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Zwischen Führer und Duce

Buchautor_innen
Joachim Gatterer
Buchtitel
„rote milben im gefieder”
Buchuntertitel
Sozialdemokratische, kommunistische und grün-alternative Parteipolitik in Südtirol

Wenn es um Südtiroler Politik geht, fällt Menschen oft wenig mehr ein als Nazis und Faschisten. Dass es auch eine linke Geschichte in der nördlichsten Provinz Italiens gibt, belegt Joachim Gatterer in seinem Buch „rote milben im gefieder“.

Als ich in den späten 1980er Jahren begann, mich in der autonomen Linken zu engagieren, gehörte die Unterstützung nationaler Freiheitsforderungen zum guten Ton. Freiheit für El Salvador, Freiheit für die Westsahara, Freiheit für Irland, Kurdistan, das Baskenland und für Palästina sowieso. Nur die „Freiheit für Südtirol“-Parolen, die Bauernhöfe auf dem Weg von Innsbruck über den Brenner zur Südtiroler Verwandtschaft zierten, passten so gar nicht ins linke Bild. Dafür gab es einige gute Gründe (in Südtirol bemühte sich ja noch nicht einmal jemand, dem nationalistischen Befreiungskampf einen sozialistischen Anstrich zu verleihen) und einige weniger gute (schließlich waren trotz aller Rhetorik auch andere Befreiungsbewegungen nicht vor reaktionären Tendenzen gefeit).

Der größte Unterschied schien darin zu bestehen, dass Revolutionsromantik im Falle Südtirols nicht funktionierte. Das Land war zu nah und die Befreiungskämpfer_innen sprachen zu allem Überfluss auch noch dieselbe Sprache (oder zumindest so ungefähr). Das Resultat war, dass die Linke die Südtirolfrage ignorierte oder bestenfalls bagatellisierte. Eigene Positionen gab es nicht, und war man gezwungen, solche zu formulieren, stotterte man sich meist durch eine Darlegung, an deren Ende stand, dass es in Südtirol ohnehin nur Nazis gäbe – was offenbar den eigenen Mangel an Perspektiven entschuldigen sollte. Dass die Südtirolfrage in den 1980er Jahren endgültig zum billigen Propagandaspielplatz der Rechten wurde, verdankt sich nicht zuletzt dieser politischen Bankrotterklärung. Es ist richtig, dass die Südtiroler Geschichte an linken Anknüpfungspunkten nicht reich ist – in Nordtirol ist es nicht anders. Dass es solche jedoch überhaupt nicht gibt, ist falsch. Womit wir bei dem Buch „‚rote milben im gefieder‘ – Sozialdemokratische, kommunistische und grün-alternative Parteipolitik“ von Joachim Gatterer wären.

Linke Parteipolitik in Südtirol

Gatterers Studie ist die erste systematische Aufarbeitung linker Parteipolitik in Südtirol. Akribisch werden die sozialdemokratischen, kommunistischen und schließlich grün-alternativen Versuche nachgezeichnet, in einer traditionell ländlichen, katholischen und patriarchalen Gesellschaft Fuß zu fassen. Gatterer beschäftigt sich dabei mit dem „ganzen Südtirol“: die Geschichte der italienischsprachigen Parteien wird genauso berücksichtigt wie jene der deutschsprachigen.

Am Anfang steht ein nüchternes Urteil: „Die bedeutendsten Ereignisse in der Frühphase der europäischen Arbeiterbewegung sind alle spurlos an Tirol vorbeigezogen.“ (S. 39) Die Konsequenzen dieser bedauerlichen Wahrheit sind bis heute spürbar. Als ich in den 1970er Jahren die Volksschule eines kleinen Nordtiroler Dorfes besuchte, war der Revoluzzer des Ortes ein Lehrer, der als einziger Sozialdemokrat im zwölfköpfigen Gemeinderat saß – zu einer Zeit, als die SPÖ unter Bruno Kreisky die Bundespolitik gestaltete und die österreichische Sozialdemokratie ihren Nachkriegshöhepunkt feierte.

In Südtirol war die Lage aufgrund der historischen Entwicklung noch mehr zugespitzt. Zunächst sah sich das Landproletariat nach dem Anschluss an Italien 1919 aufgrund sozialer Not zur Auswanderung gezwungen. Nach der faschistischen Machtübernahme 1922 flüchteten schließlich die letzten mit sozialistischen Ideen sympathisierenden Menschen über die Grenze.

