I’m so glad I kissed a girl
- Buchautor_innen
- Del LaGrace Volcano / Ulrika Dahl
- Buchtitel
- Femmes of Power
- Buchuntertitel
- Exploding Queer Femininities
Femmes ohne Butches? Als Mann Geborene Femmes? Ein Buch, das nicht nur diese und andere Fragen (wieder) stellt, sondern auch noch Kunst, Wissenschaft und Lust an der Dekonstruktion verbindet...
Selten genug höre ich inzwischen Musik. Und in einer sonntäglichen Mittagspause vom Schreiben an der Promotion gelangte erst mit mittlerer Verzögerung in mein Bewusstsein, dass das was ich gerade hörte, irgendeinen Bezug zu dem zu haben schien, was ich las: Ich las das Vorwort zu Femmes of Power, und ich hörte Jill Sobules “I kissed a girl” – ein Lied, das mir nach wie vor Gänsehaut verursacht und bei dem ich normalerweise die Lautstärke aufdrehe. Wo war denn nur der Bezug zwischen beidem?
Privates?
Das eine ein Buch mit vielen bunten Fotos über queer femme-ininity / Weiblichkeit / femme -ininität, das andere ein Lied, nicht mehr ganz neu und mit der identitätspolitisch unkorrekten Zeile “I kissed a girl, won’t change the world, but I’m so glad I kissed a girl”. Liegt die Verbindung zwischen Buch und Lied in dem Begehren, das sich im Kuss ausdrückt und femmes unterstellt wird? Oder in der Frage, was denn an einer privaten Wahl (von Geliebter_m, Modestil, Kleidung, Geschlechterrolle usw.) heute noch politisch sein kann? Was macht nach diesem Kuss so froh, er ändert doch nicht mal die Welt? Und was macht femme -ininität queer, es sind doch bloß feminine Lesben?
Wer Femmes of Power zum ersten Mal in der Hand hält (und vermutlich bei jedem weiteren Blättern oder Lesen), wird ihren und seinen Blick vermutlich zuallererst auf die groß- und kleinflächigen, schrillen und schön und manchmal verwirrend komponierten Fotografien richten. Sie zeigen femmes aller möglicher Größen, Hautfarben, Geschlechter, in den verschiedensten Posen und Gruppierungen, in Tüll, Schottenrock, Anzug oder mit Küchenschürze, mit Gitarre oder Fahrrad, auf Billard- oder Schreibtisch, auf einem Spielplatz oder im Bett, vor der Schwangeren Auster in Berlin, auf der Straße oder der Bühne usw.
Es ist unklar, ob dies ein Fotoband, ein Gesamtkunstwerk, ein Katalog über gelebte Performances von femmes, Kurzbiographien Einzelner, ein Lexikon über die Vielfalt von femme -ininität (ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit), Liebeserklärungen der Herausgeberinnen an die Dargestellten und der Dargestellten an Fotografin und Autorin der Texte, Plädoyers für das weitere Queeren der Gender Studies oder für die Bedeutung von gelebter nicht-(hetero-)normativer Theorie einerseits und Kunst in der Wissenschaft andererseits ist. Im Zweifel kann dieses Buch alle diese Erwartungen erfüllen und geht doch darüber hinaus.
Die Herausgeberinnen nennen es „ein Zeugnis für einen bestimmten queeren Weg von Verwandtschaft” (S. 23), bestehend aus Portraits, Interviews und Notizen in der Form von Liebesbriefen, geschrieben zwischen und in zwei gleichermaßen fremden und Muttersprachen, ein fragmentarisches Fotoalbum von Wahlverwandtschaften zweier „Euro queers“, die verschiedenen Generationen von US-amerikanischen queers angehören, ohne die USA und amerikanische queere Politiken in den Mittelpunkt des Buches zu stellen. Die Fotos sind mit den Dargestellten entstanden, die Interaktion zwischen der Person hinter der Kamera und vor der Kamera wird nicht erst beim Lesen der Texte augenscheinlich.
Wissenschaft?
Wie könnte so etwas nun in eine Buchbesprechung gepresst werden? Selten war ich so in Versuchung, in Schachtelsätzen mit nicht enden wollenden Aufzählungen zu schreiben, wie die letzten Sätze belegen. Und doch bleibt mit jedem weiteren hinzugefügten Schächtelchen das Gefühl, dem Buch nicht nur nicht gerecht zu werden, sondern sogar den Herausgeber_innen, Künstler_innen, Dargestellten durch die gewählten Worte Gewalt anzutun.
