Bakunin versus Marx auf kubanisch
- Buchautor_innen
- Frank Fernández
- Buchtitel
- Anarchismus auf Kuba
- Buchuntertitel
- Geschichte einer Bewegung
In Kuba gab es eine vitale anarchistische Bewegung – bis zur Kubanischen Revolution. Frank Fernández versucht, diesen beinahe vergessenen Teil anarchistischer Geschichte aus einer libertären Perspektive aufzuarbeiten.
Heute gibt es nur noch eine Handvoll Länder in denen vorgegeben wird, es herrschten sozialistische/kommunistische Ideale vor. China, Nord-Korea, Venezuela und Kuba sind die bekanntesten und so unterschiedlich diese Beispiele auch sind, zeigen sie doch auf, dass es durchwegs die autoritären, also marxistisch beeinflussten Varianten des Sozialismus waren, die die Oberhand gewannen – so man es diesen Ländern überhaupt zugesteht, sich ‚sozialistisch’ oder ‚kommunistisch’ zu nennen. Doch wo man autoritären revolutionären Sozialismus findet, entdeckt man zumeist auch die antiautoritäre Variante: Anarchismus.
Der Exil-Kubaner und Anarchist Frank Fernández versucht in „Anarchismus auf Kuba“ am Beispiel dieses sozialistischen (?) Landes die heute kaum noch bekannte Geschichte der kubanischen anarchistischen Bewegung zu skizzieren und gegenwärtige Entwicklungen aus anarchistischer Sicht zu analysieren. Historisch gesehen ist das Beispiel Kuba aus unterschiedlichen Gründen spannend. Es gab eine vitale anarchistische (zumeist anarchosyndikalistische) Bewegung; diktatorische Herrschaft und gegen diese gerichtete revolutionäre Bewegungen, an denen auch AnarchistInnen teil hatten; schließlich eine erfolgreiche Revolution, die bald in eine marxistisch-leninistische Richtung steuerte und AnarchistInnen (wie so oft) mit der Fragen zurückließ, wie man sich nun dazu verhalten solle; und zuguterletzt noch die internationale anarchistische Bewegung, die zu diesem Thema ebenso Position bezog. Die letzten beiden Punkte waren, wie wir noch sehen werden, von besonders heftigen Disputen begleitet.
Turbulente Geschichte(n)
Der Autor beginnt seine Ausführungen im Kapitel „Kolonialismus und Separatismus“ im Jahre 1865, als vor allem die Schriften des Frühsozialisten und Pioniers des Anarchismus Pierre-Joseph Proudhon in der kubanischen ArbeiterInnenbewegung an Einfluss gewannen. Hier und in den darauf folgenden Kapiteln erhält man wertvolle Informationen, wie AnarchistInnen vor allem in Gewerkschaften und Arbeitskämpfen aktiv waren. Leider erfährt man erst relativ spät (nach knapp einem Drittel des Buches, wir befinden uns bereits im Jahr 1921), wie sich das zahlenmäßig ausdrückte. Das Jahr 1921 wird als die „wohl schöpferischste Phase in der Geschichte des kubanischen Anarchismus“ (S. 49) bezeichnet, in denen die quantitative Stärke mit 80.000 bis 100.000 Organisierten (bei einer Gesamtbevölkerung von damals 2,9 Millionen) angegeben wird. In der Zeit der Machado-Diktatur wurde auch die Kommunistische Partei Kubas (PCC) gegründet, womit AnarchistInnen – ähnlich wie in Spanien während des Bürgerkriegs – bald einen Kampf auf zwei Fronten zu führen hatten. Fernández meint hierzu:
„Die Mitglieder des PCC stellten eine disziplinierte, treu ergebene Minderheit dar, die, auch wenn sie ursprünglich selbst anarchistischen Fahnen gefolgt war, in der Zukunft – in Befolgung der aus Mexiko übermittelten Komintern-Befehle – daran gehen sollten (sic), alle Spuren des Anarchosyndikalismus, der über Jahrzehnte hinweg die treibende Kraft der kubanischen Arbeiterklasse gewesen war, erst zu verdrängen und schließlich auzulöschen.“ (S. 52)
Von diesen Erfahrungen ausgehend, erklärt sich auch die ideologische Ausrichtung des kubanischen Anarchismus, nämlich dass die AnarchistInnen dort nie wirklich ihren Frieden mit dem Marxismus fanden – zu dieser Zeit aber ohnehin eine übliche Haltung. Anarchismus und Marxismus galten in der ArbeiterInnenklasse als klare Gegensätze und dementsprechend wurde sich wenig geschenkt oder kooperiert. Das wird auch an den Ausführungen des Autors deutlich, da er häufig von „den Marxisten“ spricht wenn es um anti-libertäre Aktivitäten der PCC geht.
