Reclaim your Beauty!
- Buchautor_innen
- Dagmar Filter / Jana Reich (Hg.)
- Buchtitel
- „Bei mir bist du schön...“
- Buchuntertitel
- Kritische Reflexionen über Konzepte von Schönheit und Körperlichkeit
Das Buch liefert eine umfassende Analyse zu den Themen Schönheit und Attraktivität und betrachtet genauer, wie soziale Grenzziehung anhand von konstruierten Körpernormen vorgenommen wird. Hierbei beleuchten die Autor_innen nicht nur Genderaspekte, sondern auch der Einfluss von beispielsweise Alter, Gewicht und Fitness wird kritisch beleuchtet.
„Bei mir bist du schön...“, Band vier der Hamburger Texte zur Frauenforschung, spricht sowohl durch sein Cover als auch durch die liebevollen Illustrationen, die das gesamte Buch durchziehen, ein Publikum an, welches sich nicht nur in der Wissenschaft verortet. Die Autor_innen nehmen Schönheit und die damit verbundenen Konstruktionen kritisch in den Blick und sensibilisieren so die Leser_innen für einen widerständigen und emanzipatorischen Umgang mit Körpern und Ansichten über Schönheit. Betrachtet werden die Verbindungen zwischen Schönheit und Geschlecht, Intergeschlechtlichkeit genauso wie soziale Unterscheidungen in der Wahrnehmung von Schönheit, Körpergewicht und Alter.
In dem Text „Schönheit und Weiblichkeit“ zeigt Birgit Görtler auf, wie Körper durch soziale Zuschreibungsprozesse zu Ungleichheit beitragen und inwieweit vermeintlich geschlechtsunabhängige Zuschreibungen wie „schön“ zu verstärkenden Faktoren (sozialer) Ungleichheit werden. Hierbei wird sich in dem Text nicht auf bestehende (und zu kritisierende) Definitionen von Schönheit bezogen, sondern die Wirkung einer als schön interpretierten physischen Beschaffenheit von Individuen und Gruppen soll untersucht werden. Auch wird zwischen Attraktivität und Schönheit unterschieden, da erstere zwar Körperschönheit beinhaltet, aber auch weitere, von dem äußerlichen Erscheinungsbild unabhängige Faktoren wie beispielsweise Charisma. Attraktivität ist allerdings je nach Geschlecht unterschiedlich zu erreichen: So können Männer über Charisma und Status ihre Attraktivität steigern, wohingegen die Wahrnehmung von Attraktivität bei Frauen viel stärker an gesellschaftliche Schönheitsnormen gebunden ist. Der Einfluss von Schönheit zeigt sich hierbei schon in der Entwicklung persönlicher Qualitäten, da als schön wahrgenommene Menschen Vorteile entwickeln können, weil sie gesellschaftlich bevorzugt behandelt werden. Dass sich diese Thesen in Bezug auf Geschlecht nicht immer bestätigen lassen, führt Görtler anhand des Beispiels aus, dass als sehr schön wahrgenommene Frauen dafür umso stärker objektiviert und sexualisiert werden, was wiederum gesellschaftliche Nachteile mit sich bringt. Görtler führt hierbei unter Bezug auf Pierre Bourdieus Habituskonzept weiter aus:
„Doch nicht nur das körperlich selbstreflexive Moment, sondern auch die Funktion des Körpers als Wissensspeicher sozialer Zugehörigkeit, als Ausdruck von Status und äußerlich technisches Mittel der Selbstrepräsentation durch gesamtgesellschaftlich verstandene Symbolik heben die Bedeutung des Körpers hervor.“ (S. 41)
(Pop)Feminismus, Fitness und Normalisierung
„Wie wurden aus der feministischen Kämpferin für gesellschaftliche Emanzipation und kollektive Freiheit eine gut gelaunt-gestresste Managerin der eigenen Möglichkeiten?“ (S. 70) fragt Kendra Eckhorst und betrachtet kritisch den Zusammenhang von Feminismus und Schönheit in aktuellen Diskursen. In „Schöne, neue Feministinnen“ stellt sie heraus, dass in der Generation der „Alphamädchen“ und der „neuen F-Klasse“ (zwei Bücher, welche in den letzten Jahren verstärkt zum so genannten „Pop-Feminismus“ beigetragen haben) eine Analyse der Verhältnisse geliefert wird, welche durch ihre Verkürzung nicht zu einer emanzipatorischen Veränderung beiträgt.
Als eines der größten Probleme sieht Eckhorst die Verbindung einer verstärkten Individualisierung mit der Kritik an bestehenden Verhältnissen - so werden (medial vermittelte) Schönheitsideale und Körpernormen zwar als solche benannt, „doch nicht als normatives Regime, eher als individuelle Akzeptanzprobleme“ (S. 63). Diese Entwicklung betrifft nicht nur den Bereich Schönheit, sondern auch jenen der Frage nach gesamtgesellschaftlicher Teilhabe: Durch die neuen Feminist_innen wird ein Bild transportiert, welches neoliberaler nicht sein kann. Frau braucht Durchsetzungsfähigkeit, Disziplin und Mut, gewürzt mit ein bisschen Spaß an der Sache und schon wird Feminismus zum angeblichen Massenphänomen – zumindest für gut gebildete, weiße, sozial nicht marginalisierte Frauen. Die Kritik von Eckhorst ist dabei pointiert, argumentativ geschlossen und in der Vermittlung sehr sympathisch, zeigt sie doch so auch auf, welche Fragen in der aktuellen Frauenbewegung noch immer eine notwendige Relevanz haben.
