Die soziologische Alternative zum Beziehungsratgeber
- Buchautor_innen
- Eva Illouz
- Buchtitel
- Warum Liebe weh tut
- Buchuntertitel
- Eine soziologische Erklärung
Aus soziologischer Perspektive sucht Eva Illouz die Ursachen „modernen“ Liebeskummers nicht im Individuum, sondern in gesellschaftlichen Widersprüchen und Machtverhältnissen.
„Warum Liebe weh tut“ ist eine kluge und äußerst unterhaltsame Kritik an der Psychologisierung und Individualisierung von Liebes- und Beziehungsproblemen in der westlichen, oberen Mittelschicht – und letztlich eine soziologische Alternative zur Selbsthilfe- und Coachingliteratur.
Eva Illouz versucht in ihrem jüngsten Buch nichts weniger (aber auch nicht mehr) als eine Soziologie des Leidens in und an der Liebe. Der jahrhundertealte Topos der romantischen Liebe und ihrer schmerzhaften Enttäuschung unterliege in der „Moderne“ einer radikalen Transformation, so ihre zentrale These. „Die Form der Liebe hat sich insofern verändert, als sich verändert hat, auf welche Weise sie weh tut“ (S. 428). Das „qualitativ Neue (...) in der modernen Erfahrung des Liebeskummers“ (S. 37, Herv. i.O.) verortet sie erstens in einer veränderten Ökonomie und Architektur der Partnerwahl auf liberalisierten (Heirats-)Märkten (Kapitel 1 und 2), zweitens in der gesteigerten Abhängigkeit des modernen Selbst von Anerkennung auf dem Feld der Liebe (Kapitel 3), drittens in der Rationalisierung des Begehrens durch Wissenschaft, politische Emanzipation und die technologischen (Wahl-)Möglichkeiten des Internet (Kapitel 4) und viertens in einer zunehmenden Kluft zwischen Realität und medial geschürten Erwartungen, zwischen alltäglichen Interaktionen und fiktionalen Gefühlen (Kapitel 5).
Illouz gelingt es, diese trocken anmutende soziologische Argumentation als äußerst lesenswertes, erkenntnisreiches und mitunter auch amüsantes Buch zu verpacken. Der hohe Unterhaltungswert ist insbesondere ihrem empirischen Material zu verdanken. Auf der Suche nach „modernen“ Liebesschmerzen durchforstet sie Internetforen, Blogs, Ratgeberliteratur, Zeitungskolumnen, Frauenzeitschriften, sieht sich Serien wie Sex and the City an und führt Interviews. Als historische Vergleichsfolie dienen ihr die Gefühlswelten des 18. und 19. Jahrhunderts, die sie sich vor allem über die literarischen Werke Jane Austens erschließt. So wie die Romanfiguren ausschließlich der englischen Oberschicht angehören, beschränken sich auch Illouz’ Daten über das gegenwärtige „Elend der Liebe“ (S. 9) auf eine obere, hoch gebildete und heterosexuell begehrende Mittelschicht in Europa, den USA und in ihrem derzeitigen Arbeits- und Lebensmittelpunkt Israel.