Spätestens nachdem die Diktatur unter Batista gestürzt wurde und Fidel Castro sich an die Spitze der Revolution setzte, wurden die AnarchosyndikalistInnen aus den Gewerkschaften und Widerstandsorganisationen verdrängt und ins Exil getrieben. Dies führte auch zu einer schwerwiegenden Spaltung der anarchistischen Bewegung – sowohl auf Kuba als auch international. Die kubanischen AnarchistInnen – ob noch auf der Insel oder bereits im Exil – vertraten ebenso wie AnarchistInnen im Rest der Welt keine einheitliche Position zu Fidel Castro und zu den politischen Entwicklungen auf Kuba. Einerseits gab es bekannte Anarchisten wie Augustin Souchy oder Sam Dolgoff (als Teil der US-amerikanischen Organisation Libertarian League), die sich den kubanischen Exil-AnarchistInnen um die Gruppe Movimiento Libertario Cubano en el Exilio (MLCE) anschlossen und mit ihnen versuchten über den ihrer Ansicht nach zutiefst repressiven Charakter des Castro-Regimes aufmerksam zu machen. Andererseits teilte die Szene in Lateinamerika und Europa sehr oft diese Meinung eben nicht und sah die gesamte Angelegenheit auf Kuba etwas differenzierter. In Lateinamerika beispielsweise spaltete sich die einflussreiche Federación Anarquista Uruguaya gar an dieser Frage, wobei die kompromisslosen Anti-Castro-AktivistInnen in der Minderheit waren. In der anarchistischen Szene Europas stießen MLCE-AktivistInnen häufig auf taube Ohren und viele anarchistische Zeitschriften weigerten sich, Artikel von kubanischen Exil-AnarchistInnen zu veröffentlichen. Daniel Cohn-Bendit (damals noch Anarchist) beschuldigte das MLCE gar vom CIA finanziert zu werden. Anhand dieser Beispiele kann man schon herauslesen, wie intensiv diese Debatte offenbar geführt wurde.
Anarchistischer Grabenkampf auf Papier
Und genau hier hat das Buch seine größte Schwäche. Die Diskussionen, die sich damals abgespielt haben, werden weder objektiv noch inhaltlich gehaltvoll wiedergegeben. Da der Autor selbst zu jenen Exil-KubanerInnen gehört, die sich kompromisslos gegen die Revolution und Castro stellten (und stellen), wird die damals weltweit in libertären Kreisen so intensiv geführte Diskussion darüber ziemlich einseitig dargestellt. Hier wandelt sich das Buch von einer ausgewogenen libertären Analyse der Geschichte des Anarchismus auf Kuba hin zu einer in apodiktischem Sprachstil verfassten persönlichen politischen Positionierung. Es ist keine Analyse dieses Grabenkampfes, sondern ein Beitrag dazu. Obwohl der Autor selbst immer wieder betont, dass die strikte Anti-Revolutions-Haltung z.B. des MLCE unter AnarchistInnen (egal wo) damals in der Minderheit war, hört man kaum etwas von den Argumenten jener, die nicht mit der Linie des Autors und MLCE-Aktivisten Fernández übereinstimmten. Es werden zwar diverse Zeitschriften und Gruppen aufgezählt mit der Information, ob diese ‚dafür’ oder ‚dagegen’ waren, inhaltlich geht Fernández aber de facto nicht auf diesen Diskussionsprozess ein. Wenn er das einmal doch tut und über den kubanischen Anarchisten Manuel Goana Sousa herfällt (der Begriff ist hier durchaus angebracht), der ein Dokument veröffentlicht hatte, in dem er die kubanische Revolution und ihren Verlauf verteidigte, hört man nicht viel mehr als dass dieses Dokument „niederträchtig“ (S. 94) gewesen sei und Sousa es irgendwie (es bleibt im Dunkeln wie genau) geschafft hätte, „fünf Altanarchisten der kubanischen Bewegung (…) genötigt“ (S. 94) zu haben, es ebenfalls zu unterzeichnen. Es ist schade, dass hier die Chance verpasst wurde, diese Diskussionen der anarchistischen Bewegung zu dokumentieren, was mit Sicherheit aufschlussreicher und produktiver gewesen wäre als Schuldzuweisungen und die bruchstückhafte Wiedergabe eines Diskussionsprozesses, die ohne ein Mindestmaß an Objektivität auskommt. Wobei: dieser Teil des Buches zeigt vermutlich nur, wie verbittert dieser Grabenkampf damals innerhalb der anarchistischen Bewegung geführt wurde. Und dass ein kubanischer Exil-Anarchist, der Dutzende FreundInnen und GenossInnen in den Gefängnissen Castros verschwinden sah, nicht ohne Emotion an dieses Thema rangehen kann, ist bis zu einem bestimmten Grad auch verständlich. Dennoch sind die offensichtlichen Lücken, die dieses Kapitel aufweist, unbefriedigend.
