Die deutsche Spielart eines grünen Kapitalismus
- Buchautor_innen
- Hannes Koch / Bernhard Pötter / Peter Unfried (Hg.)
- Buchtitel
- Stromwechsel
- Buchuntertitel
- Wie Bürger und Konzerne um die Energiewende kämpfen
In „Stromwechsel“ identifizieren drei Autoren die zentralen Herausforderungen der deutschen Energiewende. Doch weil das Buch als Plädoyer für eine Variante des grünen Kapitalismus verstanden werden muss, sollte es aus einer emanzipatorischen Perspektive kritisiert werden.
Die drei Autoren Koch, Pötter und Unfried, die alle aus dem Umfeld der tageszeitung kommen, analysieren in diesem populärwissenschaftlichen Buch die aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen der deutschen Energiewende. So anschaulich das Buch auch in das Thema einführt, muss es doch als Plädoyer für eine bestimmte, deutsche Spielart eines grünen Kapitalismus verstanden werden. Grund genug zur Kritik.
Stromkonzerne versus grüne Bewegung
Kundig und in einem lockeren Schreibstil identifizieren die Autoren die zentralen Konfliktfelder, auf denen sich Erfolg und Gestalt einer Umstellung der Energieversorgung auf 100 Prozent erneuerbare Energien entscheidet. Und Konflikte machen sie zahlreiche aus, insbesondere den zwischen den großen Stromkonzernen und einer neuen grünen Bewegung aus mittelständischen Unternehmen und energieproduzierenden Bürger*innen. Für letztere ergreifen sie eindeutig Partei, sehen in ihr eine „Demokratisierung“ der Energieversorgung. Zugleich betonen sie die Notwendigkeit, dass auch die großen vier Konzerne auf Erneuerbare umstellen müssen.
Es ist ein Kampf groß gegen klein, zentral gegen dezentral. Auf der einen Seite stehen die Energieriesen EON, RWE, ENBW und Vattenfall. Bisher haben sie den Energiemarkt kontrolliert und sich den Erneuerbaren verweigert, nach Fukushima jedoch einen relativen Machtverlust erlitten. Auf diese Krise reagieren sie mit massiven Einsparungsprogrammen, einer verstärkten Internationalisierung und sie forcieren den Aufbau von Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee. Denn dort können sie hoffen, ihr zentralistisches und oligopolistisches Modell verteidigen zu können. Eine besondere Situation ist bei der verstaatlichten ENBW nach dem Sieg der grün-roten Koalition in Baden-Württemberg entstanden. Grüne Regierung und schwarze Landräte versuchen jetzt zusammen den Umbau des Konzerns aus dem Süd-Westen zu organisieren. Nach der Reaktorkatastrophe in Japan konnten die Stadtwerke außerdem im zentralen Branchenverband, dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, gegen die großen Vier ein Bekenntnis zum Atomausstieg durchsetzen. Der Kompromiss, auf den sich alle dort vertretenen Energieunternehmen einigen konnten, war der Bau neuer Kohle- und Gaskraftwerke und die Forderung, dass die Politik für die Rentabilität der neuen Anlagen sorgen müsse.
Auf der anderen Seite steht die Energiewende-Bewegung. Sie basiert auf ganz verschiedenen Akteuren, die alle von den Erneuerbaren profitieren und deshalb ihren Ausbau massiv vorantreiben. Engagierte Bürger*innen entwickeln Erneuerbaren-Projekte in ihren Orten. Auch Bäuer*innen verdienen Geld mit Solar-, Wind- und Biomasseanlagen. Innovative Unternehmen experimentieren mit neuen Technologien, die die Integration dieser fluktuierenden Energieformen ermöglichen könnten: Stromspeicher, intelligente Netze, virtuelle Kraftwerke. Auch regionale politische Eliten machen sich für regenerative Energien stark in der Hoffnung, damit wieder die Wertschöpfung in der Region anzukurbeln. Denn die Erneuerbaren-Anlagen an Land sind im Gegensatz zu Offshore bisher noch mehrheitlich im Besitz von lokalen Akteuren. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das von einigen Abgeordneten und der Erneuerbaren-Lobby erkämpft wurde, ermöglichte erst diese Umverteilung der Macht im Energiemarkt.
Quer zu diesem Konflikt liegt der Widerstand von lokalen Bürgerinitiativen gegen den Neubau von Stromnetzen durch ihre Region. Die Beteiligten sind mehrheitlich für die Energiewende, erleben deren konkrete Umsetzung aber als Eingriff einer äußeren Macht in ihr Lebensumfeld. Auch in die neue Netzausbauplanung sind sie trotz anders lautender Ankündigungen kaum einbezogen. Abhilfe sehen die Autoren in deliberativen Verfahren, also Diskussionsrunden aller Beteiligten, bei denen Kraft des besseren Argumentes und unter Absehung jeglicher Machtungleichgewichte nach Lösungen gesucht werden solle. Scheitere die Einbindung, drohe eine gefährliche Konsequenz: „Aufgeklärte und zivilisierte Zeitgenossen könnten diesem Staat verlorengehen“ (S. 134).
