent*innen für aktuelle Neuerscheinungen in anderen Themengebieten. Wenn ihr Interesse oder weitere Ideen habt, dann schickt eure Vorschläge bitte mit einer kurzen Begründung eures Interesses bis 15.12.2019 an redaktion@kritisch-lesen.de oder an eines der Redaktionsmitglieder.

Wir entscheiden nach Eingang der Vorschläge, welche Rezensionen wir gerne in der Ausgabe hätten und melden uns dann bei euch. Der Einsendeschluss der fertigen Rezensionen ist der 05.02.2020.

Literatur (aktualisierte Liste)

Steffen Mau: Lütten Klein - Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2019.

Quinn Slobodian: Globalisten – Das Ende der Imperien und die Geburt des Neoliberalismus. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2019.

Lea Haller: Transitland – Geld- und Warenströme im globalen Kapitalismus. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2019.

Andreas Reckwitz: Das Ende der Illusionen – Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne

Philipp Ther; Das andere Ende der Geschichte – Über die Große Transformation. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2019.

Boris Buden: Zone des Übergangs – Vom Ende des Postkommunismus. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2009.

Frank Bösch: Zeitenwende 1979 – Als die Welt von heute begann. München: C.H. Beck 2019.

Nancy Isenberg: White Trash – The 400-Year Untold History of Class in America. London: Atlantic 2017.

Darren McGarvey: Armutssafari – Von der Wut der abgehängten Unterschicht. München: Luchterhand 2019.

David Peace: GB 84. München: Liebeskind 2014.

Franz-Josef Brüggemeier: Grubengold - Das Zeitalter der Kohle von 1750 bis heute. München: C.H. Beck 2018.

Joachim Hirsch und Roland Roth: Das neue Gesicht des Kapitalismus - Vom Fordismus zum Post-Fordismus. Hamburg: VSA 1986.

Volker Braun: Die hellen Haufen. Berlin: Suhrkamp 2011.