Zum Inhalt springen

Vergessen ist die Erlaubnis zur Wiederholung

Buchautor_innen
Karl Meyerbeer / Pascal Späth (Hg.)
Buchtitel
Topf & Söhne
Buchuntertitel
Besetzung auf einem Täterort

Die Auseinandersetzung mit dem historischen Nationalsozialismus und die Erinnerung an die vielen Opfer dieser Ideologie wach zu halten, stellt einen wichtigen Bezugspunkt für viele Antifaschist_innen dar. Welche Besonderheiten dies mit sich bringen kann, wenn eine solche Auseinandersetzung auf einem ehemaligen Täterort stattfindet, zeigt dieses Buch.

Täterorte zu fotografieren ist eines der Projekte, das seit diesem Jahr unter Anleitung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN/BDA) Möglichkeiten sucht, den Spuren des NS in der heutigen Auseinandersetzung einen bildlichen Ausdruck zu verleihen, gerade um Verwicklungen der Wirtschaft und den daraus erwachsenen ökonomischen Profit in den Fokus zu rücken. Dies scheint bitter nötig, steht es doch um die Ausgestaltung diverser Gedenkorte, häufig auch aufgrund fehlender finanzieller Mittel, nicht immer gut und viele Aspekte einer tiefergreifenden Auseinandersetzung finden kaum Beachtung. Teil dieses Fotoprojektes ist auch das ehemalige Topf & Söhne-Gelände in Erfurt. Hier erinnert nach Jahren der Auseinandersetzung mittlerweile ein Zentrum an die Verstrickungen der Firma im NS. Topf & Söhne wurde in den 1920er Jahren zentraler Akteur in Sachen Krematoriums- und Abfallofenbau. Ab 1939 begann dann die Zusammenarbeit mit der SS. Die Firma stellte als erste einen mobilen Verbrennungsofen in Buchenwald zur Verfügung. Im Anschluss daran entwickelte sie stationäre Verbrennungsöfen, die in den Konzentrations- und Vernichtungslagern Auschwitz, Buchenwald, Mogilev, Dachau und Mauthausen eingesetzt wurden. Um die „Entsorgung“ der vielen Toten „effizient“ zu organisieren, wurde gerne auf die „Kompetenzen“ der bei Topf & Söhne beschäftigten Ingenieure zurückgegriffen. Über diese Umstände informiert das Zentrum heute mit städtischer Förderung auf einem Teil des ehemaligen Topf & Söhne-Geländes. Umrahmt wird es von einem Einkaufsmarkt sowie einem großen Parkplatz. Diese wurden 2009 etwa zeitgleich mit dem Bau des Zentrums aus dem Boden gestampft. Dafür abgerissen wurden nicht nur Teile des ehemaligen Topf & Söhne-Geländes, sondern auch das über Erfurt hinaus bekannte Besetzte Haus, das auf diesem Gelände entstand.

Vom kollektiven Leben und Lernen

Der Band selbst beschränkt sich dabei aber nicht nur auf das am 12.04.01 besetzte Gelände, sondern zeichnet einleitend diverse Hausbesetzungen und Versuche, in Erfurt ein linkes Zentrum aufzubauen seit Anfang der 1980er Jahre nach. Der größere Teil des Buches widmet sich dann aber dem Besetzten Haus. „Wir, eine Gruppe politisch engagierter Menschen aus Erfurt haben heute am 12. April um 9:00 Uhr das ehemalige Firmengelände des Nazi-Betriebs Topf & Söhne besetzt.“ Äußerst anschaulich wird die Zeit der Besetzung, die Durchführung diverser Konzerte und Veranstaltungen beleuchtet und ehemaligen Besetzer_innen und/oder Aktivist_innen Raum zur Verfügung gestellt, persönliche Eindrücke, die in den acht Jahren Besetzung zuhauf gesammelt werden konnten, schildern zu können. Der Gruppe selbst war, und das wird nicht nur in der ersten Pressemitteilung deutlich, die historische Rolle des besetzten Geländes bewusst, und diese sollte auch über die nächsten Jahre ein zentrales Moment der politischen Auseinandersetzung werden. Wie kann die Auseinandersetzung der radikalen Linken in einem solchen Kontext vonstattengehen? Auf diese Frage liefert der Band zwar keine abschließenden Antworten, jedoch äußerst interessante Einblicke in Perspektiven, aber auch Fallstricke.

