Frühlingseuphorie
- Buchautor_innen
- Tahar Ben Jelloun
- Buchtitel
- Arabischer Frühling
- Buchuntertitel
- Vom Wiedererlangen der arabischen Würde
Mit einer Mischung aus der Schilderung der Ereignisse und Novelle gelingt es dem Autor, die Wut und Entschlossenheit der Revoltierenden nachzuempfinden. Doch kombiniert er dies mit bizarren Forderungen.
„Niemand kann heute wissen, was aus diesen Aufständen entstehen wird. Es wird Irrtümer, Versuche, vielleicht auch Unrecht geben, doch eines ist sicher: Nie wieder wird ein Diktator die Würde des arabischen Menschen mit Füßen treten können.“ (S. 91)
Das heute, von dem Tahar Ben Jelloun in seinem Buch „Arabischer Frühling“ spricht, liegt mittlerweile anderthalb Jahre zurück. Die Ereignisse, von denen er berichtet, die vorangegangenen Monate, die er reflektiert, sind noch frisch im Gedächtnis. Mittlerweile nehmen die Nachwirkungen der Revolutionen in Tunesien, Ägypten, Kuwait, Libyen et cetera im Gegensatz zu den andauernden Kämpfen in Syrien nur noch wenig Raum ein. Sich ein Bild zu machen von dem, was aktuell in den Ländern des Arabischen Frühlings politisch geschieht, bedarf schon einer gezielten Auseinandersetzung, denn das öffentliche Interesse schrumpft, beziehungsweise hat sich auf die Lage in Syrien, „Islamisierung“ und „Probleme“ der Demokratisierung verlagert.
Doch ist auch klar, dass das Bild, das „wir“ uns während der Revolutionen machen konnten, häufig bereits gefiltert war. Die „arabische Welt“ begehrt auf gegen die Despoten, die ihr „Volk“ meist über Jahrzehnte unterjocht hat. „Der Westen“ wurde bei der Außensicht meist nur als stolzes Vorbild in Stellung gebracht, an dem sich die vorwiegend jungen Menschen orientierten. Doch bei genauerem Hinsehen – so Ben Jelloun – sind Europa und die USA mitverantwortlich für die Ausdauer der Regime. Leider neigt Ben Jelloun zur Homogenisierung. So werden „Westen“, „arabische Welt“ oder „arabische Völker“ als quasi einheitliche kulturelle Gebilde in Beziehung gesetzt und notwendige Differenzierungen nicht vorgenommen.
Ein gelungenes Korrektiv?
Ben Jelloun gelingt es immer wieder, die Verantwortung nicht nur europäischer Staatschefs zu betonen, die zumindest indirekt zur Legitimation der Regime in Tunesien und Ägypten beigetragen hätten (Diese beiden Staaten stehen im besonderen Fokus, denn im März 2011, als er dieses Buch verfasste, waren Ben Ali und Mubarak bereits gestürzt, der Ausgang der Revolution in anderen Ländern ungewiss). Gründe dafür seien zum einen, dass sie dachten, Mubarak und Ben Ali seien „Bollwerke gegen die Errichtung islamischer Republiken nach dem iranischen Muster“ (S. 24), eine Annahme die Ben Jelloun entschieden zurückweist, da der im Übrigen sunnitische „Islamismus“ in diesen Gesellschaften nur eine Strömung unter vielen sei. Im Gegenteil sei diese Bewegung als Niederlage des „Islamismus“ zu werten, denn die „islamistischen Aktivisten wurden vom Ausmaß der Proteste überrumpelt und waren größtenteils nicht vertreten“ (S. 11). Mehrfach entkräftet der Autor auch die These, die Muslimbruderschaft sei eine Gefahr für die Region, denn sie sei weder wichtig noch anerkannt genug: „Man kann sie weder ignorieren, noch sollte man ihr zu viel Bedeutung zumessen.“ (S. 55) Und so haben die europäischen Staaten wohlwollend zugesehen, wie nicht nur Ben Ali und Gaddafi sich „ihre“ Staaten wie Besitz aneigneten und mit dem Argument, die „islamistische Gefahr“ (S. 33) zu bekämpfen, Terror und Repression gegen alle legitimierten.
Ein zweiter Grund für das stille Einverständnis mit der Politik der Diktatoren, so macht der Autor deutlich, ist ökonomisch begründet. Besonders im Fall Libyen war das Interesse am Handel, vor allem mit Öl, dem an Menschenrechten vorgelagert. Ben Jelloun klagt die Vertreter westlicher Regierungen an, nicht, oder nicht früh genug in die Menschenrechtslage verschiedener Staaten eingegriffen zu haben, beispielsweise, indem andere Bedingungen an die Geschäfte geknüpft wurden. Doch dabei bleibt es nicht. Selbst eine militärische Intervention wird von Ben Jelloun befürwortet, er beschwert sich sogar, dass die Resolution 1973 des UNO-Sicherheitsrates vom 17. März 2011, die ein militärisches Eingreifen in Libyen ermöglichte, zu zögerlich verabschiedet worden sei. Ein Grund hierfür sei der Druck Saudi-Arabiens auf die USA und die Arabische Liga gewesen, weil es den Aufstand aufhalten wollte. Druckmittel – so die Vermutung – wird die Geschäftsbeziehung zwischen den Staaten gewesen sein.
