Ist der Feminismus erledigt?
- Buchautor_innen
- Angela McRobbie
- Buchtitel
- Top Girls
- Buchuntertitel
- Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes
McRobbie analysiert in diesem Band die Abwicklung des Feminismus zugunsten einer neoliberalen Geschlechterpolitik, die Frauen erneut in strenge Kategorien verweist.
Frauen sind definitiv in der Arbeitswelt angekommen. Sie haben scheinbar den weiten Weg der Emanzipation von familiären Zwängen und dem Patriarchat gemacht und ihre Rechte auf eine geschlechtergerechte Gesellschaft verwirklicht. Und bis auf durchgängige Lohnunterschiede, die aber doch stets und ständig problematisiert werden, ist doch alles in Butter, oder?
Weit gefehlt! Allein die Tatsache, dass für gleiche Arbeit an Frauen weniger Lohn gezahlt wird, ist ein Skandal. Wird aber nicht als solcher behandelt. Und das gängige Familienmodell sieht immer noch die Mutter in der Hauptrolle, mittlerweile mit der zusätzlichen Belastung der Berufstätigkeit, in die schwer wieder hineinzukommen ist, wenn eine Erziehungspause eingelegt wurde. Und ständig hören wir von Diskriminierung am Arbeitsplatz oder sonst wo, Sexismen können immer noch und immer wieder ungestraft reproduziert werden und in vielerlei Hierarchien, die leider bestehen, sind immer noch die Männer ganz vorne. Und wo ist da jetzt die Geschlechtergerechtigkeit? Es wirkt vielmehr, als habe der antifeministische backlash sein Ziel erreicht.
Diese Erklärung reicht Angela McRobbie bei weitem nicht aus. In Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes geht sie nicht von einer bloßen Rückdrängung feministischer Werte und Errungenschaften aus, sondern von einem Erstarken des Pseudo- oder Postfeminismus, in dem abgeflachte, feministische Werte stark nach neoliberalen Grundsätzen modifiziert werden. Dies macht sie nicht an einem bloßen Aufleben konservativer Geschlechtermodelle fest, sondern sieht eine neue Macht der Geschlechternorm verwirklicht. Frauen haben auf dem globalen Konsummarkt und in der Arbeitswelt einen wichtigen Platz eingenommen. Dementsprechend sollen sie in Politik, Wirtschaft und auf dem Markt als Leistungsträgerinnen und Konsumentinnen erreicht werden. Frauen „sind die privilegierten Subjekte des sozialen Wandels. Zu den Bedingungen dieser hohen Erwartungen seitens der Regierungen gehört jedoch, dass junge Frauen auf feministische Politik verzichten.“ (S. 37)
McRobbies Analyse des Postfeminismus beschäftigt sich vornehmlich mit den Machtwirkungen, die der neue Geschlechtervertrag in Zeiten des Neoliberalismus erzeugt. Sie konzentriert sich auf die Frage, wie dieser Vertrag, der ein neues Geschlechterregime hervorbringt, organisiert wird. Hierfür fokussiert sie vor allem popkulturelle Erzeugnisse wie Mode- und Frauenzeitschriften, zahlreiche Filme, Literatur und auf Frauen zugeschnittene Produkte, die sie als Medien versteht, die Frauen als explizit weibliche, leistungsorientierte Subjekte anrufen. Obwohl ihre Analyse auf Formaten aus Großbritannien fußt, ist eine Übertragung auf den deutschsprachigen Raum mühelos möglich.
