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Der Hobby-Richter und seine fröhlichen Henker

Buchautor_innen
Klaus Bittermann (Hg.)
Buchtitel
Literatur als Qual und Gequalle
Buchuntertitel
Über den Kulturbetriebsintriganten Günter Grass
Klaus Bittermann macht Günter Grass ein Geburtstagsgeschenk der besonderen Art: In seiner Anthologie versammelt er teils spöttische, teils eher empört anmutende kritische Stimmen zum „Kulturbetriebsintriganten“ Grass.

2007, pünktlich zum 80. Geburtstag des Schriftstellers, bringt Klaus Bittermann in seinem eigenen Verlag eine Anthologie heraus, die den „geistigen Zementsack“ (S. 46) Grass in satirischer und polemischer Manier gründlich aufs Korn nimmt. Viele der Autoren sind dabei der Neuen Frankfurter Schule und ihrem Umfeld zuzurechnen, einer kritisch-humoristischen Künstlerbewegung, die in den 70er Jahren in Frankfurt rund um die Satire-Zeitschriften pardon und später Titanic entstand. Ein wichtiger Aufhänger für die Anthologie ist dabei das reichlich spät erfolgte Geständnis von Grass, in der Waffen-SS gewesen zu sein; nahezu alle Beiträge beziehen sich darauf.

Zwischen Nonsens und souveräner Satire

Die Qualität der Beiträge kann als durchwachsen bezeichnet werden; einige von ihnen werden zwar vielleicht dem Nonsens-Gedanken der Neuen Frankfurter Schule noch gerecht, können aber genauso gut schlicht als albern oder flach angesehen werden. Dies gilt etwa für den Zweizeiler „Erwartung“ von F.W. Bernstein, in dem er einen Schwanzvergleich mit Günter Grass imaginiert, für Bernd Giesekings Beitrag „Memoiren einer Zwiebel“, der die Entstehung von „Beim Häuten der Zwiebel“ aus der Perspektive einer Zwiebel schildert, und Horst Tomayers Gedicht „Hoho, Kalkutta“, in dem Günter und Ute Grass in ihrem Wohnzimmer eine Reise nach Kalkutta spielen.

Zu den weniger gelungenen Beiträgen zählen außerdem eine Collage von Bernd Kramer, ein offener Brief von Horst Tomayer und ein Beitrag von Barbara Kalender und Jörg Schröder. Dieser gewinnt aber dadurch, dass er eher beiläufig Grass auf eine seiner vielen absurden Äußerungen hinweist, nämlich auf die Behauptung, das Vertriebenenthema sei jahrzehntelang tabu gewesen, die auch direkt umfassend widerlegt wird.

Außerdem beschreibt Heiko Werning ironisch, unterhaltsam und jenseits aller moralischen Zeigefinger die verstörende Wirkung von Grass’ bemüht freizügiger Sexualprosa auf pubertierende Jugendliche. Amüsant ist auch der Beitrag „Volkshochschulkursus“ von Ernst Kahl, der auf fünf Bildseiten das „Zeichnen wie Günter Grass in Kalkutta“ (S. 99) vermittelt und dabei Grass’ künstlerische Defizite schonungslos offenlegt, ohne bösartig zu werden. Die Gedichte von Fritz Eckenga und Michael Quasthoff befassen sich aus Post-SS-Geständnis-Perspektive mit dem langweiligen selbsternannten Mahner der Deutschen.

Der längste Beitrag stammt vom Herausgeber selbst und ist eher als ein Sammelsurium anzusehen. Klaus Bittermann nutzt die Gelegenheit, sich seine Meinung zu Günter Grass gründlich von der Seele zu kotzen. Zunächst zitiert er ungefähr jede_n Prominente_n, der sich jemals negativ zu Grass geäußert hat, als wolle er die Legitimität seiner eigenen Anthologie unterstreichen. Als würde das nicht eher die Frage aufwerfen, warum diese Anthologie überhaupt noch nötig ist. Anschließend erörtert er jeden problematischen Aspekt der Person Günter Grass: seine Unfähigkeit, Kritik anzunehmen, seine Überschätzung durch den deutschen Literaturbetrieb, seine penetranten unqualifizierten politischen Äußerungen, seine Art der Selbstvermarktung (besonders augenfällig durch den Zeitpunkt seines Geständnisses) und seine unsäglich schlechte Prosa. Er formuliert dabei witzig, boshaft und souverän und bringt hervorragende Beispiele, das muss man ihm lassen. Beispielsweise arbeitet er heraus, dass Grass jede Karikatur, die ihm nicht passt, mit den Karikaturen im Stürmer vergleicht. Zum Abschluss erörtert er die Absagen, die er für diese Anthologie erhalten hat – ein wenig spannendes Unterfangen. Insgesamt also ein Beitrag, der so durchwachsen ist wie das ganze Buch.