Schon in den Vorbereitungen und ersten Überlegungen einer möglichen Besetzung in Erfurt war den Beteiligten bewusst, dass eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des Geländes und dem NS eine Notwendigkeit darstellt, auch wenn die Motive für eine Besetzung so vielfältig waren wie die an ihr Beteiligten. Aus diesem Vorbereitungskreis entwickelte sich auch das Autonome Bildungswerk (ABW), das hauptsächlich zwischen 2002 und 2003 öffentliche Aktivitäten entfaltete und dem Anspruch der Besetzer_innen, sich mit der Geschichte des Geländes auseinanderzusetzen, in der Praxis Rechnung tragen wollte. Hierbei sollte sich zum einen selbst gebildet und historisches Wissen über den NS und die Verstrickungen der Firma Topf & Söhne gemeinschaftlich erworben werden, zum anderen wurde versucht, über Veranstaltungen und Vorträge nicht nur die übrigen Besetzer_innen über die historische und politische Bedeutung des Geländes zu informieren, sondern ebenso Anwohner_innen und sonstige Interessierte. Spannend in diesem Zusammenhang ist die Perspektive auf den „bürgerlichen“ Förderkreis Geschichtsort Topf & Söhne. Diese war nicht nur aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen von Erinnerungsarbeit durch Spannungen gekennzeichnet, die im Rahmen der Räumung sogar noch zunahmen. Selbstkritisch wird vom ABW auch auf die eigenen linken Ansprüche geblickt, die Institutionalisierung, Expert_innentum und kollektives Lernen reflektieren und zu dem Schluss kommen, dass das ABW als „ein echtes Stück bürgerschaftlichen Engagements (…) als Teil einer unerzählten Geschichte der Zivilgesellschaft Erfurts gelten [kann]. Als revolutionäres Projekt der kollektiven Bildung für eine andere Gesellschaftsordnung ist es Teil linker Geschichte des Scheiterns.“ (S. 36)

„Die Linke ist antideutsch oder sie ist nicht“

Die historische Bedeutung des Geländes war den Aktivist_innen jedoch nicht nur Grund genug, die Verstrickungen der Firma in den NS zu beleuchten und diese wahrnehmbar zu machen, sondern immer auch Motivation, Perspektiven für aktuelle Auseinandersetzungen daraus abzuleiten. Dass diese nicht immer ohne Probleme vonstatten gingen, ist Teil einer heterogenen Zusammensetzung der radikalen Linken, die auch in Erfurt und hier im Besonderen auf dem besetzten Gelände ihren Ausdruck fand. Die Kommunistische Plattform in der Haus-Vollversammlung und die Gruppe Pro Israel waren zwei Zusammenhänge, die im Umfeld des und im Besetzten Haus aktiv waren. Die Bezugnahme auf die Historie des Geländes fand ihren Widerhall in der Thematisierung von Antisemitismus innerhalb der Linken.

„Gerade wegen der Geschichte des Geländes wollten wir auf gar keinen Fall, dass bei Veranstaltungen antisemitische Stereotype bedient werden – und die werden nun mal in Deutschland oft über den Umweg der Israelkritik artikuliert. Um das von vornherein auszuschließen, haben wir gesagt 'Keine israelkritischen Veranstaltungen auf dem Topf & Söhne-Gelände.'“ (S. 75)

Dass diese Vorgabe aber nicht Produkt eines gemeinsam erarbeiteten Konsens war, der nicht nur angesichts des speziellen Kontextes, in dem sich die Besetzer_innen bewegten, durchaus progressive Tendenzen hätte zeigen können, verdeutlichen die Darstellungen in dem Buch in bereits bekannter Weise. Auseinandersetzungen über USA-, Israel- oder DDR-Fahnen, die Ausladung eines israelischen Filmemachers weil in dessen Film Auseinandersetzungen jüdischer und arabischer Friedensaktivist_innen mit israelischen Sicherheitskräften gezeigt werden, lassen einen fahlen Nachgeschmack zurück. Deutlich wird hieran allerdings, dass der sogenannte Nahost-Konflikt auch in Erfurt nicht entschieden wurde, sondern innerlinke Debatten sich vielfältigster Bezugspunkte bedienen können um ihre jeweilige Sicht zu untermauern. Dass die Geschichte des Topf & Söhne-Geländes hier viel häufiger „Label“ als politische Ausgangsbasis war, wird sehr differenziert und reflektiert dargestellt.