Das Paradox der „modernen“ Liebe
Sie zeichnet die Liebenden dieser Klasse als Gefangene eines modernen Paradoxes. „Einerseits sind Emotionalität, Liebe und Romantik merklich erkaltet (...) Andererseits ist die Liebe in so vielen Hinsichten (…) unverzichtbarer für die Bestimmung unseres Selbstwerts als jemals zuvor“ (S. 441). Dieses Spannungsverhältnis sei weiterhin bestimmt durch zwei Entwicklungen, die das 20. Jahrhundert entscheidend geprägt haben: zum einen durch die Individualisierung von Lebensentwürfen und der Psychologisierung des Selbst in einer „freudianischen Populärkultur“ (S. 293); zum anderen durch das Übergreifen ökonomischen Denkens auf soziale Beziehungen und den Umgang mit Gefühlen. So beschreibt Illouz, wie auf deregulierten, zunehmend virtuellen Kontakt- und Heiratsmärkten die Partner_innenwahl zu einer Frage von Angebot und Nachfrage wird, auf denen sich der Wert eines Liebesobjekts über „emotionale Intimität und ‚psychologische Vereinbarkeit‘ auf der einen Seite, ‚erotische Ausstrahlung‘ auf der anderen“ (S. 83) bemisst. Befreit von ritualisierten, gesellschaftlich vorgegebenen Kriterien lässt der Spagat zwischen rationalem Kalkül und emotionaler Authentizität die Suche nach der_dem Richtigen zu einem verunsichernden Unterfangen werden. Die unendliche Auswahl an potenziellen Partner_innen führt – verbunden mit dem Mantra der Selbstverwirklichung – zu Überforderung, Entscheidungsunfähigkeit und Bindungsangst. Treueversprechen und langjährige Beziehungen werden zu einer „Bürde für das Selbst“ (S. 191), das sich immer wieder neu erfinden möchte.
Gleichzeitig avanciert Erfolg auf dem Feld der Liebe und Sexualität zu einem zentralen Baustein des Selbstwertgefühls, hier sucht das verunsicherte Subjekt der „Moderne“ Halt und Anerkennung. Damit wird es jedoch auch verletzlicher, da es in jeder Liebesbeziehung sich selbst aufs Spiel setzt. Wie Illouz überzeugend argumentiert, leiden insbesondere Frauen (vorausgesetzt sie entscheiden sich für das klassische Ehe- und Familienmodell der Mittelschicht) unter den widersprüchlichen Idealen von Autonomie und Anerkennung, sexueller Freiheit und romantischer Liebe. Sie zeigt auf, dass die Paarbildung unter den Bedingungen des freien Marktes bestehende ökonomische und politische Machtunterschiede zwischen den Geschlechtern sowie biologische und demografische Vorteile des männlichen Geschlechts verstärkt und zu einer neuen Form der „emotionalen Herrschaft von Männern über Frauen“ (S. 198) geführt hat. Illouz bestreitet damit nicht die Erfolge des Feminismus, sondern verweist vielmehr auf die Unabgeschlossenheit feministischer Kämpfe:
„Solange die Institutionen der Wirtschaft und der biologischen Reproduktion im Rahmen heterosexueller Familien die Geschlechterungleichheit institutionalisiert, wird die sexuelle Freiheit eine Belastung für Frauen sein“ (S. 440)
Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb möchte sie ihr Buch nicht als ernüchterte Absage an die Liebe verstanden wissen. Ähnlich wie etwa Alain Badiou (2011) oder Michael Hardt (2012) – wenngleich unter anderen Vorzeichen – betont Illouz stattdessen das emanzipatorische Potenzial der leidenschaftlichen, selbstvergessenen Liebe.
