Barcelona. Ein Tag und seine Folgen
- Buchautor_innen
- Hanns-Erich Kaminski
- Buchtitel
- Barcelona
- Buchuntertitel
- Ein Tag und seine Folgen
Kaminski schöpft aus den Erfahrungen mit der Revolution 1936 in Barcelona, die sein weiteres schriftstellerisches und politisches Schaffen bestimmen sollten.
Das Buch ”Barcelona. Ein Tag und seine Folgen” wurde zum fünfzigsten Jahrestag der Revolte in Spanien neu herausgegeben - und zwar „aus dem Französischen von Gudrun Hunsche”. Andererseits muss es eine deutsch geschriebene Vorlage gegeben haben, sonst hätte die der neuen Ausgabe eingefügte Vorrede Kaminiskis zur französischen Ausgabe keinen Sinn. Nach der Anlage der einzelnen Kapitel ist zu vermuten, dass auf Deutsch zunächst eine Reihe von Aufsätzen für eine Zeitschrift zugrunde lag, die dann von Kaminski selbst für Editions Denoel übersetzt und zusammengefasst wurde. Das Impressionistische der Einzelartikel würde zu dieser Vermutung passen.
Unmittelbar nach Abschluss seiner Einleitung zur französischen Ausgabe 1.Mai 1937 kam es in Katalonien zur „Revolution in der Revolution” - zum Putsch (oder doch nur Putschversuch) der von der kommunistischen Gruppe bestimmten Gewerkschaftsteile. Damit war es mit dem Aufschwung der anarchistischen Tendenzen vorbei.
Was in diesem Buch wie in dem späteren Kaminski-Werk „Bakounine” auffällt, ist die Fixierung aufs Anschauliche, auf das Bild, das die Ereignisse bieten. Die Analyse tritt weitgehend zurück. Gerade dadurch entsteht eine eindringliche Vorstellung dessen, was die Frühzeit einer sozialen Bewegung ausmacht, die nahezu alle ergreift. So zeigt sich Kaminski schon am Grenzbahnhof Port Bou beeindruckt von all den uniformähnlichen Kleidungsstücken mit verschiedenen Beschriftungen, die erst nach genauem Studium Orientierung ermöglichen. In Barcelona angekommen, erstaunen ihn die mangelnden Hüte der Damen: die einen tragen Kurzhaarschnitt, die anderen Dauerwelle. Die Erklärung des Autors: die Damen, früher mit Hut, wollten nicht als bürgerlich auffallen, sondern sich einreihen in die „Arbeitsfront”.
Am eindrucksvollsten sind die Gespräche mit den Bauern von Dörfern in Gegenden um Barcelona. Alle folgen in der Organisation einem Grundprinzip der anarchistischen Bewegung Spaniens: föderal, nicht zentralistisch. So entwickelt jedes Dorf seine eigenen Formen der Vergesellschaftung - vor allem nach Möglichkeit ohne Geld. Dafür gibt es für alles Gutscheine für alles, die nach Erwägungen des Zentralkomitees eintauschbar sind. Die früher landlosen Bauern bewirtschaften jetzt den Großgrundbesitz und sind - überraschenderweise - allesamt Geldfeinde. Kaminski fragt etwa einen Bauern: Ich möchte meinen Gutschein zum Kinogehen verwenden?- Antwort: Nichts einfacher als das. Du gehst zum Komitee und die geben dir Fahr- und Eintrittsgeld. Kaminski: Jeden Tag? Bauer: Blödmann! Natürlich nur am Wochenende. Sonst wäre das doch Zeitverschwendung!
Die Gesamtheit der immer noch Armen nimmt das gewohnte Leben weiter auf und vertraut völlig den Dispositionen des - von ihnen gewählten - Komitees. Ist das, fragt Kaminski sich heimlich und besorgt, die absolute Freiheit des Einzelnen? Kaminski nimmt das staunend hin: nirgends entdeckt er den Abscheu, vor jeder Handlung um Erlaubnis fragen zu müssen, der Leute wie mich von jeder höheren Vergesellschaftung bisher zurückgehalten hat. Wenn einem Familie in diesem Zusammenhang schon zuviel ist! Aber auch in der Stadt: die Arbeitslöhne sind überall in Barcelona und Katalonien um fünfzehn Prozent erhöht worden. Von diesem Geldzuwachs wird aber kaum ein großer Küchenschrank gekauft oder mal ins bessere Restaurant gegangen: die meisten, heißt es, zahlten zehn Prozent der Lohnerhöhung für die Kriegskasse.
Welche Art Sozialismus wurde in Barcelona eingeführt? Kaminski unterhält sich mit dem Wirtschaftsminister Kataloniens. Es stellt sich heraus: strenggenommen handelt es sich um einheitliche Vergesellschaftung in der Form, dass Arbeiterräten in jeder einzelnen Fabrik die Leitung übertragen wird - weitgehend bei Einheitslohn. Ehemalige Besitzer, wenn sie was von ihrem Betrieb verstehen, können als Facharbeiter weiter mitmachen. Wer nur Couponschneider war und nichts konnte, behält immerhin das Recht, als Hilfsarbeiter einzutreten. Was im Vergleich zum Sozialismus der Sowjetunion völlig fehlt, ist einheitliches Zusammenwirken in einer gemeinsamen Planung. Das fällt in der Frühzeit nach der Revolution noch nicht so auf, weil offenbar stark mit Vorräten gearbeitet wird. Auch steht die Peseta so tief, dass der Import von Rohstoffen leicht zu teuer wird. Offenbar deuten sich hier aber ernste Probleme an.
