Intervention in Sprache
- Buchautor_innen
- AK Feministische Sprachpraxis (Hg.)
- Buchtitel
- Feminismus schreiben lernen
Das Buch „Feminismus schreiben lernen“ stellt einen Versuch dar, Ungleichheiten und Diskriminierungen in der Sprache durch kritische Verortung und bewusste Auseinandersetzungen mit Sprach_Handlungen und Praxis entgegen zu wirken und zugleich einen feministischen Gegenentwurf in der Wissenschaftspraxis zu liefern.
Dass Wissensproduktion nicht wertneutral und objektiv ist, sondern häufig bestehende Machtverhältnisse reproduziert, wird gerade im universitären Kontext, aber auch in der genutzten Sprache deutlich. Das vorliegende Werk geht in verschiedenen Kapiteln darauf ein, was es bedeutet, feministisch und kritisch Wissen zu reproduzieren, welche Praktiken der kritischen Verortung möglich sind und was für Auseinandersetzungen und Interventionsmöglichkeiten es im Umgang mit Diskriminierung von Sprachhandlungen gibt.
Feminismus und die Ausdifferenzierung von Sexismus
„Feminismus schreiben“ ist für die Autor_innen ein „selbstbewusstes, empowerndes Festhalten an Feminismus als Konzept, eine positive Bezugnahme auf Feminismus“ (S. 9), wobei auch hervorgehoben wird, dass Feminismus ein ständiger Lernprozess ist, welcher nie starr verhandelt werden kann, sondern nur kontextbezogen und in ständiger Weiterentwicklung.
Der erste Beitrag der AG Einleitung unter dem schlagkräftigen Titel „Feminismus“ geht darauf ein, warum Feminismus als Konzept an seiner Aktualität und Notwendigkeit nichts verloren hat, wobei die Autor_innen eine neue Konzeptualisierung von Feminismus entwerfen: Dyke_Trans. Dyke_Trans beinhaltet nicht nur die Auseinandersetzung mit interdependenten Diskriminierungsverhältnissen wie Rassismus und Sexismus, sondern setzt eine kontinuierliche Auseinandersetzung und Reflexion mit der eigenen Position innerhalb von Machtverhältnissen voraus. In Bezug auf Sexismus schlagen die Autor_innen dabei eine analytische Ausdifferenzierung in sechs verschiedene Genderungsformen vor: Andro-, Zwei-, Hetera-, Repro-, Cis- und KategorialGenderung. ZweiGenderung beschreibt dabei, dass es zwei (und nur zwei) Geschlechter gibt, die daraus resultierende Privilegierung und Normsetzung von „Männern“ findet sich unter AndroGenderung. Die Herstellung von „Frauen“ als Mütter wird unter ReproGenderung verstanden. Das Setzen von Geschlecht als natürliche Kategorie, die Differenzen und soziale Positionierungen hervorbringt, erklären die Autor_innen durch Cis- und KategorialGenderung. Grundlegend für diese Differenzierung ist die Annahme, dass Gender konstruiert ist, woraus sich auch ableiten lässt, warum sich für den Begriff der „Genderung“ und gegen „Sexismus“ - welcher wieder eine biologische Konstruktion von Geschlecht als Ausgangspunkt darstellt - entschieden wird. Warum von den Autor_innen der Begriff „Rassismus“ nicht in gleicher Weise hinterfragt wird, da auch dieser sich auf angebliche biologische Erklärungsmuster bezieht, wird nicht ausgeführt. Herangeleitet wird an die neuen Begrifflichkeiten mit verschiedenen Fragestellungen aus dem Alltagshandeln, welche zum Nachdenken anregen sollen. Genauer eingehen möchte ich nachfolgend auf HeteraGenderung, da das Verständnis von Dyke_Trans eine Auseinandersetzung mit diesen Ausdifferenzierungen voraussetzt.
HeteraGenderung wird als „die HeteraGendernorm(alis)ierung Frauisierter“ (S. 27) beschrieben und stellt eine Privilegierung von Hetera-Frauen gegenüber Lesben dar. Dies schließt sowohl Paarnormativität heterosexueller Paare als auch die Naturalisierung von sexuellen Praktiken ein. „Frauisierte“ sind im Benannten als Frauen wahrgenommene oder sozial als Frauen dargestellte Menschen. Hiermit wird nicht nur der Begriff der Heteronormativität als Spielart der Sexismus/Genderung neu definiert, sondern es wird klar darauf verwiesen, dass Dyke_Trans, die sich einer Markierung als Frau widersetzen, so auch von Diskriminierung durch markierte Frauen betroffen sind.
Neben den beschriebenen Differenzierungsformen des Sexismus verweisen die Autor_innen darauf, dass sie darüber hinaus auch anstreben, contra_rassistisch, contra_ableistisch, contra_antiziganistisch und contra_antisemitisch zu handeln. So wichtig es ist, in der eigenen kritischen Verortung sich nicht nur seiner Position, sondern auch den daraus abzuleitenden Handlungsnotwendigkeiten bewusst zu werden, so fällt doch auf, dass eine zentrale Kategorie, nämlich die der Klasse, keine genauere Erwähnung findet. Zwar wird darauf verwiesen, dass eine genauere Auseinandersetzung mit Klassismus notwendig ist und noch aussteht, warum sie allerdings nicht von vornherein mit als strukturgebendes Diskriminierungsverhältnis aufgenommen wurde, bleibt offen.