Erst nach 1945 kam es, unter ausgesprochen schwierigen Bedingungen, wieder zu linken Parteibildungen. Auf der italienischen Seite gab es Ableger der Partito Socialista Italiano (PSI), der Partito Comunista Italiano (PCI) und der Partito Socialista Democratico Italiano (PSDI). Alle sicherten sich bei den ersten Landtagswahlen 1948 jeweils ein Mandat, kamen darüber jedoch bis in die 1970er Jahre nicht hinaus. Deutschsprachige Linksorientierte organisierten sich vornehmlich unabhängig. Keiner ihrer meist kurzlebigen Nachkriegsparteien war jedoch viel Erfolg beschieden. Erst in den 1960er Jahren zog eine geringe Anzahl deutschsprachiger Sozialdemokrat_innen in den Landtag ein.

Unter den nach Südtirol zurückgekehrten Linken war es vor allem der an der Internationalen Lenin-Schule in Moskau ausgebildete Silvio Flor, der versuchte, der Südtiroler Politik kommunistische und internationalistische Impulse zu verleihen. Flor zog sich jedoch in den 1960er Jahren enttäuscht aus der Politik zurück. Erst im Jahr 1973 kandidierte er noch einmal für die neu gegründete Sozialdemokratische Partei Südtirols (SPS). Die von Klara Rieder verfasste Biographie Flors (Silvio Flor. Autonomie und Klassenkampf: Die Biografie eines Südtiroler Kommunisten, Bozen: Edition Raetia, 2007) ist neben Gatterers Buch die einzige ausführliche Studie zur linken Geschichte des Landes.

Akribisch zeichnet Gatterer die Listenbildungen, Spaltungen und Umbenennungen nach, von denen die linke Parteipolitik Südtirols seit dem Zweiten Weltkrieg geprägt ist. Ab den 1980er Jahren gesellen sich dabei zu sozialdemokratischen und kommunistischen auch grün-alternative Listen. Die Galionsfigur der Bewegung war der ausgebildete Jurist und Publizist Alexander Langer. Über die Landesgrenzen hinaus bekannt wurde sie durch den weltberühmten Bergsteiger und Medienprofi Reinhold Messner, der 1999 als grüner Abgeordneter ins EU-Parlament einzog, wo er sich jedoch „parteilos“ erklärte und in Gatterers Worten „großteils durch seine Abwesenheit brillierte“ (S. 167).

An diesem Punkt hatte die österreichische Linke ihr Interesse an Südtirol längst verloren. Dreißig Jahre waren vergangen, seit Bruno Kreisky als Außenminister die Südtirolfrage 1960 und 1961 vor die UNO gebracht hatte. Die Unterstützung für das Selbstbestimmungsrecht Südtirols hielt sich damals in der Vollversammlung allerdings in Grenzen, auch wenn es von einigen Ländern, etwa Afghanistan oder Kuba, ausdrücklich befürwortet wurde.

Der Rückzug der österreichischen Sozialdemokratie aus der Südtirolpolitik hatte vor allem zwei Gründe. Einerseits schuf die Untergrundbewegung Südtiroler Befreiungsausschuss (BAS), die in den 1960er Jahre mit einer Reihe von Anschlägen auf Strommasten, aber auch auf Gendarmerie- und Grenzposten auf sich aufmerksam machte, ein heikles diplomatisches Problem. Andererseits schien das Südtirolproblem für viele mit der Verabschiedung des Autonomiepakets Anfang der 1970er Jahre erledigt. Die einzige österreichische Partei, die in den letzten Jahrzehnten eine aktive Südtirolpolitik betrieb, ist die FPÖ. Jörg Haider entdeckte die Frage als emotional aufgeladenes Heimatthema in den 1980er Jahren und HC Strache bedient sie bereitwillig und mit viel Pathos weiter – perfider weise vor allem unter dem Aufhänger des „Antifaschismus“, ganz so als wäre Faschismus auf immer und ewig Mussolini und sonst nichts.

Die Nationalitätenfrage

Gatterer erzählt in „rote milben im gefieder“ die Geschichte engagierter Menschen, die unter großen Herausforderungen versuchten, soziale Fragen ins Zentrum Südtiroler Politik zu rücken. Diese Herausforderungen beruhten nicht nur auf der konservativen Geschichte des Landes, sondern auch auf einer Thematik, die linke Politik seit jeher auf die Probe gestellt hat und das gesellschaftliche Klima in Südtirol seit bald hundert Jahren bestimmt: die sogenannte Nationalitätenfrage.

