Gegen Entpolitisierung und Extremismustheorie
- Buchautor_innen
- Regina Wamper / Ekaterina Jadtschenko / Marc Jacobsen
- Buchtitel
- „Das hat doch nichts mit uns zu tun!”
- Buchuntertitel
- Die Anschläge in Norwegen in deutschsprachigen Medien
In seiner Dringlichkeit kaum zu überbieten: Der Band liefert ein weites Spektrum politischer Analysen der oftmals ambivalenten Mediendiskurse rund um die Anschläge von Oslo und Utøya.
Kaum einmal ein halbes Jahr ist vergangen, seit im Anschluss an eine Bombenexplosion in Oslo und einen „Amoklauf“ auf der Insel Utøya die Welt der diskursiven Selbstverständlichkeiten über das Thema Terrorismus und Co ein kleines bisschen zu wanken begann, nur um sich fast im gleichen Augenblick neu zu erfinden. Der Band „,Das hat doch nichts mit uns zu tun!‘ Die Anschläge in Norwegen in deutschsprachigen Medien“ liefert in beeindruckender Aktualität politische Analysen und Kontextualisierungen der Diskurse rund um die Anschläge vom 22. Juli 2011. Die Beiträge durchzieht eine Offenlegung der spezifischen Sagbarkeitsräume, die die Verschiebung von einer Interpretation der Ereignisse als „Machwerk des internationalen islamistischen Terrorismus“ hin zur entpolitisierten Tat des extrem rechten und/oder geistig verwirrten Einzeltäters Anders Behring Breivik bedingen.
Ebenen des antimuslimischen Rassismus
Als ein Schlüsselbegriff der Analysen zeigt sich der auf fast allen Ebenen anzutreffende antimuslimische Rassismus. Dieser wird zunächst in Bernhard Schmids Beitrag zur Struktur des von Breivik konzeptuell zu den Anschlägen veröffentlichten Manifests in seiner offensichtlichen Form dargestellt. Die größtenteils aus Versatzstücken der rechtspopulistischen und „islamkritischen“ Blogosphäre zusammenkopierte „compilation“ argumentiert dabei nach gängigem Muster eines unlösbaren und naturalisierten „clash of civilisations“, der sich um eine „islamische Invasion“ Europas und einen damit bevorstehenden „Bürgerkrieg“ sorgt. Eine solche offen antimuslimisch-rassistische Argumentation findet – verknüpft mit unterschiedlichen Feindbildern, Strategien und verschwörungstheoretischen Konzepten – weite Verbreitung auf Plattformen wie den von Martin Dietzsch analysierten Hassblogs Politically Incorrect (PI) und Altermedia, in den Spektren der von Marc Jacobsen untersuchten extrem rechten Printmedien (Deutsche Stimme, National-Zeitung, Der Schlesier etc.), in Helmut Kellershohns Betrachtung der Jungen Freiheit, der Edition Antaios und der Veröffentlichungen des Instituts für Staatspolitik sowie im rechtspopulistischen Parteienspektrum, dessen Entwicklung in ganz Europa Sebastian Reinfeldt nachzeichnet.
Antimuslimischer Rassismus beginnt jedoch nicht erst mit Invasions- und Bürgerkriegsphantasien, sondern kann gerade im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Anschläge von Oslo und Utøya bereits in hegemonialen Printmedien beobachtet werden. Davon zeugt der in den Beiträgen von Margarete Jäger und Ekaterina Jadtschenko sowie von Regina Wamper analysierte spontane Reflex, nach der Bombenexplosion in Oslo unmittelbar und alternativlos auf einen islamistischen Terroranschlag zu schließen. Doch nicht nur diese Zuschreibung als potentielle Terrorist_innen an (vermeintliche und tatsächliche) Muslima und Muslime selbst, sondern vor allem ihre damit einhergehende Verortung in einem „Außen“ des Systems erweisen sich als problematisch – ganz so, als gäbe es nicht Millionen von Muslim_innen, von denen ohne Zweifel gesagt werden müsste, dass sie ein Teil der europäischen Gesellschaft sind. Antimuslimischer Rassismus zeigt sich also in der Religionsfixierung des Blicks auf Migrant_innen ebenso wie darin, dass auf Grundlage einer Argumentation von „Parallelgesellschaften“ und „islamistischem Terror“ Migrant_innen per se eine Mitschuld beziehungsweise politische Verantwortung für die Taten Breiviks zugeschrieben wird. Auch die Kontextualisierung zur Sarrazindebatte offenbart die Beteiligung hegemonialer Medien an der Produktion von Ideen, die diese nach Bekanntwerden der politischen Hintergründe Breiviks mit leichter Hand als extrem rechts oder pathologisch ins Abseits stellen.
