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Antifa – eine kritische Bestandsaufnahme

Buchautor_innen
Mirja Keller / Lena Kögler / Moritz Krawinkel / Jan Schlemermeyer
Buchtitel
Antifa
Buchuntertitel
Geschichte und Organisierung

Die Autor_innen Mirja Keller, Lena Kögler, Moritz Krawinkel und Jan Schlemermeyer stellen hier eine geraffte Geschichte der antifaschistischen Bewegung zur Verfügung, die vergangene und andauernde Entwicklungen aufzeigt und diese kritisch beleuchtet.

Der Begriff Antifa ist in vielen Zusammenhängen nicht eindeutig einzugrenzen, sondern wird oft eher als Sammelbegriff verwendet. Ob nun Linke generell, oder „Die Antifa“ im speziellen für etwas verantwortlich gemacht werden soll - der Kampfbegriff wird in der Presse größtenteils im Zusammenhang mit Randale oder brennenden Autos ins Feld geführt. Diese verzerrte Außenwahrnehmung lässt sich gutmeinend mit fehlendem Verständnis oder wenig Wissen über dieses sehr heterogene Phänomen erklären, oder schlechtmeinend mit repressiven und anti-modernen Reflexen. Schwieriger wird es, kommt man auf die teilweise sehr abenteuerlichen Selbstbeschreibungen von einigen Gruppen zu sprechen. Es kommt dort durchaus vor, dass wichtige Debatten und Auseinandersetzungen der Vergangenheit kaum Beachtung finden oder der historische Bezug sehr dünn ist. Das hat oftmals auch mit der hohen Mitgliederfluktuation innerhalb von Antifagruppen zu tun. Das im letzten Jahr erschienene Buch „Antifa. Geschichte und Organisierung“ unternimmt nun den Versuch, einen Einstieg zu geben und historische Debatten, Brüche und Entwicklungen besser nachvollziehen zu können um vielleicht bereits begangene Fehler umgehen zu können.

Geschichte wird gemacht...

Grob ist das Buch in zwei Teile gegliedert. Der erste befasst sich mit der Geschichte von antifaschistischem Engagement und beleuchtet die theoretischen Aspekte der jeweiligen Perioden. Im zweiten Teil wird versucht die vielfältigen Organisationsformen und -ansätze etwas näher unter die Lupe zu nehmen. Der „historische“ Teil des Buches, der gut die Hälfte der 180 Seiten ausmacht, spannt den Bogen von der fehlgeschlagenen Novemberrevolution über den Kapp-Putsch und die Entstehung des Faschismus bis hin zur Gründung der historischen Antifaschistischen Aktion von 1932. Die Herrschaft des deutschen Faschismus und die Shoah als wichtigste Zäsur in der Entwicklung antifaschistischer Theorie und Praxis erhält folgerichtig ein eigenes Kapitel. Hier sollte sich zeigen, dass manche monokausal ökonomischen Erklärungsmuster nun nicht mehr greifen konnten. Ausführlicher werden dann die Themengebiete KPD-Verbot, Studentenbewegung, Kommunistischer Bund und die Autonomen bis zur Wiedervereinigung als weitere historische Zäsur bearbeitet. Es werden keine wichtigen Diskussionen ausgelassen.

Ein eigener Abschnitt befasst sich mit Antifaschist_innen in der DDR fernab des „Antifaschismus“ als Staatsdoktrin, der oft genug gezeigt hat, dass er für viele ehemalige DDR-Bürger_innen oft nicht viel mehr als ein Lippenbekenntnis darstellt(e).

Organisiert euch!

Die Theorie ist wichtig, aber keine Bewegung ist wohl so stark von der Praxis geprägt, wie die antifaschistische. Deshalb ist der zweite wesentliche Teil des Buchs einer Vorstellung verschiedenster Organisierungs- und Praxisansätze gewidmet. Bereits in dem 1994 erschienenen Buch der „Projektgruppe“: „Antifa. Diskussionen und Tips aus der antifaschistischen Praxis.“ sind einige von diesen Konzepten durch mehr oder weniger ausführliche Interviews beleuchtet worden. Doch unter einem etwas anderen Fokus und der Entwicklungen seit 1994 bietet der Schmetterling Verlag hier eine gute Ergänzung und Systematisierung an. Von Chiffren wie AA/BO (Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation) und BAT (Bundesweites Antifa Treffen), oder feministischen Ansätzen wie der Fantifa handelt diese Passage. Gerade in den Diskussionen um die AA/BO wird die, auch durch die Autonomen geprägte, Organisationsfeindlichkeit und der partielle Wandel zu überregionalen Konzepten deutlich.

