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Gespaltenes Bürgertum

Buchautor_innen
Patrick Bahners
Buchtitel
Die Panikmacher
Buchuntertitel
Die deutsche Angst vor dem Islam. Eine Streitschrift

FAZ-Redakteur Patrick Bahners entlarvt die neokonservative Islamkritik als Panikmache und wird dafür im eigenen Lager heftig attackiert.

Manchmal kommt es auf die Nuancen an. Nur wenige Stunden nachdem er das Amt des Bundesinnenministers übernommen hatte, machte Hans-Peter Friedrich (CSU) mit der Bemerkung von sich reden, daß der Islam nicht zu Deutschland gehöre. Er positionierte sich damit explizit gegen den Bundespräsidenten Christian Wulff, der mit der Behauptung des genauen Gegenteils erst vor wenigen Monaten den geballten Zorn jener Islamkritiker auf sich gezogen hatte, die das christliche Abendland oder gar die gesamte westliche Zivilisation durch ihre muslimischen Nachbarn bedroht sehen. „Wulffs Kritiker offenbarten, daß für sie das Vorhandensein deutscher Muslime nicht selbstverständlich ist, keine von der deutschen Politik vorgefundene Gegebenheit wie der deutsche Papst. Zu ihrem Deutschland gehört der Islam nicht. Ihr Deutschland ist ein Deutschland ohne Islam“, beschreibt der Journalist Patrick Bahners die Haltung dieser Sorte Islamkritiker auf Seite 8 seiner Streitschrift Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam (München 2011). Wulffs Satz vom Islam als Teil Deutschlands sei gegenüber „den dogmatischen Hygienikern aller Bekenntnisse« dagegen »in robuster Weise neutral“. (S. 12)

Bahners setzt sich fundiert und auf weiter Strecke überzeugend mit Autoren und Politikern auseinander, die sich das weltanschauliche Orientierungsbedürfnis eines verunsicherten bürgerlichen Publikums zunutze machen, um sich mit rassistischen Untergangs- und Horrorszenarien wichtig zu machen. Ob Autoren wie Peter Sloterdijk, Henryk M. Broder, Ulrike Ackermann, Udo Ulfkotte, Necla Kelek, Hans-Peter Raddatz oder CDU-Politiker wie Hans-Jürgen Irmer und Kristina Schröder: Alle bekommen sie ihr Fett weg. Vor einer in den Medien hochgejubelten bürgerlichen Lichtgestalt wie Joachim Gauck macht Bahners scharfe Kritik in diesem Zusammenhang ebenso wenig halt wie vor der neuerdings so oft beschworenen christlich-jüdischen Tradition, der jedes Jahr aufs neue recycelten Leitkulturdebatte oder den im Zusammenhang mit dem Sarrazin-Hype der vergangenen Monate zu beobachtenden Zerfall republikanischer Umgangsformen. „Den Achtundsechzigern wird gerne vorgeworfen, sie hätten der Höflichkeit den Garaus gemacht und die Entzivilisierung, deren Fanale sie im Hörsaal setzten, in den Alltag hinübergetragen. Wie viel Zuspruch Sarrazin in den Kreisen gefunden hat, in denen der Vorwurf zirkuliert, das ist eine Ironie der Geschichte, die wenig froh stimmen kann.“ (S. 19f)

Fast könnte man meinen, in der Gestalt Patrick Bahners selbst einen Achtundsechziger vor sich zu haben, einen klassischen Linksintellektuellen, der das Erbe Horkheimers und Adornos in zunehmend finsteren und geistfeindlichen Zeiten zu bewahren versucht. In Wirklichkeit steht er für eine Frankfurter Schule, die man gemeinhin in einem ganz anderen Sinne als konservativ zu betrachten gewohnt ist: Bahners ist leitender Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).