Vielleicht aber liegt eine Lösung dieses Problems darin, nicht Angst eben davor zu haben, sondern für die beim Lesen und Anschauen ausgelösten Irritationen und durch die Unmöglichkeit des richtigen Wiedergebens, Einordnens und Verstehens sensibler für die Beschränkungen des eigenen Denkens zu werden und die Lust am Entdecken, am Experimentieren und Irritiertwerden (wieder) zu entdecken:
So kann die Kurzbeschreibung der Herausgeber_innen (als Gendertheoretiker_in und als femme-inistische Ethnolog_in) z.B. die Erwartung wecken, es handle sich um ein wissenschaftliches Buch: Ich neige beim Blick auf die Titelseite immer noch dazu, den Untertitel „Exploding Queer Femininities” als “Exploring Queer Femininities” zu lesen. Ein Hinweis für die Grenzen meiner sprachlichen Fähigkeiten, auf mein Selbstverständnis als Forscherin oder von den Herausgeber_innen intendierte Lautmalerei, Spiel mit Worten und Buchstaben?
Ebenso erschließen sich einige Bilder erst durch das Lesen des nicht immer dazugehörig erscheinenden Portraits: eine Dame in rosa Bluse und hell-weinroter Strickjacke mit graumeliertem Vollbart vor dem Hintergrund des Schwedischen Parlaments, eine Drag Queen in pinkfarbenen Leggins mit Tigermusterküchenschürzen und blonder Perücke grimassenschneidend vor grüner Wand auf einer stilisierten Werkbank hingefläzt, ein_e Künstler_in auf der Bühne, gekleidet in eine überdimensionale Vagina, die beim ersten Blick vage an Hot Dog Werbe-Kostüme erinnern könnte, eine Stillende als Frau Geborene, in Jogginghose auf einem Bett sitzend und von Zeitungen umgeben, eine Bandit Queen in rotem Sari vor einer roten Wand, mit Handbewegungen und einem Gesichtsausdruck wie ein Gangsterrapper, “Berlin’s Feminist Sexpert” vor einer heimischen Bücherecke in Anzug und nachlässig geschnürtem Korsett – und diese Aufzählung ließe sich problemlos fortsetzen – was haben sie mit femme zu tun?
Politisches?
Und was zum Geier ist femme überhaupt? Wie können femmes erkannt werden – nur mit butches zusammen? Oder machen femmes butches sichtbar, wie ein Gedicht im Buch (S. 29) nahe zu legen scheint? Oder sind femmes nur mit butches zusammen queer und sonst „einfach nur” feminine Frauen? Was ist der Reiz des femme -Seins? Wo liegt die femme -Frequenz, wie ist die Wellenlänge von femmes, auf die du dich einstellen kannst? Nur wenige Fragen hilft dieses Buch beantworten.
Vielmehr wirft es äußerst eindrücklich Fragen wieder auf und zeigt gleichzeitig, was die Provokationen so reizvoll und die Performances lebendig macht: Wozu überhaupt die Einteilung in femmes und butches? Warum wird femme-ininität als etwas Geringerwertiges und Entmächtigendes wahrgenommen (S. 43)? Wo ist queeres Begehren mit rassisierten und heterosexistischen Ideen von Gender verbunden (S. 30)?
Es geht also auch in diesem Buch mal wieder darum, Macht sichtbar zu machen, Machtverhältnisse offen zu legen und zu dekonstruieren, es geht um Selbstermächtigung. Spannender- und beeindruckender Weise aber scheint in allen Portraits durch, dass Provokation und Kampf gegen Stereotypisierungen und Kategorisierungen Spaß machen können und dürfen. Bei aller Reflektiertheit kommen Lust, Begehren, Stolz und Lebensfreude nicht zu kurz – im Gegenteil: Sie machen das Theoretisieren lebendig und tragen zur lebensnahen Verantwortung von Wissenschaft bei.
Vielleicht werden Theorie und Wissenschaft, Performances und gelebte femme -ininität nicht die Welt verändern, ebenso wenig wie ein von einer Frauenstimme besungener Kuss mit einer Frau. Dieses Buch jedoch ist ein wunderbares Plädoyer für jeden weiteren Versuch, das Private politisch zu halten, für lebbare Dekonstruktion und lustvolle Wissenschaft.
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Die Rezension erschien zuerst im März 2009 auf dem genderblog.
Femmes of Power. Exploding Queer Femininities.
Serpent's Tail Press, London.
ISBN: 978-1846686641.
192 Seiten. 24,99 Euro.