Extremismus- und Verschwörungstheorie
Ein zweiter Kulminationspunkt der Berichterstattung in den unterschiedlichen Spektren ist der Versuch einer (un-)politischen Einordnung der Taten Breiviks und die daraus gezogenen Schlüsse. Auf diesem Gebiet treten vielfältige Strategien zu Tage. Regina Wamper zeigt, wie die hegemonialen Medien eine Reihe von Vergleichen zu anderen Anschlägen aufstellen, die etwa in der Süddeutschen Zeitung bis zurück ins 18. Jahrhundert reicht und dementsprechend wenig relevante Ergebnisse zu liefern verspricht. Deutlich wird, dass die Reihe von Vergleichen zu Amokläufen, der RAF und islamistischem Terror nicht nur oftmals fehlgeht, sondern in diesem Zuge auch viel näherliegende Vergleiche zu Anschlägen mit rechtem ideologischen Hintergrund, etwa die Pogrome gegen Asylbewerber_innen Anfang der 90er Jahre in vielen deutschen Städten, auf der Strecke bleiben. Lediglich der taz gelang es, diese Taten in den aktuellen Kontext zu setzen, während sich der Rest der Medienlandschaft lieber an der extremismustheoretischen Gleichsetzung linker, rechter und islamistischer Motivationen versuchte. Vor allem anhand der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zeigt Wamper zudem die Absurdität, in der Breivik einerseits als Einzeltäter stilisiert und pathologisiert wird, während andererseits sehr wohl auf seine Einbindung in rechtspopulistische Internetforen eingegangen wird – jedoch nur, um in der Konsequenz die unverhohlene Forderung nach einer stärkeren (und in keiner Weise konkretisierten) Überwachung des Internets zu stellen.
Die politische Einordnung der Anschläge in dem Milieu, dem Breivik die Texte seines Manifests entlehnt hat, zeigt sich bemüht, an unterschiedlichen Stellen Differenzen zu setzen. Marc Jacobsen führt aus, wie sich extrem rechte Printmedien dabei überwiegend der Verschwörungstheorie und Pathologisierung bedienen. Über die von jeder Ursachenforschung Abstand nehmende Frage „Wem nützt es?“ stilisieren sie sich selbst als Opfer Breiviks. Betont wird, dass große Teile des Inhalts des Manifests zwar eine richtige Analyse der gesellschaftlichen Situation vorlegen würden, die individuellen Konsequenzen, die Breivik daraus gezogen hat, werden jedoch von den Analysen losgelöst und als pathologisches Fehlverhalten ausgemacht. In den Hassblogs findet für Martin Dietzsch hingegen eine Verschiebung Breiviks ins jeweils andere Lager der extremen Rechten statt: „Für Altermedia-Fans ist er Israel-Freund, Freimaurer und Anti-Nazi, für PI-Fans ist er Rechtsextremist und Nazi.“ (S. 171) Mit Erschrecken wurde in den Kommentaren der beiden Blogs schließlich eine Tendenz zur Sympathie mit Breivik beobachtet, die keinerlei Distanzierung mehr für notwendig hält und in harschen Tönen in dessen Bürgerkriegsgesang einsteigt – ob nun als stumpfe Schreibtischtäter oder als reale Gefahr, diese Frage eröffnet vielleicht nur eine unnötige und unbestimmbare Differenz.
Auslassungen und Leerstellen
Mit der Analyse des Sagbarkeitsfeldes im hegemonialen Diskurs geht auch eine Benennung dessen einher, was in diesem Diskurs gerade nicht sagbar ist oder zumindest nicht gesagt wurde. Regina Wamper legt ihren Finger in die Wunde dieser Leerstellen und bringt insbesondere die Dethematisierung von Breiviks Antimarxismus und Antifeminismus zur Sprache. Währenddessen spricht insbesondere die Tötung von 69 Teilnehmer_innen des Jugendcamps der sozialdemokratischen Arbeiterpartei auf Utøya eine ganz andere Sprache: Als Hauptfeind diagnostizierte Breivik die (gesamte) Linke, und genau aus diesem Spektrum stammte auch der überwiegende Teil seiner Opfer. Im deutschen Kontext muss indessen hinzugefügt werden, dass bestimmte Teile der von Breivik verachteten Positionen, etwa der Rechte von Frauen und Homosexuellen, zurecht und nach oft langen und anstrengenden Kämpfen Eingang in die vorherrschende Politik der Mitte gefunden haben. Dass es sich dabei jedoch um ein Verdienst handelt, dass sich einzig und allein „die“ Linke auf die Fahnen schreiben darf, wird in Deutschland allzu gern vergessen, ebenso wie der Umstand, dass mit Gender-Mainstreaming und eingetragenen Lebenspartnerschaften noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht ist.
Resumé
Der Band zeigt wichtige Fragen einer höchst aktuellen Debatte auf. Als einziges Manko, um überhaupt eines zu haben, sei an dieser Stelle das wohl der schnellen Intervention geschuldete stellenweise etwas schludrige Lektorat erwähnt. Die Debatte jedoch, die unter anderem mit der Diskussion um das in Revision befindliche psychiatrische Gutachten, das Breiviks Schuldunfähigkeit diagnostizierte, noch lange nicht ihr Ende gefunden hat, wird sich fortsetzen. Wichtig ist der Band nicht nur für eine Analyse und Kritik des Einzelfalles eines rechtsmotivierten dutzendfachen Mordes, sondern vor allem auch für die Frage, aus welchen Quellen sich dessen Motivlage speiste und wie daran anknüpfend für die hegemonialen Medien eine Neubewertung der in der Vergangenheit oftmals hofierten „islamkritischen“ Formierungen sowie eine Reflexion und Revision der selbst gepflegten antimuslimischen Ressentiments vorzunehmen sein könnte.
„Das hat doch nichts mit uns zu tun!”. Die Anschläge in Norwegen in deutschsprachigen Medien.
Unrast Verlag, Münster.
ISBN: 978-3-89771-759-6.
184 Seiten. 18,00 Euro.