Wird es eine (arabische) Revolution?
- Buchautor_innen
- Bernhard Schmid
- Buchtitel
- Die arabische Revolution
- Buchuntertitel
- Soziale Elemente und Jugendprotest in den nordafrikanischen Revolten
Bernhard Schmid liefert keine Prophezeiung, sondern eine umfassende Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Verhältnisse in Nordafrika, die den Abstand zwischen revolutionärem Anspruch und der Fesselung durch die sozialen Abhängigkeiten zu ermessen erlaubt.
Bernhard Schmid ist in seinem Buch „Die arabische Revolution?“ einen anderen Weg gegangen als die meisten Schnellkommentatoren mit Adlerblick. Er übersieht das ganze Gebiet Nordafrikas von Algerien bis hin nach Ägypten und fragt konsequent, aber ohne Sympathie-Übertreibung, nach den Chancen „der Unteren“, dem Begriff einer wirklichen Revolution nahezukommen. An Stelle der von anderer Seite bevorzugten Prophezeiungen sortiert er nach Einflussmächten. Im zweiten Kapitel geht er der Rolle der Gewerkschaften und zugleich der Bewegungen nach, die gewerkschaftsunabhängig vorgingen. Besonders wichtig ist das dritte Kapitel, in dem die mögliche Rolle sogenannter Islamisten analysiert wird. Dann nimmt er sich der „Facebook-Legende“ an, der Behauptung nämlich, die Gesamtbewegung habe vor allem - und mehr oder weniger ausschließlich - Blogs, Network, Facebook und dergleichen als Grundlage für ihren Widerstand gehabt - und das bei Leuten, die angeblich mit gewöhnlicher Schrift in Büchern oft Schwierigkeiten haben. Anschließend richtet sich der Blick auf die Rolle der diversen einheimischen Staatsgewalten mit ihren verschiedenen Versuchen, das Ruder in der Hand zu behalten - oder es gleichgesinnten Brüdern weiterzureichen. Sehr wichtig dann die (rhetorischen, militärischen und propagandistischen) Eingriffe der USA und der EU. Zwei letzte Kapitel fragen nach dem Einfluss der ganzen Bewegung auf Israel und Palästina und nach den mehr oder weniger gewaltsam zurückgeschlagenen Auswanderungsversuchen aus Libyen und Tunesien, nachdem sich die ursprünglichen Rückhaltungsverträge mit den dortigen Grenzpolizei-Verfügern zwischendurch gelockert hatten.
Islamisch orientierte Parteien
Am aufklärendsten vielleicht in Schmids Buch die genaue Bestandsaufnahme der Ausrichtung der verschiedenen islamisch orientierten Gruppen. Während hierzulande gleich schaudernd vom drohenden „Islamismus“ gesprochen wird, der sich den Berufsgruslern als einheitlicher Block darstellt, unterscheidet Schmid erst einmal nach Ländern. Richtig ist natürlich, dass die religiös orientierten Gruppen in einem Land ohne große Tradition weltlich-politischer Parteien einen Vorsprung haben. So die Muslimbruderschaft in Ägypten und Ennahda in Tunesien. Schließlich traute sich bisher keine Regierung, die Freitagsgebete zu verbieten. Damit war immer schon ein organisatorischer Minimalansatz angeboten.
Vor allem in den arabischsprachigen Ländern - außer Ägypten - scheint sich dabei ein Modell durchzusetzen, das sich mehr nach dem in der Türkei herrschenden ausrichtet. Der Kampf um die Scharia, in deutschen Zeitungen oft als das Schlimmste hingestellt, enthält auch ganz harmlose Zielsetzungen - zum Beispiel für das Bankenwesen. Wie jetzt in Libyen. Ohne weiteres ließen sich Banken islamischen Rechts denken auf Teilnahmebasis. Dass dabei der gewöhnliche Zins einfach nach den Tabellen aus New York umgerechnet würde, schafft zwar den Kapitalismus nicht ab, verschlimmert ihn aber auch nicht. Dass am Anfang der nordafrikanischen Revolten nirgends ein Religionsproblem im Vordergrund stand, wird von Bernhard Schmid noch einmal bestätigt.