Autoritärer „Blockwart des Olymp“ geriert sich als verfolgter Mahner

Gleich zwei ausführliche Beiträge verfasste Gerhard Henschel, der sich mit Grass als politischem Kommentator und mit der fatalen Wirkung des SS-Geständnisses auf die deutsche Vergangenheitsaufarbeitung auseinandersetzt. Der eine Text betont dabei die Fülle der Themen, zu denen Grass sich schon als Experte präsentiert hat, und die Absurdität und Dreistigkeit vieler seiner Empfehlungen. Besonders scharf greift er dabei die Art und Weise an, wie Grass sich immer wieder als Staatsmann geriere, als eine Art offizieller Vertreter der BRD, ohne jemals ein Mandat dafür erhalten zu haben, und dass Grass dennoch bei jeder Gelegenheit darüber klage, nicht genügend Aufmerksamkeit zu bekommen. Er weist darauf hin, wie sehr der Schriftsteller sich offenbar stets danach gesehnt habe, in irgendein Amt berufen zu werden – sein dauerhaftes Schmollen könnte darin begründet sein, dass das niemals geschehen ist. In seinem anderen Beitrag thematisiert er ebenfalls die Realitätsferne von Grass’ ewig beleidigtem Krakelen. Grass’ „Aberglaube ans eigene sakrosankte Ölgötzentum“ (S. 76) mache ihn unfähig zum Umgang mit Kritik. Er verspottet die alberne Zwiebelmetaphorik und betont unter Bezugnahme auf Walser und Baring, dass Grass eine Nazi-Vergangenheit salonfähig gemacht habe. Nebenbei nimmt er sich einige besonders gestelzte und prätentiöse Formulierungen aus „Beim Häuten der Zwiebel“ vor und kommentiert, „daß er seine Gedankenarmut sprachlich trickreich zu kaschieren vermag“ (S. 78).

Ebenfalls zweimal vertreten ist Wiglaf Droste, der sich in kurzen, aber knackigen Texten mit dem SS-Geständnis und seiner Wirkung befasst. Die Formulierungen sind dabei witzig und stellenweise boshaft: „Es ist genau diese Mischung aus aggressivem Bezichtigen anderer, Leugnen, Selbstmitleid und Selbstgerechtigkeit, die den geistigen Zementsack Günter Grass so abstoßend macht“ (S. 46). Außerdem gibt es einen amüsanten satirischen Beitrag des „Die Partei“-Politikers Oliver Maria Schmitt, der das Szenario des Kino-Starts eines Films über Günter Grass beschreibt. Titel des Films wäre „Der Unbequeme“, und unter Bezug auf diesen Aufhänger arbeitet sich Schmitt an dem ganzen absurden, typisch deutschen Gedankengebilde des einzelgängerischen, verkannten, notfalls selbsternannten unbequemen Mahners ab. Besonders viel Spott bekommt dabei natürlich Grass selbst ab:

„Der Mann, der sechzig Jahre lang die Unbequemlichkeit auf sich nahm, nicht über seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS zu sprechen. Weil er, wie er sagte ,noch keine Form‘ dafür gefunden hatte. Kein Wunder – die gesuchte Form war eine Zwiebel, da wäre außer Günter Grass persönlich doch keine Sau drauf gekommen, mal ehrlich“ (S. 117).

Und so weiter. Sehr treffsicher.

Besonders gelungen sind die Textbeiträge der Autoren, die nicht dem Umfeld der Neuen Frankfurter Schule zuzuordnen sind, nämlich Henryk M. Broder und Marc Obert. Broder präsentiert ein Gedicht von Grass zunächst anonym als Werk eines Hobbydichters und lässt erst anschließend die Katze aus dem Sack – ein wirkungsvolles Manöver. Auch anhand zweier weiterer Gedichte offenbart er Grass’ literarische Unfähigkeit. Des Weiteren fordert er für Grass einen „Preis für Selbstgerechtigkeit, Wehleidigkeit und Verkennung der Realität“ (S. 58). Dafür, dass er bei jeder Kritik an ihm behauptet, man wolle ihn vernichten, gleichzeitig aber selbst sehr großzügig mit Kritik ist: „Man erkennt einen autoritären Charakter am besten daran, dass er anderen verübelt, was er ganz selbstverständlich praktiziert“ (S. 59).