Rhetorik der Verachtung

Das hindert ihn freilich nicht daran, jene neoliberalen Auffassungen vom Wesen und der Bestimmung des Menschen zurückzuweisen, denen in seiner eigenen Zeitung ansonsten ein durchaus breites Forum gegeben wird. Insbesondere die mit den Namen Sarrazin und Sloterdijk verbundenen Debatten um die Anerkennung und Bevorzugung sogenannter Leistungsträger mißfallen dem Journalisten. Er entlarvt sie als Nebelkerzen, die den irrationalen Charakter der Verteilung von ökonomischem Erfolg und sozialem Status unter kapitalistischen Verhältnissen verschleiern sollen. „Die Ideologie von den Leistungsträgern soll das Zufällige bei der Verteilung von Lebenschancen ausblenden, das Lotteriehafte“, sagte er in einem Interview [1] und verknüpft diese Erkenntnis mit einer schonungslosen Analyse eines Bürgertums, das nach den Erkenntnissen einer Bielefelder Forschergruppe aus Angst vor dem eigenen Abstieg gegenüber sozial schlechter Gestellten zunehmend zu verrohen droht (vgl. Wilhelm Heitmeyer [Hg.]: Deutsche Zustände. Folge 9. Berlin 2010). Bahners beschreibt das so: „Die Rhetorik der Verachtung wird zum Selbstlob der Erfolgreichen, Etablierten, Angepaßten.“ [2]

Die von Peter Sloterdijk verkündete Leistungsträgerideologie gehört für ihn in die deutsche Tradition einer Vulgärphilosophie, „die den Weltanschauungsbedarf von Gebildeten bedient“ (S. 26). Ihre Propagandisten verbreiten neuerdings die Auffassung, daß ein Gemeinwesen nur dann gedeihen kann, wenn die ohnehin schon Bessergestellten geistig aufgerichtet und materiell gepäppelt werden. Denn:

„Dem Leistungsträger, der Hauptfigur der Tugendlehren des neubürgerlichen Eigenlobs, wird eine kosmische Verantwortung übertragen. Das Überleben der Gemeinschaft soll davon abhängen, daß die Starken belohnt werden. Als ehrenamtliches Vorstandsmitglied der Kreditanstalt für moralischen Wiederaufbau der Eliten zahlt Sarrazin rhetorische Vorschüsse auf die Ausschüttungen der strengen und gütigen Natur aus: Die Kräftigen sollen zu noch mehr Kräften kommen, indem sie auf die Kraftlosen hinabsehen.“ (S. 283)

Bahners weiß, daß die Geschichte des Liberalismus eine dunkle Kehrseite hat, die zunächst wenig mit Demokratie, dagegen viel mit aristokratischem Geltungsbewußtsein und sozialdarwinistischer Verachtung gegenüber der arbeitenden Bevölkerung zu tun hat.

„Solange das Bürgertum liberal sein wollte, ohne demokratisch zu werden, speiste sich der Stolz des Bürgers aus der Verachtung für den Pöbel, die Canaille, den Massenmenschen. Das Unglück der Armen galt als selbstgemacht, als Bestrafung für Haltlosigkeit und Antriebsschwäche. Der Weg zur Entgiftung der bürgerlichen Sozialphilosophie war lang. In Krisenzeiten, wenn Anwartschaften auf Glücksdividenden plötzlich nicht mehr honoriert werden und die Abstiegsangst umgeht, besteht Rückfallgefahr.“ (S. 283)

Als Symptome eines solchen Rückfalls erkennt Bahners die einschlägigen Thesen von Sarrazin und anderen Islamkritikern, die der Wohlfahrtspflege auf Gemeinschaftskosten demoralisierende Effekte zuschrieben und „asoziale Taten chancenarmer Berliner Jugendlicher mit türkischer und arabischer Familiengeschichte“ zu „Bürgerkriegshandlungen“ aufbauschen (S. 262). „Der Muslim ist in diesem Weltbild der Verlierer, mit dem sich der Sieger nicht verwechseln kann. Sarrazin liefert abgepackt, durchgezählt und medizinisch auf Erbkrankheiten durchgecheckt den konstitutionellen Versager als Sozialfigur frei Haus. Der Muslim sitzt zusammen mit einem grotesk verfetteten Unterschichtsangehörigen auf dem widerlichen Plastiksofa und guckt schreckliches Fernsehen.“[3]