Als Südtirol 1919 im Vertrag von Saint-Germain Italien zugesprochen wird, ist die Bevölkerung zu gut 90% deutschsprachig. Dies ändert sich ab den 1920er Jahren drastisch, vor allem aufgrund der Industrialisierung der Provinzhauptstadt Bozen und der Zuwanderung italienischsprachiger Arbeiter_innen. Anfang der 1960er Jahre ist der deutschsprachige Bevölkerungsanteil auf beinahe 60% gesunken. Seither haben sich die demographischen Verhältnisse wieder etwas verschoben und heute geben etwa 70% der Südtiroler_innen Deutsch als Muttersprache an. Der Anteil der Ladinischsprachigen ist seit über hundert Jahren mit etwa 4% konstant.

Während sich historisch breite Teile der deutschsprachigen und italienischsprachigen Bevölkerungsgruppen an Parteien und politischen Bewegungen orientieren, die ihre spezifischen Interessen vertreten, schildert Gatterer, wie Südtiroler Linke immer wieder versucht haben, die nationalen Trennungen zu überwinden, die Bevölkerungsgruppen zu vereinen und die wesentlichen gesellschaftlichen Konflikte als ökonomische zu begreifen. So bemühten sich nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl Sozialdemokrat_innen als auch Kommunist_innen um das Vermeiden nationaler Blockbildungen und 1981 demonstrierten Anhänger_innen der neuen Alternativbewegung gegen die verpflichtende Sprachzuordnungserklärung bei der Volkszählung, gegen ethnischen Proporz und „Für ein ungeteiltes Südtirol“.

Parteipolitisch brachten diese Anstrengungen keine durchschlagenden Erfolge. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn Joachim Gatterer von einem „kläglichen Scheitern linksgerichteter Oppositionsbewegungen“ (S. 196) schreibt. Doch bedeutet dies nicht, dass linke Bewegungen auf die politische Entwicklung in Südtirol ohne jeden Einfluss blieben. Die im sogenannten Südtirol-Paket enthaltenen Autonomierechte, die seit 1972 schrittweise eingeführt wurden und zu einer Befriedung des Südtirolkonflikts geführt haben, wurden wesentlich von linken Visionen vorbereitet und zum Teil mithilfe linker Diplomatie durchgesetzt. Der Südtiroler Politologe Günther Pallaver meint dazu in seinem Vorwort zu Gatterers Buch:

„[M]an würde die Rolle und den gesellschaftspolitischen Beitrag der verschiedenen linken Parteien in Südtirol unterschätzen, würde man lediglich ihre Teilnahme an den Landesregierungen zum Gradmesser des Erfolgs heranziehen. Was die verschiedenen Parteien zur Nationalitätenfrage beigesteuert haben, war trotz aller theoretischen und praktischen Schwächen beachtenswert. Das betrifft beispielsweise die Ausarbeitung eines Autonomiemodells nach der Annexion an Italien, in dem Fragen der Demokratie, politischen Partizipation und sozialen Grundrechten unvergleichlich stärker berücksichtigt waren als in den Projekten des liberal-konservativen und deutschnational ausgerichteten Deutschen Verbandes.“ (S. 13)

Selbstbestimmungsrecht der Völker oder völkische Selbstbestimmung?

Dass ein weiterer Grund für die Verabschiedung des Südtirol-Pakets in den Aktivitäten einer deutschnational orientierten Untergrundbewegung lag, offenbart eine der historischen Ironien, die Nationalitätenkonflikte oft mit sich bringen: das Aufeinandertreffen nationalistischer und sozialistischer Kräfte.

Dabei gab es natürlich ideologische Unterschiede. Die deutschnationalen Interessen lagen in der „Verteidigung sprachlicher und kultureller Identität“. Die sozialistischen Interessen lagen im „Selbstbestimmungsrecht der Völker“, das Lenin schon früh zu einem Leitfaden revolutionärer Politik erklärte. Insofern überrascht es nicht, wenn die PCI in ihrem Aktionsprogramm aus dem Jahr 1931 in aller Deutlichkeit „das Selbstbestimmungsrecht bis zur Loslösung vom italienischen Staat für die slowenischen, kroatischen und deutschen nationalen Minderheiten, sowie für die Kolonialvölker Libyens und Eritreas“ (S. 118) forderte.

