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Notizen aus der Redaktion

Glänzende Kaputtheit

Händler, Ernst-Wilhelm (2013): Der Überlebende. Fischer, Frankfurt a. M. 319 S., 19, 99 Euro

Die Seiten müssten beim Umblättern eigentlich klirren, so eiskalt ist dieser Roman von Ernst-Wilhelm Händler. „Der Überlebende“ zielt mitten ins Herz einer „schönen neuen Welt“ und legt deren durchtechnisierte Kaputtheit offen. Erzählt wird die Geschichte eines Ingenieurs, der ein geheimes Roboterlabor in einem Leipziger Werk für High-Tech-Eletronik leitet. Mit der „nutzlos in sich selbst vergafften Natur der menschlichen Beziehungen“ kann er wenig anfangen – es sind die „S-Bots“ und ihre künstliche Schwarmintelligenz, die sein Herz höher schlagen lassen. „Die Steuerungen sind – logisch. Was die S-Bots bedeuten oder nicht bedeuten? Es ist wohl eine Art gesellschaftliches Experiment. […] Das Experiment findet auf einem anderen Planeten statt. Ich lebe nicht in Leipzig, ich lebe im Universum.“ Ebenso skrupellos und größenwahnsinnig wie erschütternd hilflos und naiv, ist Händlers getriebener Protagonist kein Antiheld im engeren Sinne, sondern vielmehr die „uneigentliche Person“, als die er sich selbst schnell erkannt hat. Während er seine Forschungen mit Feuereifer vorantreibt, bleiben Ehefrau, Tochter und Freunde, mithin der eigene Verstand auf der Strecke. Klar: Händlers siebter Roman hat eine überdeutliche Message. Aber eine, die erzähltechnisch clever verpackt wird: Es ist faszinierend, wie der Münchner Autor die Ich-Perspektive nutzt, um durch die Augen seines namenlosen Erzählers in eine Welt zu schauen, die ebenso unpersönlich und asozial zurückblickt. „Die Unterlassungssünde des Sich-nicht-Koppelns kann nicht bestraft werden, und sie wird es doch,“ sinniert er über seine S-Bots, „alle zusammen verkörpern sie das beständig einstürzende, aber sich unaufhaltsam jedes Mal wieder neu aufrichtende Selbstvertrauen von uns allen.“ (S. B.)

Lob der Faulheit

Pörksen, Julian (2013): Verschwende deine Zeit. Ein Plädoyer. Alexander Verlag, Berlin. 112 Seiten, 9,90 Euro

Zeit ist Geld, behauptet der Volksmund. Zeitverschwendung ist Kunst, weiß Julian Pörksen. Das stellte der junge Filmemacher unter anderem mit seinem vielbeachteten Kurzfilm „Sometimes we sit and think and sometimes we just sit“ unter Beweis, der 2012 auf der Berlinale Premiere feierte. Nun schlägt Pörksens Credo zu Buche, und zwar mit genau 9, 90 Euro, die in ein kurzweiliges Lesevergnügen gut investiert sind. „Verschwende deine Zeit“ ist die überarbeitete Version der Abschlussarbeit, mit der Pörksen 2012 sein Dramaturgiestudium in Leipzig beendete. Dabei will er den Leser_innen kein hedonistisches Pamphlet und auch kein Lifestyle-Mantra der Entschleunigung vorsetzen, sondern „ein Plädoyer“ (Untertitel) für das kreative Nichtstun halten. Als wortgewandter und belesener Kenner der Materie führt Pörksen anschaulich die „Zeitverwertungsökonomie“ der modernen Leistungsgesellschaft vor Augen, die längst auch die (vorgebliche) Freizeit erfasst hat. Dass der Autor seinerseits offensichtlich viel Zeit und Arbeit in den fundierten Text gesteckt hat, kommt der Hommage an den lustvollen Schlendrian durchaus zu Gute. Vieles wird den Leser_innen womöglich bekannt vorkommen, denn von Rousseau, Schiller und Eichendorff über Freud und Benjamin bis hin zu Beckett, Barthes, Foucault und Butler zitiert Pörksen sich kreuz und quer durch die Werke der modernen Dichter und (Quer-)Denker. Vor allem Bataille dient ihm als Stichwortgeber, um für eine „gloriose Verschwendung“ unseres höchsten Gutes zu votieren. Wortgewaltig aufgerüstet wird das kurzweilige Büchlein mit einem Vorwort von Carl Hegemann, auf das immerhin 14 von insgesamt 98 Seiten des Fließtextes entfallen. Wie viel das in Prozent ausmacht, kann sich jeder gern ausrechnen, der gerade nichts Besseres zu tun hat. (S. B.)

Extrem rechte Alternative für Deutschland

Alban Werner (2015): Was ist, was will, wie wirkt die AfD? Neuer ISP Verlag, Köln 2015. 207 Seiten, 17,80 Euro

Die Partei Alternative für Deutschland (AfD) feiert seit Monaten ein Comeback in der öffentlichen Wahrnehmung - und in den Umfragen zum Wahlverhalten. Sie darf sich durchaus Chancen ausrechnen, im März 2016 in die Landtage von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt einzuziehen. Grund genug, einen Blick in die Analysen zu werfen, die bisher zur AfD erschienen sind - die Arbeit von Alban Werner etwa, der eine politikwissenschaftliche, aber dennoch verständliche Analyse vorgelegt hat. Er bettet die Entstehung der AfD ein in gesellschaftliche Veränderungen. Die Partei sei „das Geschöpf eines Umbruchs in der bundesrepublikanischen Gesellschaft“ und zugleich „Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks, der sich seit Ende der 1990er Jahre durchsetzt“. Der AfD komme dabei entgegen, dass „die Angriffspunkte wirtschaftsliberaler und rechtskonservativer Kritik besser sichtbar und erfahrbar sind“. Dazu hätten nicht nur populäre Leitfiguren wie Thilo Sarrazin beigetragen, sondern auch die Verbreitung der Inhalte durch Social Media. Und die Rolle der herrschenden Politik? Werner verliert sie nicht aus den Augen. PEGIDA sei auch auf die Politik der zentralen Unterbringung von Geflüchteten zurückzuführen: Diese beförderten deren Stigmatisierung und böten damit einen Anknüpfungspunkt für rechte Agitation. Einiges, von dem Werner schreibt, ist mittlerweile überholt. Dennoch bietet das Buch reichlich Material, um auch die »neue« AfD besser zu verstehen. (S. F.)

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Von
Redaktion
Veröffentlicht am
05. Januar 2016
Erschienen in
Ausgabe 38, „Asylpolitik: Wider die Bewegungsfreiheit” vom 05. Januar 2016