Dem neoliberalen Mantra, wonach selbst die schwächsten Glieder der Gesellschaft für ihr Schicksal selbst verantwortlich seien, hält Bahners entgegen:

„Sozialpolitiker mögen aufgrund von Studien und Erfahrungsberichten zu dem Schluß kommen, türkische Eltern täten zu wenig für die frühe Förderung ihrer Kinder. Aber solange sie ins Gesetz keine Kindergartenpflicht schreiben, müssen sie informieren, aufklären, werben, da ihre Drohungen leer sind. Es ist schäbig, Menschen, die sich unter dürftigen materiellen Bedingungen an das Vertraute halten, Verrat am Gemeinwohl vorzuwerfen, weil sie noch nicht gelernt haben, ihre Chancen als Chancen zu erkennen.“ (S. 288)

Zwar seien Republiken darauf angewiesen, daß sie den Menschen zutrauen, die Dinge in die Hand zu nehmen und die Chance der ungewissen Zukunft zu ergreifen. „Aber wenn man sich im Club der Glücksschmiede erzählen läßt, auch das Unglück sei immer ein selbstgemachtes und jeder Verweis auf widrige Umstände die Ausflucht von Faulenzern und Defätisten, dann mutiert die republikanische Motivationslehre zur Philosophie der Starken und Besitzenden.“ (S. 163)

Demagogische Islamkritik

Den neuerdings in bürgerlichen Kreisen so populären „Stil der ostentativ zur Schau gestellten Verachtung von Minderheiten“ [4] und die Begeisterung für Sarrazin macht Bahners als Ausdrucksformen eines neuen Extremismus der Mitte kenntlich, der sich von dem der neunziger Jahre in einem Punkt deutlich unterscheidet. „Zwar gab es damals Ausländerfeindlichkeit – mit vielen Todesopfern –, aber es fehlte die intellektuelle Anschlußfähigkeit. Das ist heute anders. Es gibt wieder ein starkes Interesse an 'Wir-hier-die-da-Unterscheidungen'. 'Wir Deutschen hier, die Fremden da'.“ [5] Zu den Autoren, die Bahners in dieser Hinsicht für besonders erwähnenswert hält, gehört der Publizist Udo Ulfkotte.

Dieser „behauptete in seinem Standardvortrag, beispielsweise am 9. März 2007 auf Einladung der CDU des Lahn-Dill-Kreises, vor allem auf Wochenmärkten komme es immer öfter vor, daß Muslime auf die Auslagen mit Schweinefleisch spuckten. Zwar erklärte der von der taz befragte Sprecher des Deutschen Fleischer-Verbands, er höre die Geschichte zum ersten Mal und hätte sie bestimmt schon gehört, wenn sie wahr wäre. Aber laut Ulfkotte hatten die Metzger, die sich ihm anvertraut hatten, von einer Anzeige abgesehen, um keine Kunden zu verlieren.“ (S. 261)

Anstoß nimmt der konservative Journalist aber auch an jenen Berufspolitikern, die sich den Zuspruch der Wähler dadurch zu erwerben versuchen, daß sie gezielt Vorurteile gegenüber in Deutschland lebenden Muslimen schüren. Das erste Beispiel für eine Karriere auf dem Ticket der Islamkritik ist für ihn die CDU-Politikerin Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Diese habe den aus der rechtsextremistischen Propaganda bekannten Topos von der angeblich zunehmenden Deutschenfeindlichkeit unter Einwandererkindern zunächst dem hessischen Landtagswahlkampf 2008 beigesteuert, „in dem die CDU die Angst vor kriminellen Ausländern schürte und Zweifel an der nationalen Zuverlässigkeit der Spitzenkandidaten der Oppositionsparteien säte“ (S.270f). Als Ministerin setzte sie das Thema auf die Tagesordnung der Bundesregierung und stilisierte sich selbst dann auch noch zum Opfer dieser von ihr selbst herbeigeredeten „Deutschenfeindlichkeit, weil sie als Fachpolitikerin für Islam, Integration und Extremismus unflätige Briefe erhalten hat, in denen die einschlägigen Schimpfwörter verwendet wurden“. (S.272)