Täter-, Geschichts- und Erinnerungsort

Doch auch außerhalb linksradikaler Zusammenhänge lief die Suche nach gemeinsamen Perspektiven nicht immer befriedigend. Eine wichtige Partnerin in der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Geländes war von Beginn der Besetzung an der Förderkreis Geschichtsort Topf & Söhne, der sich seit Ende der 1990er Jahre für eine Aufarbeitung der Geschichte der Firma eingesetzt hatte. Die Angewiesenheit aufeinander, wenn es darum ging, eine öffentliche Debatte anzustoßen, wird im Buch immer wieder hervorgehoben. „Ohne den Förderkreis gäbe es heute den Erinnerungsort nicht.“ (S. 120) Dies wird deutlich, wenn sich auf der einen Seite für finanzielle Mittel engagiert wird, auf der anderen Seite ganz neue Leute mit der Geschichtsarbeit in Berührung kommen und gemeinsam öffentliche Aktivitäten entfaltet werden. Diese gemeinsam geführten Auseinandersetzungen können aber nicht darüber hinwegtäuschen, und dies vermitteln einzelne Beiträge sehr deutlich, dass letztlich Frust zurückbleibt, wenn der Förderkreis, unter dessen Mitwirkung nunmehr der „offizielle“ Erinnerungsort Topf & Söhne eröffnet wurde, auf diese Zusammenarbeit nicht mehr eingeht. Das Besetzte Haus gibt es in Erfurt nicht mehr, den gemeinsam gewollten Erinnerungsort schon.

„Vielleicht wurde mir auch übel, weil massiv versucht wird, die Geschichte des Besetzten Hauses aus der Öffentlichkeit zu tilgen. Kein Wort fällt im Film zur Ausstellung über die Besetzung, die doch einen Teil der Geschichte des Geländes ausmacht (…). In der Ausstellung und im begleitenden Buch findet sich gerade mal ein Bild und ein Satz, der besagt, dass auf dem besetzten Teil des Geländes auch Geschichtsarbeit stattfand.“ (S. 125)

Diese Frustration rührt nicht nur daher, dass der Förderkreis die Besetzer_innen im Angesicht der Räumung aufgefordert hat das Gelände unverzüglich und freiwillig zu verlassen, um den Geschichtsort nicht zu gefährden, sondern vielmehr daher, dass Geschichte nicht nur erinnert werden kann, sondern sie immer auch die Möglichkeit besitzt für aktuelle Auseinandersetzungen einen kritischen Referenzpunkt darzustellen.

Die in dem Buch dargestellten Beiträge regen zu dieser Auseinandersetzung an und vermitteln darüber hinaus einen lebendigen Einblick in linke Subkultur, womit die Herausgeber_innen den Ansprüchen der Besetzer_innen gerecht werden. Hier wird nicht nur zurückgeschaut und sich erinnert, sondern ein Blick nach vorne gewagt. „Die Vergangenheit zu bewältigen, das ist nur möglich, wenn wir der Auseinandersetzung mit der Geschichte eine radikale Gesellschaftskritik an die Seite stellen und gleichzeitig den Aufbau von Alternativen zu den nach wie vor unmenschlichen Verhältnissen vorantreiben.“ (S. 130)

Karl Meyerbeer / Pascal Späth (Hg.) 2012:
Topf & Söhne. Besetzung auf einem Täterort.
Verlag Graswurzelrevolution, Nettersheim.
ISBN: 978-3-939045-20-5.
187 Seiten. 12,90 Euro.
Zitathinweis: Ulrich Peters: Vergessen ist die Erlaubnis zur Wiederholung. Erschienen in: Gedenkpolitik: Zwischen Mythos und Kritik. 26/ 2013. URL: https://kritisch-lesen.de/s/HAMLY. Abgerufen am: 26. 12. 2024 11:47.

Zum Buch
Karl Meyerbeer / Pascal Späth (Hg.) 2012:
Topf & Söhne. Besetzung auf einem Täterort.
Verlag Graswurzelrevolution, Nettersheim.
ISBN: 978-3-939045-20-5.
187 Seiten. 12,90 Euro.