Aber die Auseinandersetzungen zwischen koptischen Christen und Muslimen in Ägypten? Darüber sind im Augenblick nur Vermutungen möglich. Immerhin spricht viel dafür, dass erst einmal die Kräche angezettelt wurden von Veteranen aus der Zeit Mubaraks, worauf dann Polizei und Militär brutal Frieden stifteten und aus der Zersplitterung der Massen neue Kraft zogen. (Der sehr vertrauenswürdige Leiter einer deutschen Schule in Alexandria erzählte mir selbst von den Ereignissen dort, dass zunächst Muslime und Christen zusammen sich gegen Schlägereien aller Art untereinander wendeten. Bis dann die Obrigkeit die Unruhen hergestellt hatte, die sie eigentlich verhindern sollte).
Wenn in der gängigen Darstellung der Vorgänge in Tunesien und Libyen häufig die Rede von Stämmen ist, so merkt Bernard Schmid mit Recht an, dass darunter natürlich keine Großorganisationen zu verstehen sind wie bei uns die Bayern oder in Libyen die Tuareg. Romantikern tritt Karl-Mayliches in den umwölkten Sinn. In der Bedeutung eines Zusammenhangs der Geburt gibt es solche Stämme auch in Libyen selten. Was allenthalben Stamm genannt wird, ist oft nicht mehr als Patronatszusammenhang, nach Wohnorten gegliedert. Patron, abgeleitet aus dem Französischen, das „Chef“ bedeutet: Der Chef eines Gebietes, der einzige Fabrikant oder Großgrundbesitzer formt aus den wirtschaftlich Abhängigen eine Gruppe, die mehr oder weniger tatkräftig - zuweilen auch prügelfroh - zu ihm steht. Wer Böses im Hinterkopf hegt, darf auch an Mafia denken. Die ganze Erscheinung dient zur Erstellung von Gefolgschaften über Personenfixierung. Und erzeugt zunächst einmal ein gesellschaftliches Parzellenwesen. Schwer zusammenzuhalten. (Vgl. dazu S.18)
Kein Bericht über Tunesien und Ägypten versäumt seit Wochen, den Verdacht der „liberalen Kräfte“ zu verstärken und weiterzugeben, die islamischen Parteien verstellten sich jetzt nur, hätten aber für später Übles im Sinne. Dagegen zitiert Schmid die ausdrücklich und offiziell so benannte „Strategie der Selbstbeschränkung“ der islamischen Parteien von Marokko bis Ägypten (S. 33). Kennzeichnend im Vergleich dazu das wohlwollende Schmunzeln der westlichen Berichterstattung, wenn in Libyen die Scharia ganz offiziell als Grundlegung des neuen Staates - nach Gaddafi - ausgerufen wird, mit weiterer Verschlechterung der Stellung der Frauen im Eherecht.
Bleibt alles, wie es ist?
Bernhard Schmids Fazit – einstweilig:
„In Tunesien und Ägypten wurden die Diktaturen durch die Revolten jeweils ,enthauptet', also zum Sturz des jeweiligen Staatsoberhaupts – Präsident Ben ’Ali respektive Präsident Mubarak – gezwungen. (…) Doch unterhalb des bisherigen Hauptes – in Gestalt des gestürzten Präsidenten – und Rumpfes (die frühere Staats¬partei) bleiben einige Glieder der früheren Diktaturen noch aktiv.“ (S. 45f)
Vor allem in Ägypten, wo der Generalrat - das Militär - in letzter Zeit mehr Leute eingesperrt hat, als Mubarak in seinen letzten Jahren. Das über reiche materielle Mittel verfügende Militär versucht, durch allerlei Tricks in der neuen Wahlordnung und Verfassung die Macht zu behalten. Schultergeklopft bei diesem Unterfangen durch Westerwelle und andere Helfer aus dem Westen. In Tunesien spielte das Militär eine geringe Rolle, die diversen Geheimdienste und Polizeien eine große. Wie die vergnügten Gewährsmänner in weiten Teilen der hiesigen bürgerlichen Presse versichern, soll auch dort alles so bleiben, wie es ist. Natürlich ohne Diktator.
Die Chancen „der Unteren“, sich bei den anstehenden Wahlen durchzusetzen, werden im Buch nicht übertrieben. Außer den auch wieder neu zur legalen Partei zusammengetretenen Muslimen gibt es in Tunesien z.B. - je nach Zählung - 101 Gruppen, die sich zur verfassunggebenden Versammlung zusammengefunden haben. Darunter auch ausgesprochen linke Gruppen! Auch solche, die von den Parteien des französischen Gebietes mehr oder weniger patronisiert werden sollen. Der Ausgang bleibt offen.
Die arabische Revolution. Soziale Elemente und Jugendprotest in den nordafrikanischen Revolten.
Edition Assemblage, Münster.
ISBN: 978-3-942885-02-7.
120 Seiten. 12,80 Euro.