Kristina Schröder bediente sich damit einer hierzulande derzeit besonders beliebten rhetorischen Figur, die gesellschaftlich Mächtige und politisch Verantwortliche zu Opfern und die Hauptleidtragenden gesellschaftlicher Fehlentwicklungen sowie ihre Fürsprecher zu Tätern umzudeuten versucht. Bahners leugnet nicht, daß es manche der von den Islamkritikern angesprochenen Probleme wirklich gibt. Kein Verständnis hat er jedoch dafür, daß diese zu Grundsatzkonflikten aufgebauscht und für Zwecke der politischen Stimmungsmache instrumentalisiert werden. Er plädiert dagegen für die pragmatische Suche nach Lösungen mit Augenmaß:

„Mobbing unter Schülern ist ein pädagogisches Problem und in extremen Fällen auch ein Gegenstand für Polizei und Gerichte. Wer es unter dem Namen Deutschenfeindlichkeit zum Thema der Politik macht, bedient eine Stimmung, die auf eine Umkehrung der Diskussionsverhältnisse hindrängt. Es gilt als Gebot der ausgleichenden Gerechtigkeit, daß zur Abwechslung und bis auf weiteres die Rede sein soll von den Versäumnissen, Ressentiments und Übergriffen der nichtdeutschen Seite.“ (S. 271)

Genau so verfährt die allgegenwärtige Kritik rechter und vorgeblich liberaler Publizisten an der PC, der Political Correctness. Sie diffamieren soziales Engagement als naives Gutmenschentum, versuchen die gerade vorherrschende Meinung als verfolgte Minderheitenposition darzustellen und gefallen sich selbst dabei in der Pose des Tabubrechers, der die angeblich von einem Kartell aus bevormundenden Journalisten und volksfernen Politikern errichtete Verbotszone betritt und auf diese Weise eine Lanze für die Meinungsfreiheit bricht. Diese Diskursstrategie wurde im Verlauf der Sarrazin-Debatte besonders gut sichtbar. Man warf den Kritikern des Autors von Deutschland schafft sich ab vor, sie machten ihm das Recht streitig, seine Meinung frei zu äußern, das nach Artikel 5 des Grundgesetzes jedermann verbürgt ist. Dabei liegt es in der Natur dieses Grundrechts, „daß sein Gebrauch sehr häufig in der impliziten und expliziten Kritik des Gebrauchs besteht, den ein anderer von ihm macht“ (S. 21), hält Bahners fest. Überhaupt kein Verständnis hat er für die Art und Weise, mit der ein prominenter Medienintellektueller dem angeblich um sein Recht auf Meinungsfreiheit gebrachten Sarrazin beisprang: „Peter Sloterdijk mußte sich dumm stellen, um die Behauptung in die Welt zu setzen, Sarrazin habe wegen freimütigen Gebrauchs der Redefreiheit die Vernichtung seiner bürgerlichen Existenz fürchten müssen.“ (S. 20) Und weiter: „Denunziationen eines Redemachtmonopols, hinter dem sich die Feigheit von Volksfeinden verschanze, liefen früher nur in rechtsradikalen Kreisen um. Sloterdijk verlieh ihnen starphilosophische Weihen.“ (S. 18)

„Verbiesterter Blick“

Mit klaren Worten wie diesen zog Bahners den Zorn vieler Rechtsdenker in der deutschen Presselandschaft auf sich. „Bahners, zarter Spätling einer Zivilisation im Abendrot, gebildet, kinderlos, virilitätsfern, apolitisch, verwöhnt, will noch einmal das Licht der Aufklärung strahlen lassen. Es fragt sich bloß, ob aus ihm bereits jene Schwäche spricht, die den Neuankömmlingen aus einem weit vitaleren Kulturkreis nur ein mattes, gleichsam um Schonung bittendes Willkommen anzubieten hat. Ansonsten will er seinen Lesern offenbar mitteilen, daß er die deutsche Rechtsordnung für wichtiger hält als das deutsche Volk“, schrieb beispielsweise Michael Klonovsky in jenem kulturpessimistischen Tonfall, der für rechte Intellektuelle der Weimarer Zeit nicht untypisch war, nach dem Ende der Naziherrschaft aber überwiegend nur noch in rechtsradikalen Kleinpublikationen gepflegt wurde. Nun hat dieser dumpf-reaktionäre Untergangssound anscheinend im publizistischen Flaggschiff des Burda-Konzerns, dem Nachrichtenmagazin Focus (Focus 9/2011, S. 65) eine neue Heimat gefunden. Klonovsky jedenfalls ist seit einigen Monaten als leitender Redakteur für das Debatten-Ressort des Blatts inhaltlich verantwortet.