Liebe als soziales Phänomen
Liebe ist für Illouz kein abstraktes Konstrukt. Es geht ihr vielmehr darum, „mit der Liebe das zu machen, was Marx mit den Waren gemacht hat“ (S. 19). Analog zu Karl Marx’ Analyse der Waren- und Wertzirkulation im Kapitalismus betrachtet sie Liebe als Produkt konkreter gesellschaftlicher und ökonomischer Verhältnisse, die nicht nur bestimmen, wie wir leben, sondern auch, wie und wen wir lieben. Sie wendet sich damit gegen die vorherrschende Praxis, Liebes- und Beziehungsprobleme zu individualisieren und zu psychologisieren. Ihr Projekt ist daher vor allem als Kritik an einer rapide wachsenden „Selbsthilfeindustrie“ (S. 14) zu lesen, deren Ratgeber-, Coaching-, und Therapieangebote die Ursachen des „modernen“ Liebesleids in der individuellen Psyche und Biografie suchen. Aufbauend auf Ergebnissen und Thesen aus „Die Errettung der modernen Seele“ (2009), „Der Konsum der Romantik“ (2007) und „Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“ (2007) macht Illouz das Feld der Liebe dem Zuständigkeitsbereich der Psychologie, Neurowissenschaften und (Evolutions-)Biologie streitig. Sie fragt nach den strukturellen Gründen für das Scheitern von Liebesbeziehungen. Aufschlussreich ist dieser Perspektivwechsel insbesondere hinsichtlich der Rolle der Einbildungskraft und fiktionaler Gefühle in der kapitalistischen Konsumkultur. Illouz konstatiert eine wachsende Diskrepanz zwischen den in Medien, Werbung und der virtuellen Welt des Internet vermittelten Bildern eines glücklichen (Liebes-)Lebens und der Realität des Alltags, die einen Zustand chronischer Enttäuschung bedingt. Die Schuld daran gibt sie jedoch nicht den individuellen überzogenen Erwartungen, sondern einem rationalisierten und monotonen Alltag, der leidenschaftliche Liebe schlicht unrealisierbar werden lässt. In dieser konsequenten Perspektive auf enttäuschte Liebe als soziales Phänomen und Ausdruck struktureller Widersprüche liegt die große Stärke ihrer soziologischen Erklärung.
Die Schattenseiten der Freiheit
Der disziplinäre Rahmen der Soziologie steht jedoch gleichzeitig einer breiter gefassten Gesellschaftskritik im Weg. Illouz kritisiert zwar den gegenwärtigen „Freiheitskult“ (S. 429), der im ökonomischen Bereich gewaltige Einkommensunterschiede, Prekarisierung und den Abbau sozialer Sicherungssysteme legitimiert und auf dem Feld der Liebe vergeschlechtlichte Machtverhältnisse verdeckt. Zudem zeichnet ihre Analyse kultureller Praktiken der Liebe ein scharfsichtiges Bild von den Konsequenzen eines neoliberalen Denkens, das Menschen auch in Sachen Liebe zu eigenverantwortlichen Unternehmer_innen ihrer selbst macht, die Beziehungen auf emotionale Gewinnmaximierung ausrichten und als Projekte managen. Doch weiter wagt sie sich auf das ökonomische Terrain nicht vor. Dies deutet sich bereits auf der konzeptuellen Ebene an, auf der sich Illouz mit dem Analyserahmen der Moderne – verstanden als kulturelles Phänomen – klar als Soziologin positioniert (während etwa der Begriff Neoliberalismus kein einziges Mal fällt). Entsprechend verharren letztlich auch Illouz’ „politische Empfehlungen“ (S. 437) an ihre Leser_innen weitgehend auf der Ebene der Kultur. So argumentiert sie schlüssig, dass eine reale Geschlechtergleichheit in der Liebe eine „Neudefinition von Erotik und romantischen Sehnsüchten“ (S. 347) voraussetze und plädiert für neue feministische Strategien, die der ungebrochenen Wirkmacht der Idee der romantischen Liebe Rechnung tragen. Doch welcher Zusammenhang besteht zwischen diesen berechtigten Forderungen nach einer Einhegung sexueller Freiheit und dem neoliberalen Freiheitskult in der Ökonomie? Und was folgt aus der kapitalistischen Instrumentalisierung des feministischen Ideals weiblicher Autonomie, etwa hinsichtlich der Einbeziehung