Der Deutschen neues Sorgenkind
- Buchautor_innen
- Harald Bergsdorf / Rudolf van Hüllen
- Buchtitel
- Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Gefahr?
- Buchuntertitel
- Zwischen Brandanschlag und Bundestagsmandat
Was den Anspruch einer „demokratiefördernden“ Aufklärungsschrift für junge Menschen, Eltern, Pädagog_innen und Multiplikator_innen erhebt, ist ein neokonservatives Pamphlet zur Verunglimpfung politisch unliebsamer Gesellschaftskritik, antifaschistischen Engagements und der Partei DIE LINKE.
Der gemeine autonome „Linksextremist“ zeigt eine Vorliebe für schwarze Kapuzenpullis, Sonnenbrillen und „Hassmasken“. Er informiert sich in vom Verfassungsschutz indizierten „Szeneblättern“ über den Bau von Sprengsätzen und ist in klandestinen Zellen organisiert, von denen meist nachts durchgeführte Sachbeschädigungen ausgehen. Dem „Schweinesystem“ entzieht er sich beständig. Er ist drogenabhängig, lebt lediglich von Kleinkriminalität und versucht den „öffentlichen Raum durch Vandalismus, Grafitti-Schmierereien und Scratching für Normalos so unerträglich wie nur möglich zu machen“ (S. 47). Der autonome „Linksextremist“ findet parlamentarische Unterstützer_innen in Form von „linksextremistischen“ Parteifunktionär_innen, die als „gute Nachbarn, sozial engagierte Pädagogen, besorgte Bürger und umtriebige Mitglieder in Mieter-, Umwelt- oder sonstigen altruistischen Initiativen“ (S. 44) ihr Unwesen treiben und aufrechte Demokrat_innen hinterrücks für ihre revolutionären Zwecke instrumentalisieren wollen. Unter keinen Umständen würden beide – unbelehrbar, wie sie sind – ihren Glauben an den an sich guten Menschen und an eine von diesem vernünftig eingerichtete herrschaftsfreiere Gesellschaft aufgeben!
Diese beiden Figuren sind übertrieben gezeichnete Abziehbilder von etwas, das die Autoren des Buchs „Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Gefahr? Zwischen Brandanschlag und Bundestagsmandat“ unter „Linksextremismus“ kolportieren. Mit diesem Begriff sollen seit dem schwarz-gelben Regierungsantritt in verstärktem Maße auf Regierungs- („Linksextremismusprävention“, Demokratieerklärung), behördlicher (Verfassungsschutz), wissenschaftlicher (Extremismusforschung) und schließlich auch alltäglicher Ebene (Medienberichterstattung) all jene kriminalisiert werden, die Lehren aus dem historischen Faschismus ziehen möchten und sich gegen die Ausbreitung menschenverachtender Ideologien engagieren.
Das Extremismus-Konstrukt
Mitnichten haben die beiden Extremismusforscher Dr. Harald Bergsdorf und Dr. Rudolf van Hüllen in ihrem Sachbuch ein intellektuelles Feuerwerk gezündet. Der eine CDU-Mitglied, der andere ehemaliger Referatsleiter beim Verfassungsschutz, stützen sie sich auf den Extremismusansatz. Dieser imaginiert eine von „Linksextremisten“ und „Rechtsextremisten“ bedrohte demokratische Mitte – die sogenannte Zivilgesellschaft –, in der es trotz anderslautender empirischer Untersuchungen keine rassistischen, antisemitischen, antiziganistischen oder nationalistischen Tendenzen gebe. Dem Extremismusbegriff liegt keine wissenschaftlich-historische Analyse zugrunde. Er ist ein juristisch unbestimmtes und politisch motiviertes Konstrukt. Durch sein selektives, auf den Status quo ausgerichtetes Demokratieverständnis erteilt er radikaleren Demokratieentwürfen eine grundsätzliche Absage, kann historische Phänomene wie den Nationalsozialismus nicht erklären und „läuft so im Kern auf nichts anderes hinaus als auf die Rehabilitation eines undemokratisch verselbständigten Staates, dem praktisch jedes Mittel recht ist und der jenseits der selbst definierten ‚politischen Mitte‘ niemanden duldet“, wie bereits vor einem Jahrzehnt Christoph Kopke und Lars Rensmann darlegen (Kopke/Rensmann 2000, S. 1455). Dass die Vertreter dieses Ansatzes, wie zum Beispiel der am Dresdener Hannah Arendt Institut für Totalitarismusforschung angestellte Eckhard Jesse, selbst Kontakte zur Neuen Rechten und bekennenden Nazis pflegen, und dass die Theorie, auf sich selbst angewendet, alle NS-Oppositionellen als Extremisten deklarierte, sollte weniger überraschen denn beunruhigen.