Kritische Verortung und Intervention
Im zweiten Artikel beschreibt Alyoxsa Tudor, was kritische Verortung bedeutet und inwieweit Praxen dieser gerade in der Wissensproduktion notwendig sind. Hierbei führt Tudor aus, dass
„Praktiken kritischer Ver_Ortung (...) nie bloße Selbst_Bennungen (und schon gar nicht lediglich vorangestellte) [sind], sondern (...) auf verschiedenen Ebenen der Wissensproduktion statt[finden]. Zur kritischer Verortung gehören explizite Reflexionen der Konstruktion von Material und Forschungsliteratur, von Kanonisierungen, Genealogisierungen, Sprachgebrauch, Themenwahl, Adressierungen, Be_Nennungspraktiken, Selbst_ und Außen_Re_Positionierung und Außen_Ver_ortung etc.“ (S. 58)
Es geht um die kritische Reflexion von Privilegierungen und Diskriminierungen im Wechselspiel mit der sozialen Position derjenigen, die Wissensbildung betreiben. Dies schließt auch die Notwendigkeit der Privilegierten ein, sich Wissen anzueignen, um sich kritisch verorten zu können. Hierbei wird zudem die Unterscheidung von „Contra_" und „Anti“ eingeführt. Tudor erklärt diese Unterscheidung wie folgt: „Weiße können für sich selbst nicht Nichtrassismus beanspruchen, so wie Cis-Typen sich nicht antisexistisch, sondern allenfalls contra_sexistisch betätigen und ver_orten können“ (S. 74). Antirassistisch können dabei jene agieren, die aufgrund ihrer sozialen Positionierung von Rassismus betroffen sind, wobei Privilegierte niemals antirassistisch, sondern nur contra_rassistisch agieren können. Der Unterstrich verweist darauf, dass jede gegen Rassismus gerichtete Handlung aus privilegierter Perspektive potenziell rassistisch sein kann.
Lann Hornscheidt und Evelyn Hayn gehen in den nachfolgenden Kapiteln näher darauf ein, welche Strategien zur Sprachveränderung angewandt werden können und inwieweit feministisches Handeln sich in wissenschaftlichen Arbeitsprozessen ausdrücken kann. Dabei besticht gerade Hornscheidts Artikel einerseits durch die Ungewöhnlichkeit des Textes, da nachvollziehbar dargestellt wird, dass der Umgang mit Sprache immer prozesshaft, persönlich und so auch von Unsicherheiten geprägt ist. Persönliche Notationen und auch Kommentare weiterer Leser_innen des Textes werden durch kursive Einführungen und die Wiedergabe von Fragen, die Hornscheidt auch an sich selber gerichtet hat, deutlich. Nachfolgend wird auf sprachliche Interventionsmöglichkeiten eingegangen, die eine Vermeidung der Reproduktion des Mythos der Zweigeschlechtlichkeit einschließen, so wie der dynamische Unterstrich, das bewusste Arbeiten mit Unterstrichen, Klammern und Schrägstrichen oder aber andere Formen von Personalpronomen (vgl. S. 133-135).
Zudem finden sich noch ein Glossar sowie ein Versuch der Erklärung alltäglicher Vorurteile gegen diskriminierungsarme Sprache anhand eines FAQs zu Sprache, Diskriminierung und Feminismus. Entgegen dem vorhergehenden Text von Hornscheidt ist dieser jedoch gekennzeichnet durch die Kontrastierung emotionalisierter Fragestellungen mit akademischem Sprachgebrauch in den Antworten, was bei mir einen leicht herablassenden Eindruck entstehen lässt, denn auch der Zugang zu Sprache ist ein anderer, wenn in akademischen Kontexten geschrieben wird, und da als Zielgruppe nicht „Studierende der Gender Studies“ angegeben sind, sondern Menschen, die sich als feministisch verorten oder Interesse daran haben, sich in diesem Bezug weiterzubilden.
Fazit
Das Buch hat unterschiedliche Gefühle bei mir ausgelöst: Einerseits Interesse, mich mit meinem eigenen Sprachgebrauch mehr auseinanderzusetzen und auch Freude darüber, Interventionsmöglichkeiten und Fragestellungen vorzufinden, denen ich auch schon begegnet bin, an denen ich gedanklich aber nicht weiter vordringen konnte. Auch die Neukonzeptualisierung von Feminismus als Dyke_Trans stellt meiner Meinung nach einen interessanten Ansatz dar. Andererseits ist es teilweise aufgrund der Komplexität des Themas schwierig, einzelne Passagen nachzuvollziehen, wenn man sich das erste Mal intensiver mit der Thematik „Sprache und Diskriminierung“ beschäftigt. Bestimmte Begrifflichkeiten zu verstehen, die neu als Interventionsmöglichkeiten eingeführt werden, fiel mir zum Teil schwer oder sie wurden mir erst nach Gesprächen mit anderen Menschen bewusster, was ärgerlich ist, weil es damit den Zugang zu dem Buch erschwert.
Feminismus schreiben lernen.
Brandes & Apsel, Frankfurt a.M.
ISBN: 978-3-86099-699-7.
196 Seiten. 19,90 Euro.