Das Begräbnis Durrutis, der bei der Verteidigung Madrids Kugeln erlag, von denen man heute noch nicht weiß, aus welchem Lauf sie kamen, wird zu etwas, das feierlich geplant wurde, aber gerade durch die unerwartete Teilnahme von wirklich allen Bewohnern Barcelonas sich selbst fast verunmöglichte. Die Teilnehmenden drängten zu sehr. Kaminskis eigener Nachruf für den Vorkämpfer:
”Erst am nächsten Tag wurde Durruti begraben. Seine letzte Ruhe wird er in einem Mausoleum finden, das man ihm errichten will. Es wird ein Wallfahrtsort für dieses Volk werden, das um seine Helden trauert, ohne sie zu beweinen, das sie ehrt, ohne jene Sentimentalität, die wir Pietät nennen.” (S.50)
Beim Begräbnis selbst hatte der Autor nur zwei Personen in Tränen gesehen: die Lebensgefährtin, aber die war französischer Herkunft und eine alte Putzfrau, die Durruti zu Lebzeiten nie zu Gesicht bekommen hatte. Auffällig erinnert Kaminskis letzter Satz an einen aus der Frühzeit der russischen Revolution: „Kein Ruhm den Siegern. Kein Mitleid den Besiegten.” Der unerbittliche, hart weiterzuführende Kampf steht in der Mitte des Lebens und aller Aufmerksamkeit. Zugleich in Kaminskis Ausdrucksweise (mit „Mausoleum” und „Wallfahrtsort”) die Bindung an die quasireligiöse Begeisterung, die zugleich überwunden und festgehalten werden soll - festgehalten im Hinblick auf eine andere Welt- schon hier in der unseren.
Leicht befremdet wirkt Kaminski, wenn er auf das Geschick der Frauen zu sprechen kommt in der Umwälzung. Viele andere beschreiben nur den Charakter der in der Miliz mitkämpfenden Frauen, die wirklich frei und männergleich auftreten. Kaminski stößt aber erstaunt auf die verbreitete Sitte, in den Fabriken - aber auch sonstwo - nach Möglichkeit zwei Speisesäle einzurichten - einen für Männer, einen für Frauen. Etwas mysteriös wird das erklärt mit der „spanischen Sonne”, offenbar, um auszudrücken, dass diese leicht über die erregbaren Männer kommen und den Arbeitsprozess stören könne. Deshalb kann das Gespräch mit der spanischen Gesundheitsministerin nicht voll befriedigen. Einerseits ist sie von brunhildischer Gestalt und durchdringender Stimme. Und würde nie ihr Ministerium betreten ohne den Revolver am Gürtel. Andererseits bejubelt sie den Fortschritt, den sie ganz bürgerlich versteht: Mann und Frau sind gleichberechtigt.
Prostitution und Bordellwesen sind vorübergehende Erscheinungen. Einige Zuhälter mussten übrigens erschossen werden - ohne die Stimme bei der Mitteilung zu erheben. Und die laut ins Gesicht der Schönen geschrienen Komplimente auf offener Straße (piropos), stören die denn gar nicht? Findet denn eine Revolutionärin weniger Gefallen an Schmeicheleien als andere Frauen? Man könnte einwenden: nicht wenn immer zwanzig zuhören! Vor allem wird durch das Zuteilungssystem in Dorf und Stadt nach Familien die jahrhundertelange Abhängigkeit der Frauen keineswegs aufgehoben, sondern verstärkt. Kaminski hat offenbar schon vor Beginn seiner Niederschrift mit dem Sozialismus russischer Provenienz gebrochen, jedenfalls mit dessen Entwicklung seit Stalins Hochkommen. Der letzte Satz seines Vorworts lautet:
”Nach dem tragischen Niedergang der russischen Revolution steht sie [die spanische, fg] im Zentrum der Aufmerksamkeit einer ganzen Menschheit, die in ihr eine Hoffnung und einen Anfang sieht.” (S. 10)
Im letzten Kapitel greift Kaminski noch einmal auf den Anfang zurück und bestimmt als Grundlage der katalanischen Revolution das Bündnis der beiden Gewerkschaften CNT und UGT zur gemeinsamen Vergesellschaftung der Produktion. In der Folge waren es auch die Gewerkschaften, die die gesamte Produktion und Distribution übernahmen und leiteten.
Ist so etwas dauerhaft möglich? In eine Partei geht man, weil man deren Ziele in Gegenwart und Zukunft unterstützen will. In eine Gewerkschaft normalerweise, um die gegenwärtige Lage zu halten und zu verbessern. Demnach auch, um gemeinsame Stärke zu entwickeln für den augenblicklichen Abwehrkampf. Logisch, dass dann in der Gewerkschaft selbst von vornherein immer verschiedene Zielsetzungen für die Zukunft zusammentreffen, die nur eben zurückgestellt werden. Übernimmt nun Gewerkschaft die Funktion der Partei, muss es über kurz oder lang zu Zerreißproben kommen. Lag darin der Grund für den Niedergang der anarchistischen Gewerkschaftsbewegung in Barcelona ?
Jedenfalls haben wir in Kaminskis Aufzeichnungen ein Werk vor uns, das es im Vergleich durchaus aufnehmen kann mit jenem aus Enzensbergers besseren Tagen ”Der kurze Sommer der Anarchie”, das uns allererst den Namen Durrutis nahegebracht hat.
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Die Rezension erschien zuerst im Januar 2010 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, sfr, 12/2010)
Barcelona. Ein Tag und seine Folgen. 2. Auflage.
Tranvia Verlag, Berlin.
ISBN: 3-925867-74-0.
202 Seiten. 18,00 Euro.