Schlüsselfiguren der Energiewende
Ohne Zweifel treffen Koch, Pötter und Unfried mit ihren Analysen die zentralen Konflikte um das zukünftige Energiesystem in Deutschland. Mit ihrer Kritik an den Stromkonzernen und ihrem Einsatz für die neuen Profiteure der Energiewende stellen sie aber gerade nicht die zugrunde liegenden Ursachen der sozial-ökologischen Krise infrage, sondern plädieren für die ökologische Modernisierung des Kapitalismus. Das wird noch deutlicher, wenn mensch sich anschaut, wen sie in ihrem Buch zu Wort kommen lassen. Denn um ihre Ausführungen zu illustrieren, stellen sie immer wieder Personen vor, die sie als Schlüsselfiguren der Energiewende ausmachen: Vertreter*innen von Behörden und Ministerien, Politiker*innen von Grünen und Union, Wissenschaftler*innen, Manager*innen von Banken, Stromkonzernen und Stadtwerken, am Rande auch Sprecher*innen von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen gegen die neuen Stromtrassen.
Besonders ausführlich porträtieren die Autoren die neuen grünen Unternehmer*innen, wie Frank Asbeck von Solarworld oder Matthias Willenbacher von juwi. Und sie nutzen diese Gelegenheit dazu - wie an vielen Stellen in dem Buch - gegen die unverbesserlichen Linken zu polemisieren, die nicht erkennen wollten, dass es der unternehmerischen Initiative bedürfe, um die Welt zu retten. Sie fragen ihren Gesprächspartner etwa: „Warum, lieber Herr Asbeck, sieht selbst mancher Hardcorelinke nicht die monumentale Gerechtigkeitschance der erneuerbaren Energien?“ (S. 68). Und dieser erzählt als Antwort selbstgefällig seine eigene Lebensgeschichte: Er sei selbst früher in der DKP gewesen, doch die Unternehmensfeindlichkeit der Ökos habe ihn schon bald gestört. Inzwischen verdiene er gutes Geld mit seinem „Eigenstrom“ (S. 61). Willenbacher, der Gründer des Mainzer Erneuerbaren-Unternehmens juwi, das in dem Buch als widerspruchsfreier Vorzeigebetrieb beschrieben wird, versteigt sich sogar zu der These: „Ich kann nicht behaupten, dass ich ein besserer Mensch wäre als andere. Aber ich kann für mich in Anspruch nehmen, bei der Energiewende den klügsten und besten Weg gehen zu wollen, der am nachhaltigsten ist für unseren Planeten Erde“ (S. 75).
Nach Ansicht der Autoren sind neben den Öko-Unternehmer*innen vor allem Prominente die Vorkämpfer*innen der Energiewende. Oder vielmehr, sie müssten es sein, denn die „Suche nach dem Klimagott“ (S. 146) gestalte sich schwierig. In den Medien sei das Thema unterrepräsentiert, über engagierte Promis werde sich lustig gemacht und auch die öffentlichen Intellektuellen würden kaum die Dringlichkeit des Themas anerkennen. Positive Ausnahmen seien dagegen Bob Geldof und Al Gore, Ulrich Beck und Harald Welzer.
Gegen ein grün-kapitalistisches Deutschland
Nach der Lektüre des Buches werden einem die Konturen einer möglichen Variante eines grünen Kapitalismus deutlicher: deutsch, getragen von einer neuen Mittelschicht, geführt von grünen Unternehmer*innen und Eliten. Ganz offen formulieren die Autoren die Bedeutung der herrschenden Form der Energiewende hierzulande: „Mit Deutschland steht oder fällt der Versuch, aus grüner Technik soviel Gewinn zu schlagen, dass sich die massiven Investitionen in den Umbau einer ganzen Volkswirtschaft bezahlt machen“ (S. 12). Die ganze Welt verfolge gespannt, ob die Bundesrepublik mit ihrer grünen Erneuerung des Kapitalismus Erfolg habe. Nötig für diesen Erfolg seien aktive Bürger*innen, mutige Unternehmer*innen, eine breite gesellschaftliche Zustimmung, förderliche politische Strukturen und „eine Denk- und Konsumavantgarde, die das Neue diskutiert, vorzeigt und auch als erstrebenswerten neuen deutschen – oder besser noch: europäischen – Lebensstil zelebriert“ (S. 173).
Mit Sicherheit ist es ein Fortschritt, wenn die Häuslebauer*innen mit ihren Solaranlagen den Strom produzieren statt der Stromkonzerne mit ihren AKWs. Und die Autoren weisen auch zu Recht auf die Notwendigkeit von gesellschaftlicher Energieeinsparung hin. Aber um eine Energiewende zu schaffen, die tatsächlich nachhaltig und global gerecht ist, von der alle gleichermaßen profitieren und über die alle entscheiden können, muss ihre kapitalistische Verfasstheit überwunden werden. In einer sozialistischen Energieversorgung würden auch die netten Asbecks und Willenbachers enteignet, um echte Energiedemokratie zu ermöglichen.
Stromwechsel. Wie Bürger und Konzerne um die Energiewende kämpfen.
Westend Verlag, Frankfurt a. M.
ISBN: 978-3864890086.
182 Seiten. 12,99 Euro.