Obert kommentiert wie Broder die unglaublich geschmacklose Wortwahl von Grass, als er kritische Pressestimmen nach seinem SS-Geständnis als „entarteten Journalismus“ bezeichnete. Er erörtert Grass’ „religiöses Verhältnis“ (S. 62) zu sich selbst, das leider von vielen Zeitgenossen geteilt werde, und imaginiert ihn als künftigen Blockwart des Olymp. Besonders schön arbeitet er zwei Widersprüche heraus: Grass sei durch sein Geständnis gerade für all die, die ihn als moralische Instanz längst satt hatten, wieder zu einer solchen geworden, weil er damit den Umgang mit einer SS-Vergangenheit zu einer privaten Entscheidung gemacht habe, und er profitiere genau von jenem götzendienerischen Unterwerfungshabitus der Deutschen, den er ständig kritisiert habe – ohne das offenbar zu bemerken. Auch Obert beweist hier sprachliche Brillanz.

Ein weiterer Beitrag muss als gelungen bezeichnet werden, schafft man es, von der Person des Autors abzusehen: Eckhard Henscheid hat mehrmals in der Jungen Freiheit publiziert und dort unter anderem im Rahmen der von Martin Walser ausgelösten Antisemitismusdebatte behauptet, es gebe in Deutschland ein „Judentabu“ (JF vom 7.6.2002). Die Kritiker_innen antisemitischer Äußerungen bezeichnete er im selben Gespräch pauschal mit dem unsäglichen Label „die politisch Korrekten“, ein in der extrem rechten Szene verbreiteter Reflex. 2006 gab er dem Blatt Klopapier schon wieder ein Interview und spottete im Duett mit dem Interviewer über die allgemeine Ächtung der JF. Man liest seinen Beitrag also mit einem gewissen Widerwillen. Er befasst sich mit Grass’ explizit auf Fontane Bezug nehmenden Roman „Ein weites Feld“, mit dessen Rezeption und mit den Reaktionen auf die Rezeption. An diesem Beispiel arbeitet er treffsicher und amüsant die wehleidige und realitätsferne Selbstverliebtheit, Märtyrerneigung und Kritikresistenz des Schriftstellers heraus. Er fragt, ob Grass eigentlich selbst an diese von ihm immer wieder behauptete Märtyrerrolle glaube, „dieser allenfalls mit sich selbst allerdings schwer gestrafte Kaschubenschnauzbart“ (S. 90), und konstatiert abschließend die unerträgliche Albernheit des deutschen Literaturbetriebs, in dem nicht nur ein Günter Grass so überdimensional viel Raum einnehme, dass andere nicht zu Wort kämen, sondern in dem auch noch dieser Günter Grass sich darüber beklagen könne, dass der mediale Wirbel das literarische Werk in den Hintergrund treten lasse – als wäre er selbst nicht der größte Profiteur dieser Tatsache seit der Entstehung dieser Medienlandschaft.

Daneben enthält das Buch noch einige sehr gute Karikaturen: zwei von OL, eine von Rattelschneck, eine von Greser & Lenz und zwei von F.W. Bernstein – er zeichnet besser, als er schreibt.

Viel Mühe um Weniges

Die Anthologie bietet zweifellos eine geistreiche, bissige und amüsante Freizeitlektüre. Sie ist jedoch redundant, qualitativ heterogen und mitunter allzu flach und albern. Für eine satirische oder polemische Kritik der Person Günter Grass wäre ein Zeitungsartikel oder etwas Ähnliches ein besser geeignetes Format gewesen. Die Anthologie liefert selbst den besten Beweis dafür, dass eine solche Kritik sich schwer auf ein ganzes Buch ausdehnen lässt, ohne an Qualität zu verlieren.

