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Reine Geschichte der Ökologie

Buchautor_innen
Joachim Radkau
Buchtitel
Die Ära der Ökologie
Buchuntertitel
Eine Weltgeschichte

Materialreich wird die Geschichte der Ökologie nachgezeichnet, während die Analyse ebendieser grob umrissen bleibt.

In linken Politikzusammenhängen hat in den vergangenen Jahren eine teils intensive Reflexion des Verhältnisses zwischen kapitalistischer Produktionsweise und der Ausbeutung von Natur im weitesten Sinne stattgefunden. Auf der theoretischen Ebene drückt sich dies aktuell in den Debatten um gesellschaftliche Naturverhältnisse, Postwachstums-Ansätze und einer an der Kritischen Theorie geschulten Analyse des Mensch-Natur-Verhältnisses aus. Auch in der konkreten politischen Praxis haben linke Strömungen spätestens seit den heißen Auseinandersetzungen um den Bau von Atomkraftwerken Mitte der 1970er Jahre „Umwelt“ als neues politisches Kampffeld entdeckt.

Höchste Zeit also, um einen Blick zurück in die historische Genese dieses mittlerweile auch im medialen Mainstream angekommenen Diskurses zu werfen. Auf die Spurensuche hat sich der Bielefelder Umwelthistoriker Joachim Radkau begeben und als Ergebnis seiner detaillierten und jahrelangen Forschung präsentiert er ein wahres opus magnum, das mit seinen fast achthundert Seiten schon materiell imposant wirkt. Und auch inhaltlich gibt Radkau sich nicht mit kleinen Schritten zufrieden: Es soll eine Weltgeschichte sein!

Vorgeschichte

Eine „Meistergeschichte“ (S. 32) soll es dennoch nicht sein, zu spannungsreich und heterogen sind die Felder und Akteure, die unter dem Begriff „Ökologie“ aktiv sind, als das man hier mit groben Pinselstrichen arbeiten könnte. Radkau greift daher auf unterschiedliche Darstellungsweisen zurück und will das scheinbar Desparate doch noch zusammenführen. In dem zweiten Kapitel „Umweltbewegung vor der Umweltbewegung“ rekonstruiert Radkau das philosophische Denken über Natur und greift dabei auf so prominente Vertreter wie Rousseau, Spinoza, Kant und Bacon zurück, deren Naturbezug eine zentrale Rolle in ihrem Werk einnahm. Sozialgeschichtlich ist vor allem die Darstellung früher Konflikte um natürliche Ressourcen interessant, wie zum Beispiel die europaweite „Holznot“. Was sich nach einer frühen Version des Waldsterbens anhört, ist aber bei genauerer Betrachtung ein Prozess der gewaltsamen Aneignung von vormals in Form der Allmende zugänglichen Holzbeständen. Hiervon waren vor allem die ärmeren Bevölkerungsklassen betroffen, da ihnen massiv Gewohnheitsrechte zur Holzfällung beschnitten wurden. Im Rahmen dieses Prozesses wurde aus den Holzbeständen rechtlich abgesichertes Eigentum.

In einer Mischung aus ideen- und sozialgeschichtlicher Darstellung arbeitet Radkau chronologisch die Vorgeschichte der „Öko-Ära“ auf und skizziert dabei sowohl sich entwickelnde Naturbegriffe und Topoi wie zum Beispiel die „Rache der Natur“ und „vernetztes Denken“ als auch konkrete Umweltschutzpolitiken während des New-Deals in den USA und des Nationalsozialismus. Ergänzt wird die „Vorgeschichte“ durch die Biographien prominenter Vorstreiter_innen des Umweltschutzes Rachel Carson, David Brower und Barry Commoner.

Die ökologische Revolution

Im dritten Kapitel entfaltet Radkau dann die zentrale These seines Buches. Mit Beginn der 1970er findet eine entscheidende Veränderung statt: die „ökologische Revolution“ (S. 135). Die Zahl der Publikationen zum Thema Umwelt/-schutz und auch die Neugründung von Umweltschutzinitiativen sowohl auf zivilgesellschaftlicher als auch staatlicher Ebene steigt rapide an. Auch wenn Fakten und Daten Radkau recht geben, bleibt Radkau der starken These von der „ökologischen Revolution“ eine historisch-verstehende Erklärung seiner These schuldig:

„Die ‚ökologische Revolution‘ von 1970 lässt sich aus keiner bestimmten Kausalität heraus erklären: weder aus einer vorhergegangenen Umweltkatastrophe noch aus bestimmten Diskursen oder Interessen bestimmter sozialer Gruppen. Bei zeitlich und räumlich begrenzten Geschichten mögen sich bestimmte Kausalitäten abzeichnen, aber diese zerfasern, sobald man den räumlichen und zeitlichen Horizont weiter spannt.“ (S. 160)