Die Abwicklung des Feminismus
In der Transformation des Geschlechterregimes, so McRobbie, werden Frauen als erfolgsorientierte, leistungsstarke Subjekte konstituiert, die von zahlreichen staatlichen Institutionen (Kinderbetreuungsstätten etc.) profitieren und am wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft partizipieren. Im postfeministischen Diskurs werden zahlreich individuelle Erfolgsgeschichten von Frauen erzählt, die mit Fleiß, Ehrgeiz und dem richtigen Selbstmanagement ihre Biographie optimieren. Diese Aufmerksamkeitsräume, wie McRobbie die Repräsentationen nennt, stellen eine bestimmte, regulierende Präsenz her, die das Optimum der Weiblichkeit vorführt. Hier wird aus der Möglichkeit zum Erfolg von Frauen eine Geschlechtergerechtigkeit abgeleitet. Frauen können durch das Einhalten gewisser Regeln und der Arbeit am Selbst alle Vorzüge der neoliberalen Ordnung genießen. Insofern scheint die feministische Forderung nach Gleichberechtigung erfüllt, der Feminismus wird für nicht mehr notwendig erklärt. McRobbie führt hier ein, was sie als „Abwicklung des Feminismus“ (S. 40) bezeichnet. Sie verfolgt die These, dass „bestimmte Elemente der zeitgenössischen Populärkultur die Errungenschaften des Feminismus untergraben und zersetzen.“ (S. 31) Dem Feminismus werde Rechnung getragen, er sei ein immer wieder vermittelter Anspruch, doch um die Lücke zwischen sozialkritischen Forderungen und Realität zu überspielen, müsse er als erfüllt und überholt betrachtet werden. So werde er einerseits als Bezugspunkt für angebliche Liberalisierung gewählt, andererseits geschehe dies nur mit dem Vermerk, dass dies ja schon geschehen sei und weiterhin formulierte feministische Forderungen deshalb als übertrieben radikal gelten können. Durch das Image des Feminismus als Domäne lesbischer Mannsweiber wird dieser als nicht mehr zeitgemäß und befremdlich identifiziert. Wo Frauen doch jetzt die Freiheit haben, ihre Entscheidungen selbst zu treffen, brauchen sie den lästigen Feminismus nicht mehr, schon gar nicht, wenn sie kultiviert wirken wollen.
Dass der Postfeminismus nicht als schlichter backlash betrachtet werden kann, begründet McRobbie mit dessen „doppelte[r] Verwicklung“ (S. 33), in der streng konservative Werte mit einer gleichzeitigen Liberalisierung der Wahlmöglichkeiten junger Frauen verwachsen. Selbst von konservativen Bewegungen und der Neuen Rechten gehen nicht mehr jene Impulse aus, die die Frau gerne zurück am Herd sehen würden, sondern vielmehr die Verschränkung traditioneller Familienwerte mit der Liberalisierung weiblicher Selbstständigkeit nach neoliberalem Kalkül. In den kulturellen Produkten für Frauen werden so Familienromantik und Konsum gleichermaßen attraktiv gestaltet.
McRobbies Kritik gilt jedoch nicht nur den Massenmedien und der Politik, auch feministische Theoretiker_innen neigen ihrer Meinung nach vermehrt dazu, den Feminismus zu demontieren. Hier hat sich das Interesse im Zuge der Zunahme an Selbstkritik in den 1990ern am Körper und am Subjekt orientiert, statt „zentralisierte Machtinstitutionen – wie Staat, Patriarchat und Gesetz“ (S. 34) in den Vordergrund zu rücken. Das ist zwar logisch, wenn mensch bedenkt, dass Frauen aktiv und die Strukturen reproduzierend mitwirken, dennoch sollten regulative Strukturen nicht außer Acht gelassen werden, so McRobbies Plädoyer. Das sei zum Beispiel ein Mangel des weit verbreiteten gender mainstreaming, das zwar enorme Potenziale in Geschlechtergleichstellung mitbringe, durch die Forderung nach Integration in männlich besetzte Bereiche „im Kern aber von den Strukturen und Institutionen des Kapitalismus aufgenommen und integriert werden kann.“ (S. 200)
Die Individualisierung der Frau
