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Wir suchen wieder Rezensent*innen
Ausgabe #54: Mal eben die Welt retten

Ökologische Krise, ökonomische Krise, politische Krisen. Die Welt scheint sich auf den Abgrund zuzubewegen. Für manche sind wir kurz davor, für andere ist es fünf nach zwölf. Eins ist immer deutlicher spürbar: Die Sorge um diesen Planeten und unsere Lebensgrundlage. So kann es nicht weitergehen, es besteht dringender Handlungsbedarf. Nur wie? Wie retten wir die Welt? Wie helfen wir denen, für die die Auswirkungen der Krisen schon längst Realität geworden sind?

Weltverbessern ist die Mode schlechthin geworden. Innovative Ideen und Konzepte haben Hochkonjunktur. Von Supermärkten, die Plastiktüten aus dem Sortiment verbannen über städtische carsharing-Lösungen hin zu zero-waste-Bewegungen. Consent-Apps gegen Missbrauch, CO2-Rechner für den Planeten, Schweinefleischdebatten gegen Klimawandel und Migration. In sozialen Netzwerken, Medien, an WG-Tischen, in der Schule, auf dem Buchmarkt: Überall werden eifrig Ideen produziert, wie wir Menschen uns und den Planeten weniger belasten, Menschen besser integrieren, Ungerechtigkeiten abschaffen. Große Technologie-Unternehmen stehen dem in nichts nach und liefern am Fließband neue Produkte, die uns helfen, besser zu sein. Und „besser“ machen uns diese Techniken: Wer richtig konsumiert, trägt seinen Teil bei zur Rettung der Welt. So hat sich ein Wetteifern in Gang gesetzt um die besten Ideen, die konsequentesten Umsetzungen, die innovativsten Angebote. Nicht nur, dass hiermit neue Märkte geschaffen werden für Produzenten, diese Konsumideologie lässt auch völlig außer acht, dass man sich „bewusstes“, „faires“ und „umweltfreundliches“ Leben leisten können muss. Mal ganz davon abgesehen, dass bewusstes Konsumverhalten im einstelligen Prozentbereich etwas zur Verbesserung der Welt beiträgt, werden hier Klassenunterschiede ideologisch untermauert. Die Selbstlosen versus die Desinteressierten. Indes macht sich ein neuer Trend bemerkbar: effective altruism. Datenbasiert und algorithmisch berechnet kann ich mir aussuchen, wo mein Gutes-für-die-Welt-tun die effizientesten Auswirkungen hat, die meisten Leben rettet, am besten investiert ist.

Das Objekt der Lösung aller Probleme ist immer das gleiche: das Individuum. Unangetastet bleibt der Kapitalismus als Produzent der Misere. Im ganzen Kratzen an der Oberfläche werden die Wurzeln der Krise, der Ungleichheiten und der Bedrohungen nicht freigelegt. So bleibt unser Helferkomplex in der gleichen ideologischen Nische des Neoliberalismus gefangen. Auf das Individuum kommt es an, die Gesellschaft gibt es nicht. Soziale Lösungen? Fehlanzeige. Leider, und das ist gefährlich, sind auch linke Debatten von diesen Hilfsansätzen durchzogen und lassen mehr und mehr radikale Ansätze hinter kurzsichtigen Konzepten zurück.

Für die Januar 2020-Ausgabe von kritisch-lesen.de suchen wir Menschen ohne und mit Sesshaftigkeitshintergrund, die Romane, aber auch andere Bücher zum Thema für Menschen jeden Alters besprechen möchten. Es sind sowohl Rezensionen aktueller und älterer Publikationen willkommen als auch Hinweise für interessante Publikationen, die in unserer Liste fehlen! Zudem suchen wir Rezensent*innen für aktuelle Neuerscheinungen in anderen Themengebieten. Wenn ihr Interesse oder weitere Ideen habt, dann schickt eure Vorschläge bitte mit einer kurzen Begründung eures Interesses bis 16.09.2019 an redaktion@kritisch-lesen.de oder an eines der Redaktionsmitglieder.

Wir entscheiden nach Eingang der Vorschläge, welche Rezensionen wir gerne in der Ausgabe hätten und melden uns dann bei euch. Der Einsendeschluss der fertigen Rezensionen ist der 01.11.2019.

Literatur

Kritisch besprechen:

Anthony B. Atkinson: Ungleichheit: Was wir dagegen tun können. Stuttgart: Klett-Cotta 2016.

Paul Collier: Sozialer Kapitalismus!: Mein Manifest gegen den Zerfall unserer Gesellschaft. München: Siedler 2019.

Deutscher Fachjournalisten-Verband (Hrsg.): Positiver Journalismus. Köln: Herbert von Halem 2015.

Christian Felder: Die Gemeinwohl-Ökonomie: Ein Wirtschaftsmodell mit Zukunft. Wien: Deuticke 2018.

Ulrik Haagerup: Constructive News: Warum "bad news" die Medien zerstören und wie Journalisten mit einem völlig neuen Ansatz wieder Menschen berühren. Eugendorf: Oberauer 2015.

Jan Hofer, Dieter Kronzucker, Shary Reeves (Hrsg.): 1000 Ideen, täglich die Welt zu verbessern. Hamburg: Rowohlt 2010.

Jens Kersten (Hrsg.): Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft. Bielefeld: transcript 2016

William MacAskill: Gutes besser tun: Wie wir mit effektivem Altruismus die Welt verändern können. Berlin: Ullstein 2016.

Marek Rohde: Und jetzt retten wir die Welt: Wie du die Veränderung wirst, die du dir wünschst. Stuttgart: Kosmos 2016.

Peter Singer: Effektiver Altruismus: Eine Anleitung zum ethischen Leben. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2016.

Harald Welzer: Alles könnte anders sein: Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen. Frankfurt am Main: Fischer 2019.

Kritische Bücher:

Lars Distelhorst: Leistung: Das Endstadium der Ideologie. Bielefeld: transcript 2014.

David Graeber: Bullshit Jobs: Vom wahren Sinn der Arbeit. Stuttgart: Klett-Cotta 2019.

Achille Mbembe: Politik der Feindschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2017.

Katrin Hartmann: Die grüne Lüge: Weltrettung als profitables Geschäftsmodell. München: Blessing 2018.

Alexander Sedlmaier: Konsum und Gewalt: Radikaler Protest in der Bundesrepublik. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2018.

Nina Verheyen: Die Erfindung der Leistung. Berlin: Hanser 2018.

Merlin Wolf: Alternative Ökonomie: Wohnen – Arbeiten – Konsum. Berlin: Unrast 2019.

Slavoj Žižek: Ärger im Paradies – Vom Ende der Geschichte zum Ende des Kapitalismus. Frankfurt am Main: Fischer 2016.