Gewagte Thesen zum Schluss
Im letzten Kapitel „Realität und Reflexion“ versucht der Autor noch einmal knapp zu subsumieren, was im Laufe der Lektüre ohnehin klar geworden ist: er steht auch weiterhin in absoluter Opposition zu Fidel Castro und dessen Regime. So glaubhaft seine Ausführungen hierzu auch sind, scheint der Autor manchmal aber die Macht und die ‚negativen Energien’ Fidel Castros schlichtweg zu übertreiben. Castro hat zwar ein autoritäres Regime installiert und es fällt nicht schwer, ihn aus anarchistischer Sicht zu kritisieren (und es ist gut und notwendig das zu tun!), er ist aber auch nicht an allem Schuld was sich in Lateinamerika während des Kalten Krieges an Abscheulichkeiten zutrug. Wenn der Autor schreibt, dass die „Kubaner (...) nicht die einzigen [waren]“ (S. 123), die unter Castro zu leiden gehabt hätten, sondern gleich alle Menschen „in Lateinamerika und Afrika“ (S. 123), begründet er das so, dass die damaligen – zumeist von den US-Regierungen unterstützten – Militärdiktaturen „[a]ls Reaktion auf die von Castro unterstützten Aufständischen“ (S. 123; Hervorhebung S.K.) entstanden. Dass das wohl nicht ganz so zutrifft, Castro nicht für sämtliche (faschistischen) Militärdiktaturen und Putsche Lateinamerikas verantwortlich gemacht werden kann und Leute vom Kaliber eines Ronald Reagan, Henry Kissinger oder John Negroponte gemeinsam mit ihren tyrannischen lateinamerikanischen Verbündeten mit Sicherheit damals nicht nur reagierten weil Castro auf dem halben Erdball allerlei Böses tat, scheint außer Frage zu stehen.
Ein fast vergessenes Kapitel anarchistischer Geschichte
Dem Buch ist aber definitiv zugute zu halten, dass es Licht in ein kaum mehr diskutiertes Kapitel anarchistischer Geschichte bringt und viele auch heute noch relevante Fragen aufwirft. Die Situation, in der sich die AnarchistInnen damals befanden, kann bis zu einem bestimmten Grad mit der in Russland während der Oktoberrevolution oder mit jener der AnarchistInnen des Spanischen Bürgerkrieges verglichen werden: es gab eine Revolution, einen revolutionär-sozialistischen Prozess, an dem AnarchistInnen teil hatten aber aus unterschiedlichen Gründen sukzessive verdrängt wurden und mit dem Dilemma konfrontiert waren, wie man sich weiter zu der (sich aus anarchistischer Sicht in die falsche Richtung entwickelnden) Revolution verhalten soll. In allen drei Fällen gab es sowohl jene AnarchistInnen, die versuchten, sich trotz der offensichtlichen Fehlentwicklungen nach wie vor im revolutionären Prozess zu beteiligen in der Hoffnung, diesem durch ihr Einwirken wieder eine libertärere Richtung zu verleihen. Und es gab jene, die sich rasch abwandten und die aus ihrer Sicht fehlgeleitete Revolution mit der gleichen Inbrunst bekämpften wie das System, das durch sie gestürzt wurde. Ob Russland, Spanien oder Kuba: es scheint für die AnarchistInnen – egal wo sie waren und wie sie sich entschieden – nie wirklich gut ausgegangen zu sein. Die Gründe dafür sind mannigfaltig und es gibt mit Sicherheit kein Patentrezept, wie AnarchistInnen sich in derartigen Situationen verhalten sollten. Um aber Reflexionsprozesse anzustoßen und die ungemein wertvollen Erfahrungen von AnarchistInnen zu dokumentieren und zu vermitteln, die tatsächlich an Revolutionen teilgenommen haben, ist dieses Buch (trotz der oben angesprochenen Einwände) von großer Wichtigkeit.
Anarchismus auf Kuba. Geschichte einer Bewegung.
Syndikat-A, Moers.
ISBN: 9783981084634.
144 Seiten. 8,90 Euro.