Angesichts der Vielzahl unkritischer Würdigungen in der übrigen Literatur zu Grass leuchtet das Anliegen des Bandes, den „Kulturbetriebsintriganten“ zu entlarven, völlig ein. Fraglich ist aber, ob dieser Band das bei irgendjemandem leisten kann, der Grass nicht schon vorher kritisch gesehen hat. Noch wichtiger ist die Frage, ob so viel Herumalbern ein probates Mittel zur Entlarvung einer tatsächlich sehr kritikwürdigen Person ist. Wenn man sich entscheidet, Grass so ernst zu nehmen, dass man ihm ein ganzes Buch widmet, könnte man diesen Raum auch nutzen, um eine wirklich umfassende und dennoch in die Tiefe gehende inhaltliche Kritik zu üben. Damit könnte man vermutlich auch Leser erreichen, die sich bislang nicht kritisch mit Grass befasst haben. Eine gründlichere inhaltliche Kontextualisierung und Problematisierung seiner Äußerungen würde neben der zweifellos notwendigen Kritik an seiner Person auch die Infragestellung der dahinterstehenden Denkmuster ermöglichen, die gesellschaftlich durchaus verbreitet sind. Das wäre ein wichtiges Unterfangen und damit ließe sich mehr als ein Buch füllen. So jedoch bleibt die umfassendere Kritik weitgehend implizit und wird deshalb kaum einen Prozess der Reflektion größerer Zusammenhänge oder eigener Einstellungen beim Leser auslösen können. Damit soll der Grass-Satire nicht ihre Daseinsberechtigung abgesprochen werden – natürlich darf man über Grass lachen, und es macht Spaß. Aber es ist schade, dass bei so viel Aufwand und Arbeit am Ende dann ein Buch vorliegt, in dem jeder Beitrag über dieselben vier bis fünf Themen herumalbert und mindestens ein Drittel der Beiträge qualitativ verzichtbar wäre.

Der Band steht seinem Anliegen aber nicht nur durch die Wahl des Genres und des Formats im Weg, sondern auch durch die Auswahl der Autoren. Denn auch wenn immer wieder wortreich betont wird, dass moralische Blockwarterei widerwärtig sei, so ist es doch über weite Strecken eine sehr moralische Kritik, die hier geübt wird. Nahezu jeder Beitrag erwähnt das SS-Geständnis, die meisten sogar recht ausführlich. Vor diesem Hintergrund mutet es doch sehr befremdlich an, einen Autor wie Henscheid zu involvieren. Die humorig geschwungene Moral-Keule scheint angesichts dieser Zusammenarbeit schon fast fehl am Platz.

Inzwischen hat man den Eindruck, dass Henscheid und Grass sich geistig näher sind als beiden lieb sein dürfte: 2009 hat Henscheid in der Jungen Freiheit Martin Hohmanns These von den Täter- und Opfervölkern als „ziemlich tadelsfrei“ (JF vom 4.9.2009) bezeichnet und ganz geschmeidig Adolf Hitler und Hannah Arendt im selben Text zitiert. Günter Grass hat bekanntlich 2012 mit seinem von ihm fälschlicherweise für ein Gedicht gehaltenen Machwerk „Was gesagt werden muss“ eine Antisemitismus-Debatte ausgelöst und sich inhaltlich nahtlos an Henscheids These vom „Judentabu“ angeschlossen – auch dies ein in der extremen Rechten verbreiteter Reflex.

Gerade diese Debatte hat gezeigt, wie wichtig das Anliegen dieser Anthologie eigentlich ist – die Entlarvung von Günter Grass als geltungssüchtiger und reaktionärer Schwachkopf. Denn seine Äußerungen erwiesen sich als erschreckend mehrheitsfähig und bedürften dringend weiterer argumentativer Kritik. Leider kann dieser Band aufgrund seiner Konzeption und Autorenauswahl sein Anliegen aber nur sehr begrenzt erreichen.

Klaus Bittermann (Hg.) 2007:
Literatur als Qual und Gequalle. Über den Kulturbetriebsintriganten Günter Grass.
Edition Tiamat, Berlin.
ISBN: 3-89320-108-4.
128 Seiten. 12,00 Euro.
Zitathinweis: Andrea Wierich: Der Hobby-Richter und seine fröhlichen Henker. Erschienen in: . URL: https://kritisch-lesen.de/c/1178. Abgerufen am: 18. 04. 2024 02:13.

Zum Buch
Klaus Bittermann (Hg.) 2007:
Literatur als Qual und Gequalle. Über den Kulturbetriebsintriganten Günter Grass.
Edition Tiamat, Berlin.
ISBN: 3-89320-108-4.
128 Seiten. 12,00 Euro.