Anti-extremistische Feindbestimmung
Unter „Linksextremismus“ fassen die Autoren neben gewalttätigen auch gewaltlose Formen des Extremismus – eine Art Gedankenextremismus, der sich in der Äußerung antidemokratischer Ziele manifestiert. Demnach kann das Spektrum der betreffenden Personen von Steine werfenden Autonomen über marxistische Theorie lehrende Professor_innen bis hin zu orthodoxen, trotzkistischen und maoistischen Parteienvertreter_innen, traditionsreichen Vereinen wie dem VVN-BdA und der Partei DIE LINKE reichen. „Linksextremismusprävention“ habe, so die Autoren, schon bei potentiell empfänglichen Jugendgruppen anzusetzen. Die Autoren beanspruchen für sich in das „geschlossene Weltbild“ derer zu treten, die sie links der Sozialdemokratie verorten, um deren antidemokratische Motive bekämpfen und mit „gelassener Entschlossenheit“ Demokratie leben zu können (S. 7). Sie referieren hierfür plumpe Allgemeinplätze, hetzen in Kalter Kriegs-Manier antikommunistisch, kehren historische Fakten um und diffamieren jene populistisch, die deutsche Kriegsbeteiligungen, rassistische Abschiebepraxis und Asylpolitik und die ungerechte Verteilung des gesellschaftlich erarbeiteten Reichtums skandalisieren. Behilflich sind ihnen dabei ein martialischer Buchdeckel und eine emotionalisierte Sprachverwendung, die eine Faktenargumente ersetzende Atmosphäre zu erzeugen vermögen. Auch der suggestiv fragende Buchtitel antizipiert seine Antwort bereits in der Unterzeile: Man soll sie nach der Buchlektüre alle denunzieren wollen – die sozialschmarotzenden Kapuzenpulliträger_innen nicht weniger als die Parteikommunist_innen aller Couleur. An einer sachlichen Darstellung, wie sie sie für sich reklamieren, sind die Herren Extremismusforscher nicht interessiert und können es aufgrund der analytischen Schwäche der Theorie auch gar nicht sein.
Extrem undemokratische Aussagen
Am stärksten geifern Bergsdorf und van Hüllen gegen die These, wonach in kapitalistischen Gesellschaften auf Faschismus als möglichen Katalysator für wirtschaftliche Krisen zurückgegriffen werden kann. Dies würde eine Selbstkritik des Demokratieweltmeisters und eine Anerkennung der These der strukturellen Gewalt bedeuten, die den von Grund auf repressiven Charakter gesellschaftlicher Einrichtungen hervorheben würde: Eine Demokratisierung der bestehenden Institutionen wäre folglich möglich und nötig. Statt Selbstkritik aber Geschichtsfälschung und NS-relativierende Aussagen, wie zum Beispiel, dass zuallererst die KPD in Weimarer Zeit Gewalt gegen NSDAP und demokratische Parteien ausgeführt hätte und Grund für den Nationalsozialismus Bandenkriege von „Linksextremisten“ und „Rechtsextremisten“ gewesen wären. Mithilfe der Diktaturvergleiche werden schließlich in bester totalitarismustheoretischer Manier NS und DDR gegeneinander ausgespielt, der NS relativiert und der Status quo verlängert: So wiegen einerseits 12 Jahre Naziherrschaft in Anbetracht der 40-jährigen SED-Diktatur weniger tragisch und habe Deutschland, nachdem zwei Diktaturen scheinbar „schicksalhaft“ über es hineingebrochen sind, nun die historische Aufgabe dafür zu sorgen, dass dergleichen nicht mehr passiere. So notwendig auch linke emanzipatorische Kritik an den realexistierenden Sozialismen ist, dient die hiesige Kritik lediglich der Diskreditierung des politischen Gegners: Wenn auf die rassistischen Zustände in der DDR fokussiert wird, so nicht, um sich gegen Rassismus auszusprechen, sondern diesen in der BRD zu verschweigen oder zu verharmlosen. Oder wenn ehemalige Nazis in der DDR als viel schlimmer dargestellt werden sollen als in der BRD, da letztere sich als Demokraten – und nicht als „Linksextremisten“ – zu bewähren gehabt hätten: „Tatsächlich versuchten sie in der Regel, sogar 150%-Demokraten zu sein“ (S. 193). Gesonderte Aufmerksamkeit wird in Anbetracht ihrer steigenden Popularität der zwischen „Linksextremismus“ und Demokratie oszillierenden „Neo-SED“ (S. 135), der Partei DIE LINKE, zuteil. Ziel der penetrant-moralischen Parteischelte – denn nicht weniger skandalisierungswürdig wäre eine Analyse des konservativen Parteienflügels zu Verstrickungen ins rechtsradikale Lager – liegt im Nachweis, dass es der Partei nicht um Antifaschismus, Antikriegspolitik und soziale Gerechtigkeit, sondern lediglich um die Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ginge.
Gegen den Extremismus der Mitte
Wie die Mordserie der Zwickauer Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ und die Verstrickungen der staatlichen Sicherheitsbehörden darin, allen voran der Ämter für Verfassungsschutz, tragischer- und erschreckenderweise tagesaktuell bestätigen, geht die „unterschätzte Gefahr“ wesentlich von Nazis und der sie deckenden bundesrepublikanischen Normalität aus. Extremismustheorie, Verfassungsschutz, „Linksextremismusprävention“, Demokratieerklärung – sie alle behindern durch einseitige öffentliche Diffamierung engagierte Antifaschist_innen bei dringend notwendiger Antinazipolitik. Wenn daher in schnöder Verfassungsschutzprosa menschenverachtende rechte Gewalt gegen Antifaschist_innen unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit als „Engagement gegen Linksextremisten“ (S. 189) hochgeadelt wird, demonstrieren die Autoren im schlechtesten Sinne, wes Geistes Kind sie sind und welche gefährlichen politischen Auswirkungen die defizitäre Extremismusheorie zu zeitigen im Stande ist.
Zusätzlich verwendete Literatur
Christoph Kopke / Lars Rensmann 2000: Die Extremismusformel. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 12.
Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Gefahr?. Zwischen Brandanschlag und Bundestagsmandat.
Schöningh Verlag, Paderborn.
ISBN: 978-3-506-77242-8.
200 Seiten. 24,90 Euro.