Ein nicht unwesentlicher Bestandteil des Buches widmet sich den Faschismustheorien, die im Hinblick auf die Praxis einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert innehaben, da sie im Einzelnen die zu bearbeitenden Themenbereiche abstecken. Hier wird die inhaltliche Veränderung diverser Vorstellungen vom Faschismus behandelt. Das vereinfachte Theorem des Faschismus als Handlanger des Kapitals und von ihm gesteuert, ließ sich in Anbetracht der zunehmenden gesellschaftlichen Differenzierung nicht länger durchhalten. Zur Erneuerung eines „zeitgemäßen“ Faschismusbegriffes trug maßgeblich die stark von der Kritischen Theorie beeinflusste Studentenbewegung ihren Teil bei. Zu Recht wurde kritisiert, dass ein rein ökonomischer definierter Faschismus nicht den rassistischen und antisemitischen Wahn der Nazis zu fassen vermag und deshalb die Sicht mehr behindert als offenlegt. Diese Erkenntnis hat sich in vielen, aber längst nicht in allen Antifa-Gruppen durchgesetzt und kennzeichnet wiederum einen wesentlichen Unterschied zu den meisten orthodox-marxistischen Organisationen.

Zusammen kämpfen war gestern?!

Das abschließende Kapitel rollt die Debatten ab dem Jahr 2000 auf und erhellt die neueren Konfliktfelder, wie zum Beispiel das zwischen den sogenannten Anti-Deutschen und Anti-Imperialisten. Bei aller Kritik und der Ausdifferenzierung und teilweisen Spaltung quer durch viele Gruppen zu Beginn des neuen Jahrtausends, kann man die inhaltlichen Auseinandersetzungen mit dem linken Status quo und mit szene-internen Mythen wohl nicht zu hoch einschätzen. Die Autor_innen gehen dabei durchweg sehr reflektiert und kritisch vor, was sehr erfrischend und vor allem nötig erscheint.

Dieses Buch nützt viel und könnte ein Anlass sein, interne Debatten anzustoßen, die zu führen bitter nötig erscheinen in Zeiten, in denen von einigen Gruppen positive Bezüge auf autoritäre Konzepte wieder hoffähig gemacht werden und somit die Entwicklungen der letzten 50 Jahre scheinbar ausgeblendet werden. Hier wird ein wichtiger theoretischer Beitrag geleistet, der wirklich nicht zu unterschätzen ist. Denn nur wer ihre_seine Geschichte kennt, kann Fehler der Vergangenheit erkennen und vermeiden. Und dafür schafft dieses Buch eine Voraussetzung. Die Schwächen zeigen sich an einigen Stellen darin, dass in der Kürze viele Details nicht erschöpfend ausgeführt werden können. Die Absicht ist auch viel mehr einen Überblick zur Verfügung zu stellen, der die weiterführende Auseinandersetzung erst ermöglichen kann. Und das ist auch die eigentliche Leistung der Autor_innen.

Ein Zitat von Bini Adamczak veranschaulicht abschließend die Intention und die Wichtigkeit dieses Vorhabens: „Indem sie ihre Utopie reinhalten wollen von den gewesenen Gemetzeln, von den Waffen der Revolutionäre, die sich gegen die Revolutionäre richteten, halten sie ihren Traum rein von der Geschichte der Macht und den Kämpfen um sie, halten sie die Utopie rein von der Wirklichkeit, zu der sie drängen sollte.“ (S. 155f)

Mirja Keller / Lena Kögler / Moritz Krawinkel / Jan Schlemermeyer 2011:
Antifa. Geschichte und Organisierung.
Schmetterling Verlag, Stuttgart.
ISBN: 3-89657-665-8.
180 Seiten. 10,00 Euro.
Zitathinweis: Tompa Láska: Antifa – eine kritische Bestandsaufnahme. Erschienen in: Rechter Terror und "Extremismus". 15/ 2012. URL: https://kritisch-lesen.de/s/YHf3E. Abgerufen am: 21. 11. 2024 13:14.

Zum Buch
Mirja Keller / Lena Kögler / Moritz Krawinkel / Jan Schlemermeyer 2011:
Antifa. Geschichte und Organisierung.
Schmetterling Verlag, Stuttgart.
ISBN: 3-89657-665-8.
180 Seiten. 10,00 Euro.