Unterschiede gab es auch in den Erwartungshaltungen an die Südtiroler Autonomie. Während auf der deutschnationalen Seite chauvinistische Tendenzen dominierten, ging es den Linken in der Regel um eine Autonomie für alle Südtiroler_innen. So forderte etwa Alexander Langer in den 1980er Jahren, dass die „Schutzmacht“-Rolle Österreichs, die bis heute deutschsprachigen Südtiroler_innen in Österreich besondere Rechte einräumt, wenn schon, dann für alle Südtiroler_innen gelten sollte, ungeachtet ihrer Muttersprache.

Bedauerlich ist, dass es Auffassungen wie diesen nicht nur versagt blieb, sich in der deutschsprachigen Bevölkerung durchzusetzen, sondern dass sie zunehmend auch in der italienischsprachigen an Einfluss verloren. Kamen bis Anfang der 1980er Jahre die meisten Stimmen für die linken Parteien Südtirols aus dem italienischsprachigen Industrieproletariat, so sind seither viele dieser Wähler_innen zu rechtsgerichteten und neofaschistischen Organisationen abgewandert. Selbst die extrem rechte Jugendbewegung CasaPound hat sich heute in Bozen etabliert.

Ein geeintes Südtirol

Dass historische Studien wichtig sind, um gegenwärtige politische Positionen und Auseinandersetzungen zu begreifen, ist ein Allgemeinplatz. Joachim Gatterers Buch leistet dazu im Falle Südtirols einen ungemein wertvollen Beitrag. „rote milben im gefieder“ ist buchstäblich bis an den Rand mit Fakten zur linken Parteipolitik Südtirols gefüllt und zahlreiche Schautafeln, Tabellen und Abbildungen helfen, den Inhalt so anschaulich wie möglich zu präsentieren. Als politikwissenschaftliche Arbeit konzipiert, ist die Lektüre nicht immer die leichteste, doch als Überblicksband und Arbeitsgrundlage zur politischen Geschichte Südtirols ist das Werk unentbehrlich.

Der Titel verweist interessanterweise auf einen Aspekt der linken Geschichte Südtirols, der im Buch nur gestreift wird. Die Textzeile „rote milben im gefieder“ entstammt einem Gedicht des innovativen Südtiroler Dichters und CPI-Mitglieds Norbert C. Kaser, der 1978 im Alter von nur 31 Jahren nach schwerer Alkoholsucht an den Folgen einer Leberzirrhose verstarb. Viele Südtiroler Literat_innen und Künstler_innen haben bedeutende Beiträge für eine integrative Südtiroler Gesellschaft geleistet und tun dies weiterhin. Sie verdienen sich eine eigene Studie genauso wie die außerparlamentarische Linke. Egal wie marginalisiert diese Bewegungen auch sein mögen, die von ihnen ausgehenden Impulse sind ungemein wertvoll und es ist von großer Dringlichkeit, sie zu dokumentieren und zu bewahren. Die Vision eines transnationalen und multilingualen Südtirols ist die einzige, die einer Linken würdig ist, in welcher Form dies auch immer staats- und verfassungsrechtlich verankert sein mag – oder Staat und Verfassung überwinden kann, wenn wir uns hier an Utopien wagen wollen.

Spannend wäre es zudem, das Vermächtnis des Befreiungsausschusses Südtirol aus linker Perspektive zu analysieren – zumindest für jene, die der Diskussionen um die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des bewaffneten Kampfes nicht müde werden.

Ob sich Joachim Gatterer einer dieser Aufgaben annimmt, wird sich zeigen. In jedem Fall hat er mit „rote milben im gefieder“ ein Beispiel gesetzt, dem andere hoffentlich folgen werden.

Joachim Gatterer 2009:
„rote milben im gefieder”. Sozialdemokratische, kommunistische und grün-alternative Parteipolitik in Südtirol.
Studienverlag, Innsbruck.
ISBN: 978-3-7065-4648-5.
244 Seiten. 29,90 Euro.
Zitathinweis: Gabriel Kuhn: Zwischen Führer und Duce. Erschienen in: Rechter Terror und "Extremismus". 15/ 2012. URL: https://kritisch-lesen.de/s/jyXSJ. Abgerufen am: 15. 11. 2024 10:20.

Zur Rezension
Zum Buch
Joachim Gatterer 2009:
„rote milben im gefieder”. Sozialdemokratische, kommunistische und grün-alternative Parteipolitik in Südtirol.
Studienverlag, Innsbruck.
ISBN: 978-3-7065-4648-5.
244 Seiten. 29,90 Euro.