von Frauen in flexible neoliberale Arbeitsmärkte (vgl. McRobbie 2010; Fraser 2009)? Diese Fragen stellt sich Illouz leider nicht. Sie vergibt damit die Chance, ihre feministische Kritik an den Aporien, den unauflösbaren Widersprüchen der Liebe explizit mit einer Kapitalismuskritik zu verbinden. Dies ist insofern eine problematische Leerstelle, als sich ihre Soziologie des Liebeskummers nur auf eine bestimmte Klasse in bestimmten geografischen Räumen bezieht; auch wenn letztlich unklar bleibt, welche Länder für Illouz „an der Entwicklung der Moderne teilhatten“ (S. 29). Es drängt sich daher die Frage auf, wie es in der globalen Peripherie und in jenen Gesellschaftsschichten um die Liebe steht, die unter den verheerenden Konsequenzen des neoliberalen Projekts besonders leiden. Wie sieht romantische Liebe unter den Bedingungen prekärer Lebensverhältnisse, Flucht oder illegalisierter (Arbeits-)Migration aus? Ist das von Illouz beschriebene Liebesleid vielleicht ein Luxusgut einer bestimmten Klasse, die es sich leisten kann? Ich werfe Illouz nicht vor, diese Thesen nicht empirisch untersucht zu haben, das wäre ein anderes Projekt gewesen. Was ich in diesem Zusammenhang jedoch vermisse, ist zumindest eine kritische Reflexion der eurozentristischen Idee der Moderne, welche die Unterscheidung zwischen „uns“ und den „(vormodernen) Anderen“, zwischen Zentrum und Peripherie bereits in sich trägt – und durch Illouz’ empirischen Fokus weiter reproduziert wird.
Der soziologische Beziehungsratgeber – ein neues Genre?
„Über Liebe wird man nicht mehr diskutieren können, ohne sich auf dieses Buch zu beziehen“ wirbt der Buchrücken mit einem Zitat der ZEIT. Und auch der Titel „Warum Liebe weh tut“ klingt eher nach Lebensberatung denn wissenschaftlicher Abhandlung. Die auf ein breites Publikum zielende Marketingstrategie des Verlags ist nicht unbedingt der Autorin anzulasten. Und doch verstärkte sich im Laufe der Lektüre der Eindruck, dass die Distanz zur psychologisierenden Ratgeberliteratur doch nicht so groß ist, wie behauptet. Zudem zeigt meine Erfahrung im persönlichen Umfeld, dass sich Illouz’ jüngstes Werk sehr gut eignet, akute Fälle von Liebeskummer mit soziologischen Erklärungen aufzufangen und die Betroffenen mit ein paar Zitaten zum Schmunzeln zu bringen. Anders formuliert: Gibt Illouz uns vielleicht einen soziologischen Beziehungsratgeber an die Hand? Diese Vermutung bestärkt sie selbst, wenn sie am Ende leicht ironisch festhält: „Wenn dieses Buch einen nichtwissenschaftlichen Anspruch hat, dann den, das ‚Leiden’ an der Liebe durch ein Verständnis ihrer gesellschaftlichen Grundlagen ‚zu lindern‘.“ (S. 425) An dieser Intention ist grundsätzlich nichts auszusetzen. Wer sich daher von der Erwartung einer universalen Soziologie der Liebe verabschiedet und sich auf das spezielle Elend der Liebe in der „westlichen“, oberen Mittelschicht einlässt, wird mit dieser aufschlussreichen und präzisen Analyse der „modernen“ Pathologien der Liebe viel Vergnügen haben. Falls deren Grenzen und Leerstellen dazu anregen, Illouz’ Thesen und Ergebnisse mit Blick auf eine weiter gefasste Gesellschafts- und Kapitalismuskritik zu diskutieren, umso besser.
Zusätzlich verwendete Literatur
Badiou, Alain (2011): Lob der Liebe, übersetzt von Richard Steurer. Passagen Verlag, Wien. Fraser, Nancy (2009): Feminismus, Kapitalismus und die List der Geschichte. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 8/09. S. 43-57. Hardt, Michael (2012): Die Verfahren der Liebe. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern. McRobbie, Angela (2010): Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes. VS Verlag, Wiesbaden.
Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung.
Suhrkamp, Berlin.
ISBN: 978-3-518-58567-2.
467 Seiten. 24,90 Euro.