Fraglich ist hier, warum es genau eine Kausalität geben sollte, die alles erklärt. Wenn es weder transpersonale Diskurse noch personale Interessenskoalitionen sind, wer handelt dann überhaupt? Etwas konsterniert bleibt man angesichts der wackligen Revolutions-These zurück. Aber vielleicht zeigen sich an dieser Stelle auch die Grenzen der Analyseperspektive. Zugunsten einer möglichst detaillierten und gründlichen Deskription der Umweltbewegung und des ökologischen Denkens verzichtet Radkau ganz auf theoretische und begriffliche Abstraktion. So werden auch die frühen Umwelt-Diskurse zu Luft- und Abwasserbelastung oder forcierter Ressourcennutzung kaum in Bezug zur kapitalistischen Produktionsweise oder hegemonialen Diskursen (beispielsweise wirtschaftliches Wachstum) gesetzt. Auch die These der „ökologischen Revolution“ bleibt argumentativ einer immanenten Perspektive verhaftet und sucht nach Gründen innerhalb der Umweltbewegung für ihr Erstarken. Lohnenswert wäre etwa eine Diskussion der Postmaterialismus-These, nach der in bestimmten sozialen Milieus des globalen Nordens eine Verschiebung von Wertorientierung hin zu individueller Selbstverwirklichung, Bildungserwerb und unter anderem auch zu ökologischen Orientierungen stattgefunden hat. Ebenfalls bleiben Erklärungsansätze der Bewegungsforschung vollkommen außen vor. Dies ist schade, denn Radkau liefert in seiner empirischen Rekonstruktion mögliche Ansatzpunkte für eine Interpretation am Beispiel der USA:

„Die Umweltbewegung war eben keine direkte Fortsetzung der Protestbewegung gegen der Vietnamkrieg; eher entsprach sie einer Situation, in der viele nach einem neuen Konsens in der gespaltenen Gesellschaft suchten: einer neuen großen Aufgabe, die die Fronten überbrückte.“ (S. 152)

Es scheint kein Zufall, dass der „Umweltschutz“ zu einer Zeit starker innenpolitischer und außenpolitischer Konflikte der USA zu einem hegemonialen Projekt wird, dem sich große Teile der politischen Klasse anschließen − zumindest verbal.

Ära der Ökologie

Das Jahr 1970 ist also, Radkaus Argumentation nach, der signifikante Bruch in der weltgeschichtlichen Betrachtung der Umweltbewegung und des ökologischen Denkens, welcher die „Ära der Ökologie“ einleitet, in der „nach dem Ende der großen Ideologien (…) die populäre Ökologie als einzige geistige Kraft übrig (bleibt), die den neuen globalen Horizont inhaltlich füllt und auf die neuen Herausforderungen reagiert.“ (S. 29) Die „Ära der Ökologie“ ist allerdings keine Phase, in der sich eine konstante Erfolgsgeschichte der Umweltbewegung schreiben lässt, sondern vielmehr ein dynamisches Politikfeld, mit unterschiedlichen Kämpfen und Zielen in unterschiedlichen Kontexten und der steten Gefahr in Institutionen zu erstarren oder in Bewegungen zu verwässern. Und deshalb wählt Radkau in seinem zentralen Kapitel „Die großen Dramen der Umweltbewegung“ auch eine formal angemessene Darstellung, in dem er die Konfliktlinien innerhalb der Umweltbewegung sowohl auf begrifflicher, inhaltlicher, institutioneller und politischer Ebene skizziert.

So zeigt Radkau am Beispiel des Umweltbegriffs die diskursiven Deutungskämpfe um die semantische Füllung des Begriffs auf: Was ist eigentlich Umwelt? Gerade in den Ländern des globalen Südens hat der Begriff Umwelt den faden Beigeschmack des „geistigen Imperialismus“ (S. 174f), da er nicht angemessen die lokalen Umweltprobleme reflektieren kann. Gerade die regionale Spezifität umweltpolitischer Probleme muss im Rahmen von Ökologiedebatten reflektiert werden, da unterschiedliche Geographien und geologische Profile eben unterschiedliche Problemlagen formulieren, andere Lösungsansätze und Akteure erfordern. Es geht Radkau also um eine „Ökologie der Ökologiebewegung“ (S. 175-179), die selbst im geographisch recht engen europäischen Bereich nicht zu unterschätzen ist. Anhand von kleinen historischen Skizzen verdeutlicht Radkau, dass selbst innerhalb von Nationalstaaten (hier die USA) unterschiedliche politische Kulturen divergierende Umweltschutzorientierungen hervorbringen können. Umweltschutz, so kann man aus Radkaus Darstellung folgern, mag ein globales Problem artikulieren, Lösungen sind aber letztlich nur in lokalem und regionalem Kontext zu haben.