Fast schon zurückhaltend nimmt sich dagegen aus, wie der Autor eines ganz weit rechts stehenden Wochenmagazins Bahners charakterisierte, nachdem er ihn bei einer Buchvorstellung beobachten konnte: „verklemmte Körperhaltung, verbiesterter Blick, herunterhängende Mundwinkel.“ (Junge Freiheit, 10/2011, S. 14) Nicht viel freundlicher fielen die Bewertungen aus, die in der Springer-Presse erschienen. So münzte Monika Maron auf Bahners den eigentümlichen Ausdruck „Stubenpublizist“ (Die Welt, 26.02.2011), womit sie wohl die angebliche Wirklichkeitsferne des Intellektuellen auf den Begriff bringen wollte. Unzweideutig auf das herabwürdigende rhetorische Mittel eines Tiervergleichs griff der selten um eine Krawallvokabel verlegene Henryk M. Broder zurück, als er Bahners die „Kaltschnäuzigkeit eines Dobermanns“ (Welt am Sonntag, 20.2.2011) attestierte und ihn in eine Reihe mit jenen Intellektuellen stellte, „die mit totalitären Ideen geflirtet, sich den potentiellen Siegern der Geschichte als Ratgeber und Minnesänger angeboten haben“. (ebd.) In die gleiche Kerbe schlug auch ein Spiegel-Journalist, als er seinem Kollegen von der FAZ allen Ernstes vorhielt, mit fundamentalistischen Gewalttätern zu sympathisieren. „Nun, Hirsi Ali und Broder und Kelek sind hochgerüstet: Ihre Waffe ist das Wort. Ihre Gegner verfügen über Sprengstoff. Eigentlich doch spannend zu erleben, welchem der beiden Lager sich unsere Feuilleton-Aufklärer zuordnen“, schrieb der Spiegel-Journalist Matthias Matussek. [6]

Die Debatte, die Bahners Buch provozierte, ist in zweierlei Hinsicht symptomatisch für den Zustand des bürgerlichen Lagers und seiner intellektuellen Wortführer. Wie in den vorangegangenen Sloterdijk- und Sarrazin-Debatten und zuletzt in der Plagiatsaffäre um Karl-Theodor zu Guttenberg kommt in ihr auf der einen Seite eine zunehmende Spaltungstendenz innerhalb des liberalkonservativen Intellektuellenmilieus zum Ausdruck. Da gibt es zum einen jene Geistesarbeiter, die sich auf der Seite der Aufklärung positionieren, den sozialen Ausgleich zwischen den Klassen anstreben, dafür nach wie vor den Weg der Reformen für gangbar halten und an bürgerlichen Anstandsnormen festhalten. Diese Autoren, zu denen Patrick Bahners zweifelsohne gehört, ärgern sich über die rasant fortschreitende Auflösung einer bürgerlichen Debattenkultur, für die Toleranz und Meinungspluralismus zumindest dem Anspruch nach unverzichtbare Orientierungsmarken waren. Gerade die Selbstverständlichkeit, mit der an diesen Normen festhaltende Konservative und Liberale wie er die argumentative Auseinandersetzung und den Prozeß der Kompromißbildung propagieren, fordert die immer lauter werdende Schar von Leistungsträgerideologen, radikalisierten Islamkritikern und rechten PC-Gegnern heraus, die nicht mehr auf sozialen und kulturellen Ausgleich setzen, sondern eine robustere Form der Durchsetzung von Herrschaftsinteressen bevorzugen. Angehörige dieser zweiten Gruppe von Publizisten, die in den bürgerlichen Milieus immer mehr Anklang findet, spielen die populistische Karte, bringen sich als Verteidiger von Frauenrechten ins Gespräch und polemisieren gegen „die da oben“. Sie verletzen bürgerliche Rollennormen, Anstandsregeln und Diskussionsregeln, nur um sich im Falle der bereits einkalkulierten Gegenreaktionen der dafür zuständigen Institutionen als vorgeblich volksnahe Opfer einer Herrschaft weltfremder Intellektueller und gutmenschelnder Politiker in Szene setzen zu können. Dabei haben Broder, Sarrazin, Sloterdijk und viele ihrer Gesinnungsgenossen einen so direkten und stetigen Zugang zu den Fernsehsendern, Radiostationen, Verlagshäusern und auflagenstarken Printmedien dieser Republik, wie ihn die angeblich das Meinungsklima so dominierenden Linksintellektuellen in den Medien der BRD zu keiner Zeit gehabt haben.