Im Zuge der gesellschaftlichen Transformationen, die die neoliberale Ordnung mit sich bringt, sind „Individuen zunehmend dazu aufgerufen, ihre eigenen Strukturen zu schaffen. Diese Aufgabe müssen sie innerlich und individuell bewältigen“ (S. 41). Das sich somit selbst regulierende Subjekt bekomme vor allem durch die Medien Verhaltenscodes und Spielregeln an die Hand, denen zu entsprechen ein Erfolgsversprechen beinhalte. Zeitgleich würden Versagensängste produziert, die das Entsprechen der Norm verstärkt und die bereitwillige Teilnahme am Spiel der Weiblichkeit erklärt. In ihrer Analyse der Figur Bridget Jones aus dem gleichnamigen Roman/Film resümiert McRobbie, dass das äußerst feminine Verhalten der Protagonistin genau solche Ängste spiegelt und als einzige Lösung betrachtet wird, um in der Begegnung mit Männern auf Augenhöhe trotz Emanzipation noch begehrlich zu bleiben. Dies streicht die Autorin als zentrales Moment des Postfeminismus heraus: In der neoliberalen Neuordnung des Geschlechterregimes wird die Idee der anzustrebenden Weiblichkeit, bzw. einer Weiblichkeitsnostalgie dem aufstrebenden weiblichen Subjekt als alternativlos beiseite gestellt, um ihren Platz als begehrenswerte Frau zu sichern und so die heterosexuelle Norm nicht zu gefährden. So werden Frauen mobilisiert, den sich ständig perfektionierenden Weiblichkeitstechnologien konform zu handeln und dem Imperativ der Jugendlichkeit und dem des Erfolgs durch Leistung zu folgen. Dies nicht ohne Verlust: Laut McRobbie sind sich Frauen der Ungerechtigkeit bewusst bzw. haben zumindest eine nebulöse Ahnung von dem Verzicht ihrer feministischen Rechte, die ihnen abgezwungen werden. Diese Spannungen führen in der Folge zu einer „Melancholie“ (S. 132) und nicht selten zu selbstverletzendem Verhalten, das in der Öffentlichkeit als für Frauen völlig natürlich gehandhabt wird. An diesem Punkt ergreift die Autorin die psychoanalytische Perspektive, die die Affirmation weiblicher Subjekte in der Betrachtung perfektionierter Körper zwischen Begehren und Unwohlsein zu erklären versucht, was in der Kürze dieses Artikels nicht wiedergegeben werden kann, aber sehr lesenswert ist.
Durch die Aufmerksamkeitsräume, die einen „Scheinwerfer“ (S. 88) auf die idealen Typen der Frau werfen, werden regulative Dynamiken in Szene gesetzt. McRobbie zeigt auf, dass das Bild der erfolgreichen Frau die Sphäre der Repräsentation so sehr einnimmt, dass Ungerechtigkeiten dahinter verschwinden, schlicht dethematisiert werden. Gerechtigkeit wird stets suggeriert, die Bedingungen dafür werden jedoch im engen Rahmen der Sichtbarkeit festgelegt. Der Feminismus wird dementsprechend verleugnet und das ohne die Notwendigkeit, hegemoniale Männlichkeiten erneut zu formulieren. Das Selbstmanagement besitzt solch regulierende Kraft, dass es kaum einer dominanten Präsenz des Patriarchats bedarf und somit auch Machtzugriffe verschleiert werden. Die Frauen haben sozusagen die Macht an ihrer eigenen Unterdrückung mit übernommen, dies jedoch nach den Regeln der Nützlichkeit und unter dem Postulat der Unabhängigkeit. Die Kritik am Patriarchat rückt damit in den Hintergrund. Männliche Vorherrschaft wird auf diese Weise zementiert, wenn sie keiner Kritik mehr unterzogen wird. Geschlechterungerechtigkeit verschwindet dahinter, ganz einfach, indem sie nicht mehr artikuliert wird.
Schaffung neuer Klassenverhältnisse und Revitalisierung des Rassismus
Einen weiteren Effekt der dominanten Aufmerksamkeitsräume findet McRobbie in der Desartikulation antiklassistischer, antirassistischer und weiterer progressiv linker Politiken. Auffällig ist, dass in den Medien und in der Werbung fast ausschließlich weiße Frauen sichtbar sind. Dies gibt ein dominantes Schema vor, welches Minderheiten dazu aufruft, sich unter den Dogmen der Schönheit und der Leistung zu assimilieren. Diese Re-Privilegierung des Weißseins wird jedoch nicht thematisiert, womit auch antirassistische Artikulation als hinfällig betrachtet wird. Diese Desartikulation führt auch zu einer Entsolidarisierung - die verschleierten Ungleichheitsverhältnisse verunmöglichen öffentliche Debatten. Finden diese doch statt, werden Argumente häufig mit einer abwertenden Haltung gegen political correctness als übertrieben pessimistisch abgetan. Solidarität wäre also weder nötig noch zeitgemäß. Diese Mechanismen bezeichnet McRobbie zu Recht als rekolonialisierend. Dies wird auch dadurch verstärkt, dass das Bild der emanzipierten westlichen Frau als Ideal in die Welt hinausposaunt wird, um den Freiheitsdiskurs des Westens zu propagieren. Hier wird der Feminismus also ein weiteres Mal instrumentalisiert.