Einem anderen Thema widmet sich Simon Graf in dem Beitrag „Natürlich! Schön normale Männer-Körper“, in dem er den Zusammenhang von Begehren, Fitness und Männlichkeit anhand von Fitnessstudios und –Zeitschriften nachzeichnet, unterlegt mit Aussagen aus Interviews mit männlichen Besuchern der Studios. Für Männer ist der Fokus, den Fitnesscenter setzen, dabei weniger Modellierung des Körpers, um schöner zu wirken, sondern es zählen Fitness, Wohlgefühl und Gesundheit. Hierbei geht es für viele um eine Normalisierung qua Optimierung, also nicht der Anspruch, überragend zu sein steht im Vordergrund, sondern die Anpassung an eine vermeintliche (Körper-)Norm. Graf zeigt dabei auch den Zusammenhang mit Begehren aus, in welchem Fitnesscenter als Räume der heteronormativen Matrix immer wirken, aber auch für nicht-heterosexuelle Menschen für eine Modellierung des eigenen Körpers eine wichtige Rolle spielen. Grafs Beitrag stellt jedoch nicht nur dar, sondern zeigt auch mögliche Perspektiven auf für einen Umgang mit der richtigen Kritik an Fitness als hegemonialem Diskurs und spricht sich dafür aus, deskriptive Studien immer mit einer Subjekt- und Gesellschaftskritik zu verbinden.
Heavy Beauty
Wie Pathologisierung und Politisierung schwerer Körper vorgenommen wird, erläutert Maria Haun in ihrem Beitrag. Der Begriff des schweren Körpers wurde von ihr bewusst gewählt, um eine pathologisierende Sichtweise durch andere Bezeichnungen wie beispielsweise Adipositas nicht zu reproduzieren. Interessant bei schweren Körpern ist die gesellschaftliche Ebene, die das Individuum allein für das eigene Körpergewicht und die damit einhergehende Konnotation als „leistungsunwillig“ verantwortlich mach:
„Indem der schwere Körper als persönliches, frei gewähltes Fehlverhalten interpretiert und stets mit denselben schönheitstheoretischen und gesundheitspolitischen Argumentationslinien begründet wird, ist seine Abwertung gesellschaftsfähig.“ (S. 278)
Haun zeichnet sowohl die historische Entwicklung in der Auseinandersetzung mit schweren Körpern nach, geht aber vor allem auch darauf ein, dass „Deutungen des schweren Körpers zugleich Problematisierungsweisen desselben sind“ (S. 263) – sei es über die Abweichung einer durch den Body-Maß-Index suggerierten Norm oder aber durch Stigmatisierung als „krank“ und der Gleichsetzung mit Bewegungsmangel. Gesellschaftlich ergeben sich daraus immer die Forderungen nach einer Optimierung und Anpassung, welcher Haun anhand drei narrativer Interviews mit „übergewichtigen“ Frauen genauer nachgeht. Trotz dessen, dass die Interviewpartnerinnen sehr unterschiedliche Deutungsmuster in Bezug auf ihren eigene Körper haben, lässt sich doch die Gemeinsamkeit erkennen, dass Erklärungsmuster herangezogen werden, welche nicht unmittelbar durch die Interviewten beeinflusst werden können, so wie gesundheitliche Normabweichung oder aber die eigene Sozialisationsgeschichte. Es wäre interessant gewesen, zu erfahren inwieweit sich auch bei der Beschäftigung mit schweren Köpern eine Interdependenz mit Geschlecht findet, beziehungsweise ob männliche Interviewpartner andere, geschlechtsspezifisch abweichende Analysen geliefert hätten.
Neben den genannten Beiträgen finden sich noch viele weitere spannende Analysen und Debatten in „Bei mir bist du schön...“. In diesen wird genauer beispielsweise auf (dis)ability und Schönheit, dem Bezug zu Mode oder aber auch die Auseinandersetzung mit der Vulva in Medien und Schönheitsdiskursen eingegangen. Alles in allem eine sehr bereichernde Textsammlung, die Lust auf eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit dem Thema macht. Ich hätte mir zum Teil eine klarere Sprache beziehungsweise weniger Bezugnahme auf schon bestehende Theorien und Konzepte, die vielleicht nicht allen Leser_innen bekannt sind, gewünscht. Im Kontrast dazu regen die Illustrationen im Buch immer wieder zum Schmunzeln an und lockern die Inhalte zum Teil durchaus auch auf.
„Bei mir bist du schön...“. Kritische Reflexionen über Konzepte von Schönheit und Körperlichkeit.
Centaurus Verlag, Freiburg.
ISBN: 978-3-86226-143-7.
288 Seiten. 24,80 Euro.