Eine nicht zu unterschätzende Wirkung innerhalb der Umweltbewegung hatten die in teilweise apokalyptischem Gestus formulierten Öko-Dystopien. Sie füllen ganze Regalmeter, die meisten von ihnen sind aber mittlerweile in Vergessenheit geraten. Das gleiche Schicksal erlitten auch zahlreiche Öko-Aktivist_innen der ersten Stunde. Die unverkennbare charismatische Wirkung, die von ihnen ausging, beleuchtet das Unterkapitel „Charismatiker und Ökokraten“. Gerade die spirituelle Fundierung zahlreicher Öko-Strömungen faszinierte viele Sympathisant_innen und Aktivist_innen zum Beispiel in der Form von Naturliebe, Naturreligion oder der ökologischen Fundierung des Buddhismus. Auf personaler Ebene ging eine charismatische Kraft von Personen wie dem Grünen-Politiker Rudolf Bahro aus, der sich dann aber einer bizarren Öko-Apokalyptik verschrieb, die ihn letzten Endes ins politische Abseits beförderte. Zu den Gründungstexten und Charismatikern einer sozialen Bewegung gehören auch zweifelsohne die „Märtyrer“, also jene Aktivist_innen, die für ihre Überzeugung sterben mussten oder gestorben sind. Ihnen (Chico Mendes, Ken Saro-Wiwa, Sueb Nakasathien, Karen Silkwood, Fernando Pereira, Hartmut Gründler) setzt Radkau in kurzen biographischen Skizzen ein Denkmal und fragt zugleich, warum sie im kollektiven Gedächtnis der Umweltbewegung heute nicht mehr zu finden sind. Ergänzt werden die biographischen Studien durch zwölf Portraits von Frauen, die im weitesten Sinne von Radkau dem Ökofeminismus zugeordnet werden. Leider bleibt an dieser Stelle eine systematische Rekonstruktion des Zusammenhangs von Ökologie und Aktivistinnen der neuen Frauenbewegung aus und auch ideengeschichtliche Linien werden nicht aufgegriffen, sodass die Portraits etwas unvermittelt nebeneinanderstehen. Als Kontrastfolie zu den biographischen Darstellungen der Umweltaktivist_innen geht Radkau auf verschiedene zivilgesellschaftliche und staatlich-administrative Institutionalisierungsprozesse des Umweltschutzes ein. Exemplarisch wird dies am staatlich organisierten Umweltschutz in China aufgezeigt sowie am NGO-Establishment in den USA, dass eine starke institutionalisierte Lobby im US-amerikanischen politischen System darstellt. Insgesamt gelingt es Radkau auch in diesem Kapitel das Spannungsfeld zwischen persönlichem Charisma und Institution innerhalb der Umweltbewegung deskriptiv anschaulich aufzuarbeiten.

Fülle an Material

Auch die weiteren drei Unterkapitel, die auf Konfliktkonstellationen, Gewaltfrage, ökologische Generationen-Gerechtigkeit und das Verhältnis von Umweltpolitik und der globalisierungskritischen Bewegung beleuchten, bieten eine Fülle von Material, das dem Anspruch, eine Weltgeschichte zu schreiben, gerecht wird. Besonders anschaulich lässt sich die Öka-Ära durch mehrere chronologische Zeittafeln erfassen. Doch was der unbestrittene Verdienst dieser Studie ist, deutet zugleich auf seine Schwäche hin: ein systematischer Zugang, sowohl in theoretischer als auch analytischer Perspektive, fehlt. Und so muss man sich durch die mehr als sechshundert Seiten treiben lassen, um am Ende das Gesamtbild zusammenzusetzen. Zwar hilft am Ende ein Epilog, die Gedanken zu sortieren und die Umweltbewegung als ein heterogenes Ensemble verschiedener Akteure und Aktionsformen mit Zielkonflikten und Spannungen wahrzunehmen, das auf unterschiedlichen politischen Ebenen (lokal, regional, national, transnational) Kämpfe führt, doch bis dahin ist es ein langer Weg, der nicht ganz ohne mitgebrachte Vorkenntnisse begangen werden kann.

Die „Ära der Ökologie“ ist eine Studie, in der sich die Leser_in selbst einen Weg suchen muss, um mit der schier überwältigenden Menge an Daten und empirischem Material umzugehen. Auch der kursorische Bezug auf soziologische Theorien von Max Weber, Robert Michels und Niklas Luhmann bringt keine theoretische Erkenntnis. Zu stark will Radkau eine reine Ökologiegeschichte schreiben, ohne dabei auf gesellschaftlich relevante Strukturzusammenhänge einzugehen. Am Ende bleibt vielleicht dann die Einsicht, dass es linker Diskurspositionen bedarf, die im Öko-Diskurs in Deutungskämpfe einsteigen und den Zusammenhang von kapitalistischer Produktionsweise und Natur(zerstörung) offensiv artikulieren.

Joachim Radkau 2011:
Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte.
Verlag C.H. Beck, München.
ISBN: 978-3406613722.
782 Seiten. 29,90 Euro.
Zitathinweis: Jens Zimmermann: Reine Geschichte der Ökologie. Erschienen in: Ökologie und Aktivismus. 22/ 2012. URL: https://kritisch-lesen.de/s/QC2Gc. Abgerufen am: 23. 11. 2024 10:39.

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Joachim Radkau 2011:
Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte.
Verlag C.H. Beck, München.
ISBN: 978-3406613722.
782 Seiten. 29,90 Euro.