Zwar lässt die Perspektive Ben Jellouns eine andere Sicht auf die Rolle Europas und der USA in Nordafrika zu, insofern, dass diese überhaupt in die Kritik genommen werden. Hegemoniale Positionen können mit diesem Buch ein wenig zurecht gerückt werden, vor allem was die geschürte Angst vor dem „Islamismus“ betrifft. Doch von Europa und Co eine (militärische) Intervention zu fordern, ist mehr als problematisch. Zum Einen führt eine solche, als „humanitär“ markierte Intervention ebenfalls zu Krieg, zum Anderen fordert Ben Jelloun damit vom „Westen“ genau das ein, was er eigentlich anklagt: Dominanz.
Von der Zeit überholt?
Neben Berichten und Darstellungen der sich umwälzenden Verhältnisse in den einzelnen Ländern finden sich in dem Buch auch Einschätzungen über die zukünftigen Verläufe der Revolution. An diesen Stellen ist das Buch leider von der Zeit überholt, doch es ist spannend, Ben Jellouns Einschätzungen mit der Realität abzugleichen. Zwar sind diese Visionen kurz gehalten, doch die Frage, welche Regime sich mit allen Mitteln an die Macht krallen werden, beantwortet er treffend. Die Besonderheiten für Algerien und Syrien beispielsweise sieht er in der Rolle des Militärs, die sich nicht, wie im Falle Ägyptens, auf die Seite der Protestierenden stellen werden – auch wenn dies sicherlich nicht aus „Volksnähe“ geschah. Doch diese Differenzierung nimmt der Autor nicht vor.
Die Euphorie, die in Ben Jellouns Ausführungen mitschwingt und die Nähe, die er zu Personen aufbaut, um ihre Situation vor und während der Revolution nachzuvollziehen, führen die Lesenden wieder ganz nah an die Ereignisse des Frühlings 2011. Er geht dabei nicht bloß dokumentarisch vor, sondern mischt seine Berichte zu aktuellen und historischen Ereignissen mit Erzählungen rund um die Revolution, die im Stil einer Novelle verfasst sind. Allein zwei Kapitel widmet er dem „Funken“, dem Auslöser, dem jungen Mann Mohamed Bouazizi, der sich am 27.12.2010 vor einem öffentlichen Gebäude in der tunesischen Stadt Sidi Bouzid selbst anzündete. Ihm war der Obst- und Gemüsekarren, mit dem er sein Geld zu verdienen versuchte, von PolizistInnen abgenommen worden, weil er nicht bereit war, diese zu schmieren. Die Wut, die ihn zu diesem radikalen Schritt führte, war jene, die in vielen Tunesier_innen gebrodelt hatte und die sich nun Bahn brach. Am 27.12.2010 kam es zur ersten Demonstration in Sidi Bouzid, hier begann die Jasminrevolution. Knapp drei Wochen später war Ben Ali gestürzt und der Protest verbreitete sich über die Region. Allein in Algerien hatte die Selbstentzündung an öffentlichen Plätzen über zwanzig Nachahmer_innen gefunden, auch während der zahlreichen Demonstrationen fielen tausende Menschen der Polizei- und Militärgewalt zum Opfer. Einige davon würdigt Ben Jelloun namentlich. Durch diese Empathie gelingt es ihm, auf soziale Missstände zwischen Armut und Ohnmacht einerseits und Aufbegehren andererseits hinzuweisen. Einzelne Personen werden so zu Symbolen einer Zeit des Umbruchs. Die Entschlossenheit der Menschen, die Kreativität und Improvisationsfähigkeit sind es, die Ben Jelloun begeistern. Außerdem sei die Revolution keine ideologische gewesen, habe keine Führer vorgezeigt und keine Schuldgefühle an den Rest der Welt ausgeteilt. Das sei es, was den revoltierenden Menschen ihre Würde zurückbrachte.
Zwar ist die im Buch hergestellte Nähe sehr ergreifend und mancher Perspektivwechsel für hegemoniale Positionen eine erforderliche Justierung, doch bleibt insgesamt der Eindruck, dass Ben Jelloun eher aus eurozentristischer Perspektive argumentiert, allein seine Kriegsbefürwortung spricht dafür. Für linke Perspektiven ist hier leider nicht viel zu gewinnen – außer, wie man es vielleicht nicht machen sollte.
Arabischer Frühling. Vom Wiedererlangen der arabischen Würde.
Bloomsbury Verlag, Berlin.
ISBN: 9783827010483.
128 Seiten. 10,00 Euro.