Blinder Fleck

Das ansonsten sehr lesenswerte Buch des FAZ-Redakteurs Bahners versucht auf die Frage, wie dieser offenkundigen Medienmacht der „Panikmacher“ begegnet werden kann, leider keine Antwort zu geben. Das ist sein blinder Fleck. Man kann sicher noch andere Einwände gegen manche seiner Argumente hervorbringen. Beispielsweise stellt er in seiner umfänglichen Auseinandersetzung mit der Kopftuchdebatte die feministischen Postionen nicht in ihrer ganzen Fülle dar. Auch unterschätzt er die Wirksamkeit von sozialen Zwängen im Zusammenhang religiös begründeter Gebote. Die größte Schwachstelle seines Textes ist freilich die nicht genügend kritische Auseinandersetzung mit der Rolle, die mit Konzerninteressen verflochtene Medien bei der Ausbreitung der von ihm beanstandeten und überwiegend zutreffend analysierten Phänomene spielen. Nun wäre es wohl naiv, zu glauben, daß der Feuilleton-Chef der FAZ entscheidenden Einfluß auf die Linie seines Blattes nehmen könnte, dafür sind andere Instanzen zuständig, doch etwas mehr Problembewußtsein, als in dem folgenden Ausschnitt aus einem Interview mit der Zeit zum Ausdruck kommt, hätte man von einem so klugen Kopf wie Bahners durchaus erwarten können:

„ZEIT: Als Feuilleton-Chef der FAZ verantworten Sie Texte von Necla Kelek, die Sie in Ihrem Buch scharf kritisieren.

Bahners: Ja, einige Grundtexte ihrer radikalen Islamkritik sind in der FAZ erschienen. Aber es gab dort ebenso viele Gegenstimmen.“ [7]

Anmerkungen

1 www.zeit.de/2011/08/Interview-Bahners 2 www.zeit.de/2011/08/Interview-Bahners 3 www.zeit.de/2011/08/Interview-Bahners 4 www.zeit.de/2011/08/Interview-Bahners 5 www.zeit.de/2011/08/Interview-Bahners 6 www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,746473,00.html 7 www.zeit.de/2011/08/Interview-Bahners

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Die Rezension erschien zuerst am 31.03.2011 in der Jungen Welt (S. 10f) und wurde uns dankenswerterweise vom Autor zur Verfügung gestellt (Update: kritisch-lesen.de, sfr, 4/2011)

Patrick Bahners 2011:
Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam. Eine Streitschrift.
Verlag C.H. Beck, München.
ISBN: 978-3-406-61645-7.
320 Seiten. 19,95 Euro.
Zitathinweis: Thomas Wagner: Gespaltenes Bürgertum. Erschienen in: Antimuslimischer Rassismus. 1/ 2011. URL: https://kritisch-lesen.de/s/wZeyT. Abgerufen am: 04. 12. 2024 09:11.

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Patrick Bahners 2011:
Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam. Eine Streitschrift.
Verlag C.H. Beck, München.
ISBN: 978-3-406-61645-7.
320 Seiten. 19,95 Euro.