Auch in Hinblick auf klassistische Artikulationen von Weiblichkeit sieht McRobbie zahlreiche beunruhigende Tendenzen. Sehr eindrücklich zeigt sie dies beispielhaft an dem Fernsehformat der so genannten make-over-Sendungen in Großbritannien. In diesen Sendungen werden Frauen, die nicht in das Schema weiblicher Attraktivität passen, äußerlich rundum erneuert. Moderiert wird das Ganze von zwei Frauen, die als glamouröse Leistungsträgerinnen fungieren und denen das gesamte Be- und vor allem Abwerten ihrer Zielperson aufgrund ihrer gesellschaftliche Position zugestanden wird. Sie sind die Expertinnen, die genau wissen, wie eine unattraktiven, erfolglosen Frau dem Versprechen des Erfolgs ein Stückchen näher gebracht werden kann. Der Umgang - Beleidigungen, Betatschen und vielfache Abwertungen - wird umfassend toleriert. McRobbie hält hier fest, dass solche Formen des Umgangs nicht nur einen Effekt auf klassistische Haltungen in der Gesellschaft haben, sondern auch aus dieser kommen und durch solche Formate legitimiert und fortgeführt werden.
Die symbolische Gewalt, die in popkulturellen Produkten und diskursiven Praktiken ihre Artikulation findet, bildet Trennlinien in der Gesellschaft. Die „regulativen Dimensionen“ (S. 42) bieten Identifikationsmuster an, die Abgrenzungen im Sinne verschiedener und doch oft verschränkter Diskriminierungsprozesse fördert. Ein Nicht-Entsprechen dieser Normen zieht eine Ausgrenzung mit sich; und die Angst davor wird ständig erneuert und führt genau zu jener Abgrenzung, die ein solidarisches Miteinander diskriminierter Menschen verhindert. So wird die Frau in ein enges Korsett angesehener Charakteristika gezwängt und ihr gleichzeitig das große Los der Wahlfreiheit unter die Nase gehalten. Und je mehr sie diesem Korsett entspricht, desto mehr kann sie sich von allen anderen abheben.
Und nun?
Das Bild, das McRobbie in ihrem Buch entwirft ist erleuchtend und gleichzeitig entmutigend. Ihre umfassende Kritik an der Kulturindustrie und den gesellschaftlichen Umgang damit ließ mich oft fragen, wo das alles hingehen soll. Wo sind die Perspektiven feministischer Politik, wenn doch so viele mit dem Postfeminimus zufrieden sind? Und gibt es Weiblichkeiten, die keine Entsprechung darstellen? Diese Fragen kann ich an dieser Stelle nur anregen, nicht beantworten, Diskussionen dazu gibt es zahlreich, doch ich befürchte, dass sie ihren Raum vor allem in primär theoretischen Zugängen finden. Auch McRobbie bleibt mit ihren Perspektiven etwas dürftig. Sie fordert Diskussionen mit Frauen unter starkem Einbezug individueller Biographien. Diese bettet sie jedoch vorrangig in den universitären Kontext ein, fordert also Räume, in denen schon die meisten Debatten stattfinden.
Sehr gut an dem Buch ist, dass McRobbie zahlreich Kategorien einführt und verknüpft, anhand derer das neoliberale Geschlechterregime analysiert und dekonstruiert werden kann. Sie hängt sich nicht an einem Teilaspekt auf, sondern liefert ein sehr umfassendes Bild. Dabei nimmt sie sowohl strukturelle Machtgefüge auseinander wie auch identitäre Strategien. Ihre Sprache ist dabei trotz ihres wissenschaftlichen Zugangs meist sehr verständlich und auch gern mal mit einer gehörigen Portion Sarkasmus gespickt. So sind die komplexen Zusammenhänge, die sie aufzeigt, gut nachvollziehbar.
Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes.
Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.
ISBN: 978-3-531-16272-0.
240 Seiten. 24,95 Euro.